Nach Gerichtsurteil Gewalt im Fußball: "Wegen euch geht uns die ganze Kohle flöten"
Laut einem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes können Bundesliga-Clubs ab sofort an den Polizeieinsatzkosten von Hochrisikospielen beteiligt werden. Etwa, wenn Ausschreitungen zwischen Fangruppen zu erwarten sind. Schriftsteller Philip Winkler war für seinen Roman "Hool" 2016 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Seitdem beobachtet er eine Entfremdung zwischen Vereinen und Fans. Der Grund: die Ökonomisierung des Sports. Im Interview sagt er, was Vereine ändern sollten.
- Der Autor Philip Winkler plädiert für eine differenzierte Sicht auf Fußballanhänger.
- Seit dem Erscheinen seines Romans "Hool" 2016 beobachtet er ein Auseinanderdriften von Fans und Vereinen – beide hätten sich professionalisiert.
- Die Vereine sollten das Urteil annehmen und mehr in Fankultur investieren, findet Winkler.
MDR KULTUR: Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht (BGH) beschlossen, dass auch die Vereine für sogenannte Hochrisikospiele zur Kasse geben werden können. Sie haben sich 2016 in ihrem Roman "Hool" in die Welt der Hooligans begeben. Wer sorgt denn eigentlich für ein erhöhtes Risiko bei Fußballspielen?
Philip Winkler: Man muss zuerst klar zwischen Ultras und Hools, also Hooligans, unterscheiden. Ultras sind die, die sich organisieren, im Stadion auftreten, die Choreographien machen – also die im Grunde für die Stimmung im Stadion sorgen. Die Hooligans treffen sich komplett außerhalb des eigentlichen Fußball-Kontextes, unter der Flagge eines Fußballvereins, weil das für sie der kleinste gemeinsame Nenner ist – und treffen sich dann auf dem "Acker", wie man das nennt, oder verabreden sich im Wald, unter Gleichgesinnten, um sich dann eben auf die Fresse zu hauen, auf gut Deutsch gesagt.
MDR KULTUR: Seit Jahrzehen wird trotzdem versucht, Gewalt rund um Fußballspiele zu befrieden. Warum ist das so schwierig?
Philip Winkler: Da kommt es darauf an, von welcher Seite und mit welcher Intention versucht wird, zu befrieden. Wenn man sich mit Blick auf die verhärteten Fronten mal einen Verein nimmt, bei dem es richtig um die Kohle geht, sehen viele Fans verständlicherweise viele Entwicklungen als höchst bedenklich an, dass einfach das, was sie eigentlich lieben, nämlich der Sport und der Zusammenhalt und die Identifikation, immer weiter verschwimmt.
Wenn so ein Verein dann von oben herab mit den Leuten spricht, ist die Frage: Trifft man da überhaupt auf offene Ohren? Wahrscheinlich nicht. Ich verstehe natürlich die Frustration der Vereine, die sagen: "Ja, Leute, was sollen wir denn noch machen? Wir bieten euch doch irgendwelche Runden Tische an." Und auf der anderen Seite natürlich auch [die Frustration] der Fans: "Ihr wollt doch nur bestimmen, wie wir unsere Leidenschaften zu leben haben." Für viele Leute ist das eben ein Lebensinhalt.
MDR KULTUR: Fachleute wie Kriminologen sagen ja zum Beispiel, problematisch seien in diesem Zusammenhang die Renaissance des Hooliganismus sowie männliche Härteideale. War denn die Szene je friedlicher?
Philip Winkler: 2016, als "Hools" erschienen ist, war es schon friedlicher. Das hat sich aber damals schon gewandelt und ist natürlich heute noch mal ganz anders. Da ist so eine Art von Professionalisierung geschehen, wenn man über die Körperlichkeit spricht, über die Kämpfe – sei es jetzt unter Hooligans, die sich wirklich nur unter Eingeweihten treffen, so dass es gar nicht erst dazu kommen kann, dass Unbeteiligte zu Schaden kommen... Wobei ich jetzt gar nicht ausschließe, dass Ultras auch Hooligans sein können und es auch im Stadion oder auf den Fahrten gewalttätig werden kann. Es ist halt wie mit allem: Man muss es differenziert sehen.
Pyrotechnik ist eines der gravierenden Sicherheitsprobleme direkt im Station – hier sind es Magdeburger Fans.
MDR KULTUR: Nach dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes stellt sich allerdings auch die Frage: Wird es die harten Fans interessieren oder von Gewalt abhalten, wenn sie wissen, dass ihr Verein für Polizeieinsätze oder ähnliches zahlen muss.
Philip Winkler: Der Ton macht die Musik. Ich glaube, das kommt ganz darauf an, wie die Vereine mit ihren eigenen Fans sprechen. Wenn von Vereinsseite nichts passiert und abgeblockt wird und nur der dicke, fette Zeigefinger gehoben wird: "Wegen euch geht uns die ganze Kohle flöten..." Ja, gut – ich habe schon diese Gegenkultur gegen den modernen Fußball erwähnt. Ich kann mir gut denken, dass es für manche in Fanszenen eben auch eine Motivation ist, gerade etwas zu starten, weil es natürlich dann den Vereinen, die inzwischen Konzerne und teilweise Aktiengesellschaften sind, an die Kohle geht.
Polizeieinsätze bei Bundesliegaspielen sorgen für enorme Kosten – in Zukunft müssen dafür auch die Vereine selbst aufkommen.
Das Geld ist der Streitpunkt, der allem zugrunde liegt, in Bezug auf Fans- und Vereinsbeziehungen. Ich glaube, die Vereine müssen auch teilweise umdenken. Dass man versteht: Okay, das ist jetzt das Urteil, so wird es wahrscheinlich kommen. Dann habe ich eben nicht nur ein Budget für Infrastruktur, für Transfers und Gehälter, sondern ich muss – im doppelten Sinne – auch mehr in die Fankultur investieren. Also Leute anstellen, Fanprojekte starten und, wenn Hochrisikospiele passieren, ab jetzt damit rechnen, dafür zu bezahlen.
Quellen: MDR KULTUR (Annett Mautner), redaktionelle Bearbeitung: lm, sg