Neuer Assistenztrainer Hertha schenkt Fiél mit Reutershahn einen Vertrauensbeweis
Hertha BSC hat mit Armin Reutershahn überraschend einen neuen Assistenztrainer vorgestellt. Die Verpflichtung spricht zum einen für eine Unzufriedenheit der Verantwortlichen, gleichzeitig aber auch für Vertrauen in Cheftrainer Cristian Fiél. Von Marc Schwitzky
"Wir müssen und wollen mehr Punkte holen. Es ist sehr, sehr viel möglich, in der Mannschaft steckt viel Potenzial. Das haben wir nicht immer abgerufen", sagte Benjamin Weber, Sportdirektor von Hertha BSC, nach der abgelaufenen Zweitliga-Hinrunde. Der 44-Jährige übte scharfe Kritik nach nur 22 Zählern in 17 Partien – doch nicht an Trainer Cristian Fiél, sondern viel eher an der Mannschaft. Es hätte in der ersten Saisonhälfte zu viele individuelle Patzer und fahrige Phasen gegeben, die "Gier" habe teilweise gefehlt.
Weber habe es hingegen überrascht, dass die fehlenden Ergebnisse direkt mit der Arbeit von Fiél verknüpft und sich zum Ende der Hinrunde eine Trainerdiskussion in der Öffentlichkeit entfacht hat. Vor allem die positive Entwicklung einzelner Spieler rechnet Weber dem Übungsleiter an, für den Hertha im vergangenen Sommer sogar eine Ablösesumme an Ligakonkurrent Nürnberg zahlte.
"Für uns geht es darum, die Sachen zu analysieren und die Ableitung daraus zu treffen. Das haben wir in der letzten Woche auch schon gemeinsam getan. Deswegen gibt’s da keine Trainerdiskussion", so Weber klar. Nun hat es eine erste konkrete Ableitung gegeben: Mit Armin Reutershahn wurde am Dienstag ein neuer Assistenztrainer zur Unterstützung Fiéls verpflichtet.
Fiél wird intern sehr positiv gesehen
"Er ist sehr akribisch, arbeitet extrem detailliert und individuell mit unseren Spielern. Zudem besticht er durch seine emotionale, nahbare und authentische Art", lobte Weber die Arbeit Fiéls in der Winterpause. "Der Trainer hat sich sehr gut in unserem Umfeld eingefunden und man spürt täglich seine Energie und Leidenschaft, auf und neben dem Platz mit der Mannschaft und den Spielern zu arbeiten."
Was für manchen Fußballbeobachter womöglich nach vorgegaukelten Plattitüden klingen mag, ist allerdings authentisch. Fiéls Arbeit wird intern bei den Hertha-Verantwortlichen als äußerst positiv wahrgenommen. Man ist überzeugt davon, mit ihm aktuell den richtigen Weg zu gehen – auch wenn dieser in der laufenden Saison nicht zum Aufstieg führen sollte. Viel eher wird die fehlende Einstellung der Mannschaft oder die Vielzahl von verletzten Spielern als Grund für die schwache Punkteausbeute verantwortlich gemacht.
Mit Fiél soll etwas Langfristiges entstehen – ein für Hertha-Verhältnisse schon beinahe überambitioniertes Projekt. Der letzte Trainer, der längere Zeit auf der blau-weißen Bank Platz nehmen durfte, war Pal Dardai – von 2015 bis 2019.
Hertha will sich zusammen mit Fiél entwickeln
Für das Vorhaben, Konstanz auf dem Trainerstuhl zu kreieren, will sich Hertha nicht den üblichen Mechanismen des Fußballgeschäfts hingeben, bei der ersten "Krise" eben jenen nicht direkt wieder zum Schleudersitz werden zu lassen. Anstatt das Fiél nach wenigen Monaten wieder gehen muss, kriegt er eine zusätzliche Hilfestellung – in Person von Armin Reutershahn. Der Hauptstadtverein habe "einen Entwicklungstrainer gesucht und ihn verpflichtet", sagte Weber im Winter über Fiél. Womöglich bedeutet jene Bezeichnung auch, dass Hertha dem 44-Jährigen, der erst seine dritte Saison als Cheftrainer eines Profi-Teams leitet, Raum zur Entwicklung zu geben – und notfalls die Bedingungen für ihn anzupassen.
Die Verpflichtung von Reutershahn spricht jedenfalls diese Sprache. Der 64-Jährige ist neben Peter Hermann der ewige Co-Trainer Deutschlands. Anfang der 90er-Jahre begann Reutershahn seine Laufbahn als Co-Trainer, die ihn seitdem zu unterschiedlichsten Klubs und in den Dienst unterschiedlicher Trainer führte. Nach fast 200 Spielen unter Friedhelm Funkel in Uerdingen arbeitete Reutershahn beim Hamburger SV, dem 1. FC Nürnberg und dem VfB Stuttgart. 2018 gewann der gebürtige Duisburger mit Eintracht Frankfurt den DFB-Pokal. Zuletzt arbeitete bei Borussia Dortmund. Insgesamt saß Reutershahn bei über 1.000 Spielen auf der Trainerbank, den absoluten Großteil davon in der Fußball-Bundesliga.
"Armin hat schon so viel erlebt und auf so vielen verschiedenen Stationen erfolgreich gearbeitet – seine Erfahrungen aus über 30 Jahren Profifußball werden uns sehr helfen", so Weber.
Reutershahn als entscheidendes Puzzleteil?
Will man dem Verein glauben, war es sogar Fiéls Idee, den Trainerstab zu erweitern. "Es geht immer darum, wie wir uns kontinuierlich verbessern können. Daher ist bereits in der Hinrunde bei mir der Wunsch entstanden, das Trainerteam mit einem Profil zu erweitern, welches wir in dieser Form bisher noch nicht im Staff haben", so der Deutsch-Spanier. "Armin erfüllt mit seiner Expertise und seinem riesigen Erfahrungsschatz genau dieses Profil."
Tatsächlich hat sich Reutershahn zuletzt dahingehend einen Ruf gemacht, besonders jungen Trainern mit all seiner Erfahrung helfen zu können. 2016 bewältigte er zusammen mit einem blutjungen Julian Nagelsmann den beinahe schon für unmöglich gehaltenen Klassenerhalt der TSG Hoffenheim. Anschließend assistierte Reutershahn für 80 Spiele Niko Kovac in Frankfurt – dieser hatte bis dahin nur die kroatische Nationalmannschaft trainiert und somit keinerlei Erfahrung als Vereinstrainer auf Profi-Niveau. Zusammen gewannen sie 2018 den DFB-Pokal.
Im Januar 2023 wurde Reutershahn zum BVB geholt, um Trainer-Frischling Edin Terzic unter die Arme zu greifen. Durch die Hilfe des Routiniers verbesserte sich vor allem die Defensivstruktur und das Verhalten bei Standards – ebenfalls zwei große Makel von Hertha seit nun schon eineinhalb Jahren. Der Aufschwung hatte zur Folge, dass die Schwarz-Gelben im Sommer 2023 beinahe Deutscher Meister wurden, den Titel aber noch am letzten Spieltag verspielten. Reutershahn verlängert anschließend auf ausdrücklichen Wunsch von Terzic.
Die beachtliche sportliche Bilanz Reutershahns bis ins hohe Traineralter ist auch dadurch zu erklären, dass er nie aufgehört hat, wissbegierig zu sein. War er in den letzten Jahren vereinslos, hospitierte er bei erfolgreichen Kollegen wie Roger Schmidt oder Jürgen Klopp. "Wer sich nicht weiterbildet, hat verloren", sagte er einst.
Armin Reutershahn (zweiter von rechts) gewann 2018 den DFB-Pokal mit Eintracht Frankfurt. (Foto: IMAGO / Jan Huebner)
Hertha geht für Fiél ins Risiko – und gesteht Fehler ein
Nun soll Reutershahn für Fiél zum entscheidenden Puzzleteil werden. Mit der Verpflichtung gesteht Hertha ein, im vergangenen Sommer Fehler in der Besetzung des Trainerstabs begangen zu haben. Dem selbst noch unerfahrenen Fiél mit Jaime Monroy und Patrick Ebert zwei Assistenztrainer an die Seite zu stellen, die in ihren Rollen ebenfalls knallgrün hinter den Ohren sind, war ein Wagnis, das scheiterte. So wird Reutershahn auch in jeden Bereich eingebunden werden, alles muss auf den Prüfstand. "Ich mach überall mit und bin überall dabei", sagte er am Dienstag.
Das Festhalten an Fiél und stattdessen die Installation Reutershahns ist aber auch ein Risiko der Verantwortlichen, die trotz großer Kritik für ihren Cheftrainer in die Bresche springen. Derzeit macht alles den Eindruck, dass Hertha bei einer einigermaßen ordentlichen Rückrunde eher den Umbruch mit Fiél und bewusst ein Zwei-Jahres-Projekt eingehen wird. Denn wenn der Aufstieg nicht klappt, werden im Sommer viele Leistungsträger gehen, dazu kommen auslaufende Verträge von Spielern wie Florian Niederlechner oder Toni Leistner. Zusätzlich wird der Etat erheblich schrumpfen. Die Mannschaft muss dann generalüberholt werden. Die Hoffnung ist, dass Fiéls fußballerischer Ansatz – auch durch Mithilfe Reutershahns – den individuell-qualitativen Aderlass auffangen kann.
Eine Zerreißprobe für den Verein
Die Rückrunde wird so zur Zerreißprobe für die gesamte sportliche Führung des Vereins. Steigt man nicht auf, ist das Saisonziel verfehlt. Mit dem Trainer, der das Ziel nicht erreicht haben könnte, weiterzumachen, wäre mindestens mutig – der Druck auf Fiél, aber auch der sportlichen Führung um Weber und Andreas "Zecke" Neuendorf wäre immens. Der Ansatz, einem jungen Trainer Zeit zur Entwicklung einzuräumen, mag honorig sein, lässt die Zweifel an Fiél aber nicht kleiner werden.
Hertha spielt ein riskantes Spiel – aber immerhin mit Überzeugung und dem Hang zu konstruktiven Entscheidungen wie der Verpflichtung Reutershahns. Ein Fortschritt zu früheren Jahren der Willkür und Hektik. Ob dieser Weg von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten.
Sendung: rbb24, 28.01.2025, 21.45 Uhr