Lena Cassel

Interview mit Lena Cassel Interview mit Lena Cassel: "Bei Hertha habe ich Zusammenhalt und Gemeinschaft gefunden"

Stand: 10.07.2024 16:40 Uhr

Durch ihre TV-Moderationen ist Lena Cassel eine bekannte Größte in der Fußball-Berichterstattung. Zuvor arbeitete sie bei Hertha BSC. Im Interview spricht sie über die Lage des Zweitligisten, den neuen Fokus auf den Frauenfußball und EM-Euphorie.

rbb|24: Frau Cassel, Sie sind als Sportjournalistin derzeit sehr präsent, in TV-Sendern sowie in einem eigenen Podcast. Gleichzeitig waren Sie als Moderatorin von "Hertha TV" nah dran an Hertha BSC. Haben Sie mit dem Verein aus professionellen Gründen mittlerweile abgeschlossen?
 
Lena Cassel: Es gibt diesen Spruch, der im Verein kursiert: Einmal Herthaner, immer Herthaner. Ich bin in einer Zeit zum Verein gekommen, die persönlich für mich nicht so ganz einfach war. 2019 bin ich aus meiner Kölner Heimat in die Hauptstadt gezogen. Alles war neu, Berlin war sehr kühl, die Corona-Pandemie war auch noch da. Ich habe Anschluss gesucht und habe bei Hertha BSC Zusammenhalt und Gemeinschaft gefunden. Es war für mich persönlich sehr, sehr krass, was der Verein mir gegeben hat. Von daher würde ich mich schon als Herthanerin bezeichnen.

Fußballtor am Brandenburger Tor
Riesiges Fußballtor aus Berliner Fanzone steht zum Verkauf

mehr

Gab es in Ihrer Arbeit als Journalistin einen Hertha-Stempel?
 
Den hatte ich tatsächlich gar nicht. Schon während meiner Zeit bei Hertha BSC habe ich Anfragen bekommen von verschiedenen Sendern, ob ich nicht Lust hätte, als Reporterin am Start zu sein. Dass ich bei Hertha BSC gearbeitet habe, war kein Manko für meine sportliche oder berufliche Weiterentwicklung, ganz im Gegenteil. Ich glaube, es war eher ein Sprungbrett. Nach meiner Arbeit beim Verein folgte recht schnell die Arbeit bei Amazon Prime und auch DAZN. Da war, glaube ich, gar kein Thema, dass ich vorher beim Verein gearbeitet habe. Da bin ich professionell genug, dass ich das dann auch gut trennen kann.

 
Hertha hat die Zweitliga-Saison nach dem Bundesliga-Abstieg auf dem neunten Platz abgeschlossen. Was trauen Sie der Mannschaft in der nächsten Saison zu?
 
Ich glaube, der Aufstieg ist das Ziel von Hertha BSC. Nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch, weil man sich als Verein mit relativ großem Spieleretat wahrnimmt und man dort sagt: Wir sind der Hauptstadtklub, der auch in die 1. Bundesliga gehört. Der Meinung bin ich übrigens auch. Wenn man sieht, was sie für einen unfassbaren Zuschauerschnitt auch in der 2. Liga hatten: Der Schulterschluss mit den Fans ist durch Kay Bernstein wieder gelungen. Ich glaube auch, dass der neue Trainer Cristian Fiél mehr Potenzial hat als seine letzten beiden Stationen vermuten lassen, wo er, glaube ich, limitierte Möglichkeiten hatte.
 
Ich habe ein sehr, sehr gutes Gefühl. Es hängt natürlich ein bisschen davon ab, was mit Fabian Reese ist, was mit Haris Tabakovic ist. Wenn du beide verlierst, boah, da musst du auf dem Transfermarkt gute Sachen machen. Natürlich würden sie sicherlich auch eine hohe Ablöse generieren. Da musst du sinnvoll und gut mit dem Geld auch umgehen. Ich glaube, rein sportlich wäre es verkraftbarer, Fabian Reese zu verlieren als Haris Tabakovic.

Collage Cristian Fiel(li.) und Bo Svensson.(Quelle:li. imago images/M.Koch,re.picture alliance/dpa/S.Stache)
Hertha am Samstagabend beim HSV, Union zum Auftakt gegen Mainz

mehr

Warum?
 
Der Verein hat seit Jahren keinen richtigen Knipser mehr gehabt. Tabakovic ist der erste seit fünf, sechs Jahren, der richtig knipst, vielleicht seit Vedad Ibisevic. Das hat in den letzten Jahren total gefehlt. Und ja, Fabian Reese ist eine absolute Identifikationsfigur. Er ist in Testspielen auch Kapitän gewesen. Ich glaube allerdings, du kannst ihn sportlich in irgendeiner Weise im Kollektiv auffangen. Aber jemanden, der die Tore macht zu ersetzen, das wird schwer.
 
Während die Saison für die Berliner Männerteams eher mäßig verlief, hat sich bei den Frauen sehr viel getan. Die Unionerinnen sind in die 2. Liga aufgestiegen, Hertha hat jetzt eine eigene Mannschaft und auch Viktoria hat wieder oben mitgespielt. Wie verfolgen Sie diese Entwicklung?
 
Ich verfolge den Berliner Frauenfußball und habe es auch für längst überfällig gehalten, dass Hertha BSC endlich eine Frauenabteilung hat. Das war auch von mir eine Herzensangelegenheit. Ich hoffe natürlich, dass das nachhaltig ist, was da gerade im Berliner Frauenfußball passiert. Ich habe ein bisschen die Sorge bei Union Berlin, dass auch der budgetäre Topf ein bisschen gewachsen ist durch die Champions-League-Teilnahme der Männer und man nun nach der schwierigen abgelaufenen Saison als allererstes anfängt, wieder bei den Frauen zu sparen. Das ist ein grundsätzliches Problem, dass die Töpfe meistens nicht getrennt funktionieren und die Frauen nicht von den Männern getrennt vermarktet werden.
 
Was wäre ein guter Ansatz?
 
Du musst Synergien schaffen. Zum Beispiel als Männer- und Frauenteam gemeinsam ins Trainingslager fahren, zusammen Marketing-Tage absolvieren. Und trotzdem muss versucht werden, die Bereiche zumindest in finanzieller Hinsicht getrennt zu sehen, damit die Frauen nicht immer so von der Performance der Männer abhängig sind.

Thomas Hässler als Trainer von Berlin United. (Bild: IMAGO / Matthias Koch)
Thomas Häßler trainiert Spandauer Bezirksligisten

mehr

Der Transfersommer ist noch nicht abgeschlossen, aber wagen wir einen Blick in die 1. Männer-Bundesliga. Kann Bayer Leverkusen die Sensation wiederholen oder schlagen die Bayern direkt wieder zurück?
 
Ich glaube, der Wut-Motor der Bayern gehört der Vergangenheit an. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Übergangssaison wird mit einem neuen Trainer, mit einer neuen Mannschaft. Sie werden sich verjüngen müssen. Man weiß nicht, was mit Joshua Kimmich und Co. ist. Die zentrale Achse wird sich neu bauen müssen. Wesentlich gefestigter wird Bayer Leverkusen auftreten. Der Trainer bleibt, die Leistungsträger sollen bleiben: Florian Wirtz, Granit Xhaka – ja, Jonathan Tah geht eventuell, Jeremie Frimpong auch. Aber was wir in der vergangenen Saison gesehen haben, ist, dass sie immer wieder auf Ausfälle reagieren konnten. Ich glaube, das Kollektiv ist stärker als beim FC Bayern. Von daher geht Leverkusen für mich auch als Favorit auf die Meisterschaft in die neue Saison. Aber ich sehe einen Vierkampf: Auch Borussia Dortmund wird mit den hochkarätigen Transfers oben anklopfen wollen. Und RB Leipzig hat eine sehr, sehr stabile Saison gespielt.

 
Vor der EM wurde viel darüber diskutiert, ob in Deutschland eine Euphorie entstehen kann – auch nach den Wahlergebnissen bei der Europawahl. Jetzt steuern wir das Finale ohne deutsche Beteiligung an: Wie empfinden Sie die Stimmung?
 
Die deutsche Mannschaft ist zwar ausgeschieden, ich glaube aber, dass Fußball-Deutschland seine Nationalmannschaft zurückgewonnen hat, also sein liebstes Kind. Wir haben gemerkt, dass auf der einen Seite, glaube ich, Julian Nagelsmann und sein Team sehr, sehr viele Sachen mitgebracht haben, die uns begeistert haben. Aber ich glaube, wir wollten uns auch begeistern lassen. Ich glaube, sie sind auf fruchtbaren Boden gestoßen. Sie hatten einen guten Dünger dabei, aber sie haben auch einen guten Boden vorgefunden. Wir hatten Lust, uns wieder zu verlieben. Und wir haben uns relativ schnell in diese Nationalmannschaft verliebt. Jetzt haben wir alle ein bisschen Liebeskummer und Herzschmerz, weil wir doch gerade erst dabei waren, diese Beziehung wieder aufzubauen, die irgendwie ein bisschen über die letzten Jahre verloren gegangen ist. Schade ist natürlich, dass wir das jetzt nicht mit einem Titel krönen konnten.

Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview führte Lynn Kraemer, rbb-Sportredaktion.