
Zum 70. Geburtstag von Nina Hagen "Eisern Union": Wie die Punkrockerin zur Sängerin der Hymne von Union Berlin wurde
Das von Nina Hagen gesungene "Eisern Union" gehört zum 1. FC Union wie das Stadion An der Alten Försterei. Dabei ist die Entstehungsgeschichte des Songs fast schon ein Widerspruch zum Leben der Musikerin. Und gerade deshalb passend. Von Ilja Behnisch
Sich Nina Hagen nähern zu wollen - sie gar erklären zu wollen - ist ein derart heilloses Unterfangen, dass man es auch gleich über den Fußball versuchen kann. "Eisern Union" heißt das Lied, das sie nun seit fast 27 Jahren im Stadion An der Alten Försterei spielen, der Heimspielstätte des 1. FC Union. Immer dann, wenn die Mannschaften kommen, wenn er gleich los geht - der große Zirkus Fußball.
Auf den ersten Blick passt es gut ins Bild, dass es Nina Hagen ist, die diese Hymne schmettert und trällert und brumpft. Alles zugleich, wie es eben so ihre Art ist.
"Union sozusagen genetisch verbunden"
Ihr Vater, der Drehbuch-Autor Hans Hagen (1922-1992), ist eingefleischter Fan des Vereins. Tochter Nina erzählt dem Magazin "Der Spiegel" 2001 einmal: "Ich bin Union sozusagen genetisch verbunden. Mein Papi war glühender Anhänger. Der hat kaum ein Spiel versäumt und ist immer völlig ausgeflippt, wenn die gespielt haben. Ich war immer total fasziniert von diesen Gefühlsausbrüchen meines Vaters, obwohl ich eigentlich gar nicht verstand, worum es genau ging. Aus reiner Liebe zu meinem Vater bin ich mit Union verwachsen."
Und dann teilen Hagen und Union auch noch diese Zuschreibungen: willens- und kampfstark, unbeugsam, anders als der Rest. Oder wie Christian Arbeit, Stadionsprecher und Geschäftsführer Kommunikation des Klubs, einmal dem rbb gegenüber sagt: "Nina Hagen passte genau zu dem, was Union schon immer verkörpert hat: ein bisschen wild, ein bisschen struppig und irgendwie verrückt." Dabei passt dieses Lied vor allem auch deshalb so gut zu Nina Hagen, weil es mit Widersprüchen auskommen muss.
Ein Song als Image-Politur
Im Sommer 1998 steckt Hagen inmitten der Arbeit zu ihrem Album "Om Namah Shivay!". Zu diesem Zeitpunkt beschäftigt sie sich schon seit einigen Jahren mit dem Hinduismus. Der Titel der Platte ist einem berühmten Heilungsmantra entnommen. Bei Union Berlin, damals Drittligist, haben sie derweil relativ irdische Probleme: Der Verein steht finanziell mit dem Rücken zur Wand. Erst der Einstieg der Firma Kinowelt wendet eine Pleite ab.
Zeitgleich ist Vizepräsident Peter Wolfram, ein Werbefachmann aus München, der Überzeugung, Union benötige ein neues Image. Michael Kölmel, Chef des Investors Kinowelt und ebenfalls Münchner, nimmt sich der Sache zusammen mit zwei Musikern an, entwirft eine erste Song-Idee, die später von Klaus Sperber (Musik) und Andreas Cämmerer (Text) finalisiert wird. Produziert wird der Song in einem Studio in Frankfurt am Main.
Keine leichte Kindheit
Für einige Union-Fans ist das alles zu viel "westdeutsche Komponente". Vor allem angesichts der prominenten Liedzeile "Wir lassen uns nicht vom Westen kaufen". Doch die (Marketing-)Idee geht auf. Die CD erscheint Ende August 1998 und wird sofort angenommen. Und spätestens als Nina Hagen "Eisern Union" im November 1998 live im Stadion singt, sind alle Zweifel vergessen. Auch, weil Nina Hagen diese enorme Fähigkeit besitzt, Lieder zu ihren zu machen, auch wenn sie "nur" die Interpretin ist. Und das, obwohl die Mannschaft an diesem regnerischen Tag und vor 3.294 Zuschauern mit 0:1 gegen Chemnitz verliert.
Widersprüchlich bleibt die ganze Nummer trotzdem. Zumal Hagen von klein auf eigentlich vor allem eines will, nämlich abhauen aus der vor allem künstlerischen Enge der DDR, in die sie vor inzwischen 70 Jahren hineingeboren wird. Spätestens aber dann, als ihr "Ziehvater" Wolf Biermann ausgewiesen wird: 1965 ist ihre berühmte Schauspieler-Mutter Eva-Maria Hagen die Beziehung zum Liedermacher Biermann eingegangen. Schon zwei Jahre später wird Nina "unehrenhaft" aus der DDR-Jugendorganisation FDJ entlassen. Die Mitschüler sprechen auf Geheiß nicht mehr mit ihr, die Staatliche Schauspielschule lehnt sie ab.
Dabei hat sie es doch so schon nicht leicht. Ihr Name, so erinnert sie sich in der 2014 erschienenen ARD-Doku "Godmother of Punk", habe immer "Die Tochter von Eva-Maria Hagen" gelautet. "Das war furchtbar. Als ob die ganze Zeit ein Scheinwerfer auf mich gerichtet war." Immerhin: Biermann sei nicht nur ihr Lehrer gewesen, der ihr zudem die Lebensliebe für Bertolt Brecht offenbarte, er hat ihr auch das Gitarrespielen beigebracht.

Hagen mischt die "bundesdeutsche Reihenhaus-Idylle" auf
Eine Gesangs-Ausbildung darf sie absolvieren in der DDR. Dann singt sie Schlager. In der Hoffnung, als Reisekader ins Ausland zu dürfen. Sie will doch nur die Welt sehen und landet mit "Du hast den Farbfilm vergessen" (1974) ihren ersten und zugleich größten Hit. Zwei Jahre später stellt sie einen Ausreiseantrag, der genehmigt wird. Der Rest ist Geschichte und schönster Wahnsinn.
Nach Abstechern in die Londoner Punkszene, nach einer Art WG mit dem Komiker Otto Waalkes in Hamburg ("Ich war schon wahnsinnig. Aber das war noch eine Steigerung.") kommt sie in Berlin-Kreuzberg an und trifft auf die sich in der Auflösung befindliche Band "Lokomotive Kreuzberg", die später zu Spliff wird, zuvor aber als "Nina Hagen Band" zwei äußerst erfolgreiche Alben aufnimmt. Auf der dazugehörigen Tour, so schreibt es 1992 die Zeitung "Die Welt", hatten sie "auf die bundesdeutsche Reihenhaus-Idylle eine ähnliche Wirkung (...) wie 20 Jahre zuvor Bill Haleys 'Rock around the clock'".
Als wäre sie von sich selbst gelangweilt
Eine Wirkung, die Hagen auch später immer wieder erzeugt, etwa in Talkshows. Mal, als sie 1979 im österreichischen Fernsehen äußerst anschaulich den weiblichen Orgasmus erklärt. Mal, als sie 1992 die damalige Frauenministerin Angela Merkel angeht ("Ich schreie Sie so lange an, wie ich will!"). Merkel scheint es immerhin kaum persönlich genommen zu haben - schließlich ließ sie zu ihrem großen Zapfenstreich, ihrem Abschied als Bundeskanzlerin 2021, "Du hast den Farbfilm vergessen" erklingen. Angestimmt vom Stabsmusikkorps der Bundeswehr, einem Blasorchester.
Auch Hagens musikalischer Horizont öffnet sich über die Jahre. Sie macht irgendwann sogar Country, erhält 1999 für eine Neueinspielung der "Dreigroschenoper" den "Echo Klassik". Zu fassen bekommt man sie in all den Jahren nie. Sie kann so wunderschön singen, über vier Oktaven. Und bricht doch immer aus. Mit Gesang. Mit Grimassen. Als wäre sie von sich selbst gelangweilt.

Nina Hagen vor dem Pokalfinale 2001 im Berliner Olympiastadion.
Keine Glücksbringerin für Union
Hört man Wegbegleiter über sie sprechen, zum Beispiel in "Godmother of Punk", ist da immer ein Tasten. Es lässt sich leicht beschreiben, wie Nina Hagen ist: Ein "Weltstar" (Udo Lindenberg), "das größte, weibliche Gesangstalent, das wir in der deutschen Popkultur je hatten" (Campino), "keine Sängerin, eine Zauberin" (Otto Waalkes). Oder wie es ihre Tochter, Cosma Shiva Hagen, sagt: "Diese Mischung aus sexy, verrückt und komisch - die gab es vorher nicht." Nur warum Nina Hagen so ist, wie sie ist, bleibt immer rätselhaft. Und vielleicht macht das ihren Zauber aus, dass sich auch nach 70 Jahren nicht zu erklären ist.
Eines jedoch scheint klar - vor Spielen von Union wird sie wohl nicht mehr auftreten. Und das immerhin lässt sich erklären. Denn nach der 0:1-Niederlage bei der Premiere im November 1998 folgte eine Darbietung vor Unions Pokalfinale 2001. Das Ergebnis? 0:2. Aber egal, denn: "Brecht hat ja immer gesagt: Vertont die Texte! Das ist meine Lebensaufgabe." Hat sie gemacht. Eisern Union.
Sendung: rbb24|Inforadio, 10.03.2025, 09:15 Uhr