Krawalle Thüringen-Derby: So haben Neonazi-Hooligans das Stadion in Jena betreten
Pyrotechnik, Brandstiftung, Versagen der Sicherheitsvorkehrungen. Wie konnte es zu den Krawallen beim Fußballderby zwischen dem FC Rot-Weiß Erfurt und dem FC Carl Zeiss Jena am 16. März kommen? Nach MDR INVESTIGATIV-Informationen gelangten Neonazi-Hooligans aus Thüringen und Bulgarien mit kopierten Tickets ins Stadion - unter den Augen von Security-Mitarbeitern. Am Donnerstag beschäftigte sich der Innenausschuss des Landtags mit dem Thema.
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Der Trick war dreist und denkbar einfach. Tickets sollen kopiert worden sein, befreundete Security-Mitarbeiter sollen nach Informationen von MDR INVESTIGATIV die angereisten Neonazi-Hooligans, die als Gruppe zur Einlasskontrolle anrückten, "durchgewunken" haben, als der Ticketscanner Alarm schlug.
So sollen sich nach MDR-Recherchen unter anderem einschlägig bekannte Mitglieder des rechtsextremen "Jungsturms" und eine mit ihnen befreundete Neonazi-Hooligan-Gruppe aus Bulgarien beim Thüringen-Derby Mitte März Zutritt zum Ernst-Abbe-Stadion verschafft haben.
Die mutmaßlichen Kontakte in die Security-Szene dürften auch die Frage beantworten, wie es zu dem großangelegten Einsatz von Pyrotechnik und den Randalen aus dem Erfurter Block heraus kommen konnte, in dem sich laut Polizei mindestens 70 gewaltsuchende Fußballfans befunden hatten. Das Spiel war deshalb zwischenzeitlich unterbrochen worden.
Polizei ermittelt wegen Landfriedensbruchs
Die Landespolizeiinspektion Jena sagte, derzeit würden Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruchs und Betrugs geführt. Hierbei stehe man im Austausch mit anderen Polizeidienststellen. Solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, könne man keine weiteren Informationen nennen.
Wie ein Sprecher des FC Rot-Weiß Erfurt mitteilte, hatten Vereinsmitglieder und Dauerkarteninhaber die Möglichkeit, Tickets zu kaufen. "Ein Weiterverkauf oder die Möglichkeit, sie zu kopieren, konnte unserseits weder kontrolliert noch ausgeschlossen werden." Die Zuständigkeit für die Kontrolle der Eintrittskarten obliege dem Veranstalter des Spiels.
Ein Sprecher des gastgebenden Vereins FC Carl Zeiss Jena sagte, von Seiten des Vereins sei Strafanzeige gestellt worden, auf deren Grundlage alle Hergänge und Aspekte mit strafrechtlicher Relevanz ermittelt würden. Bis zum Abschluss der Ermittlungen könne man sich nicht weiter dazu äußern.
Derby war auch Thema im Innenausschuss des Landtages
Körperverletzung, Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz, Betrug und Volksverhetzung. Das sind nur einige der Straftaten, die am Donnerstag im Innenausschuss des Landtages aufgelistet wurden. Wie der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Raymond Walk, sagte, müssten unter anderem Fragen zur polizeilichen Gefährdungsanalyse gestellt werden.
Auch sollten der Einsatz von Wasserwerfern gegen Fans, die Sicherheitsvorkehrungen am Einlass und die Gewaltprävention der Vereine hinterfragt werden. Der Innenausschuss wird sich vor Ende der Legislatur noch einmal mit den Ausschreitungen des Fußballderbys befassen. Die CDU-Fraktion hatte das Thema in den Ausschuss eingebracht.
Neonazi-Hooligans aus Sofia zu Gast im Jenaer Stadion
Wer zum Derby noch alles ins Stadion gelangte, belegen Aufnahmen des MDR. Sie zeigen mehrere Männer mit Bekleidung der bulgarischen Neonazi-Hooligan-Gruppe "Animals Sofia" im Erfurter Block. Auch ein Banner der bulgarischen Rechtsextremisten hing vorn am Zaun im Ernst-Abbe-Sportfeld vor dem "Kategorie Erfurt"- Banner des "Jungsturms".
Ein Foto aus der Saison 2017/2018: Die Erfurter Fan-Gruppierung "Jungsturm" soll Kontakte zu bulgarischen Neonazis pflegen. (Archivfoto)
Der MDR hatte schon früher über die Verbindung der Thüringer Hooligans nach Bulgarien berichtet. So zeigen Fotos "Jungsturm"-Mitglieder gemeinsam mit den bulgarischen Neonazis, darunter Orlin P..
Der Rechtsextremist aus dem Spektrum des in Deutschland verbotenen militanten Neonazi-Netzwerks "Blood & Honour" soll der Kontaktmann der Thüringer in ebendieses Netzwerk sein.
Orlin P. pflegt nach MDR-Recherchen gute Kontakte zu internationalen Kadern von "Blood & Honour" und dessen bewaffneten Arm "Combat 18". Treffen zwischen P. und deutschen "C18"-Kadern sollen unter anderem beim Neonazi-Festival im sächsischen Ostritz 2018 stattgefunden haben.
Neonazi-Hooligan-Gruppe „Jungsturm“ weiter aktiv
Weitere Filmaufnahmen vom vergangenen Thüringen-Derby zeigen einschlägig bekannte rechtsextreme Gewalttäter und "Jungsturm"-Mitglieder im Erfurter Block, darunter Felix R., der in der Vergangenheit mehrfach wegen brutaler Angriffe verurteilt worden war. Auch "Jungsturm"-Mitglied Robin B. soll nach MDR-Informationen beim Derby dabei gewesen sein. Er wurde 2022 im Revisionsprozess gegen die Hooligan-Gruppe zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Bis heute zeigt er sich wenig geläutert: Beim Spiel gegen den FC Lok Leipzig am vergangenen Samstag erschien B. in einem T-Shirt mit dem rechtsextremen Zahlen-Code "88" (für "Heil Hitler") im Erfurter Steigerwaldstadion.
Neben Robin B. waren im Zuge des "Jungsturm"-Prozesses drei weitere Thüringer Neonazis, darunter der preisgekrönte Kampfsportler Theo W. wegen brutalen Angriffen auf gegnerische Fans und illegalen Kämpfen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.
MDR (jm,lou)