Toursieger Tadej Pogacar Spektakulär, offensiv, dominant - und angezweifelt
Tadej Pogacar gewinnt zum dritten Mal die Tour de France. Der Slowene ist eine Ausnahmeerscheinung, der mit seiner offensiven Fahrweise die Fans begeistert. Aber seine Übermacht in diesem Jahr wirft auch Fragen auf.
Eine gute Stunde, nachdem er seinen dritten Sieg bei der Tour de France endgültig vollbracht hatte, erlebte Tadej Pogacar doch noch einen Moment der Furcht. "Ich habe ein bisschen Angst jetzt", sagte der Slowene, als man ihm das Mikrofon gereicht hatte, damit der ins Gelbe Trikot gekleidete Übermächtige noch ein paar Sätze ans gemeine Volk richten konnte. "Ich bin nicht vorbereitet."
Aber natürlich ging Pogacar dann doch alles ganz flüssig von den Lippen, der Dank an das Team, die Sponsoren, die Organisatoren, die Radsportfans und seine Konkurrenten. "Es war eine verrückte Reise", sagte Pogacar, "diese Tour war eine der verrücktesten in der Geschichte."
Alleinherrschaft über drei Wochen
Das kann man so sehen, wenn man die Alleinherrschaft dieses jungen Mannes in den vergangenen drei Wochen verfolgt hat. Als hätte es noch eines weiteren Beweises seiner Übermacht gebraucht, hatte Pogacar natürlich auch das abschließende Zeitfahren dominiert. "Das ist die beste Ära des Radsports", sagte Pogacar. "Wir können alle stolz sein, diese Zeit des Radsports zu erleben."
Das sehen vermutlich nicht alle so. Vor allem nicht jene mit weniger Talent gesegneten Radprofis, die sich dieser Übermacht stellen müssen, bei der nur Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel ansatzweise mithalten konnten. Längst hat sich in weiten Teilen des Pelotons eine Art Fatalismus breitgemacht. Die Normalsterblichen lächeln inzwischen nur noch müde, wenn sie zu den Leistungen des Toursiegers befragt werden.
Der beste Radprofi dieser Ära
Denn da ist eben Tadej Pogacar, eine Ausnahmerscheinung, der beste Radprofi dieser Ära. Und wer weiß, wenn er in ein paar Jahren seine Karriere beendet, vielleicht sogar der Beste aller Zeiten. Noch trägt Eddy Merckx, den sie den "Kannibalen" nannten, diesen inoffiziellen Titel, aber Pogacar ist ja erst 25 Jahre alt. Er hat bei seinen fünf Tour-Teilnahmen schon 17 Etappen gewonnen. Allein in diesem Jahr waren es sechs.
An "Kannibalismus" mangelt es also auch dem Slowenen nicht. Er lässt allenfalls ein paar Krümel für die Konkurrenz übrig, sodass ausgerechnet Merijn Zeeman, der Sportchef von Vingegaards Team Visma-Lease A Bike, das in den vergangenen beiden Jahren die Tour de France dominierte, bezweifelte, ob diese Unersättlichkeit für Pogacars Popularität förderlich sei.
"Es ist ein Sport, in dem man gewinnen will, gewinnen muss und bezahlt wird, zu gewinnen", sagt Pogacar dazu. "Man steht unter Druck und muss abliefern. Wenn man das nicht tut, ist das nicht gut für dich. Man muss immer nach dem Sieg greifen, wenn man kann."
Pogacar fährt auf Attacke - immer
Tatsächlich ist Pogacars Art Rad zu fahren spektakulär und zumindest bislang bei den Fans äußerst populär. Der Slowene fährt auf Attacke - immer. Einen Vorsprung in der Gesamtwertung nur verwalten, so wie es der viermalige Toursieger Christopher Froome und das Team Sky einst taten - bei Pogacar ganz undenkbar.
Radsport sei ein Spiel, hat er während der Tour de France gesagt. Und spielerisch leicht fährt er dann allen davon. "Sein Flow auf dem Rad und abseits davon, die Art und Weise wie er im Peloton schwebt, begeistern", schwärmt sein Teamkollege Pawel Siwakow. "Er ist wirklich ein ganz besonderer Fahrer."
Der nun zum dritten Mal die Tour de France gewonnen hat. Bei seinem ersten Toursieg 2020 gelang ihm ein Coup beim Zeitfahren hinauf zur Planche Des Belles Filles in den Vogesen, als er seinem Landsmann Primoz Roglic das Gelbe Trikot am vorletzten Tag noch entriss - ein Schockmoment. Beim zweiten Triumph war Pogacar dann praktisch konkurrenzlos, weil Roglic stürzte und ausschied.
Dafür betrat 2021 erstmals ein junger Däne die große Bühne, in dem Pogacar ein Rivale erwuchs: Jonas Vingegaard war für Roglic an die Spitze des Teams Jumbo-Visma gerückt und wurde Zweiter. In den beiden darauffolgenden Jahren wiesen Vingegaard und sein Team Pogacar in die Schranken. 2022 besiegten sie ihn mit einer glänzenden Taktik, 2023 ging Pogacar geschwächt von einem Sturz im Frühjahr ins Rennen. "Die Realität war, dass ich weder körperlich noch mental bereit war", sagt Pogacar rückblickend.
Pogacar hat das beste Team um sich
Diesmal war es Vingegaard, der geschwächt von einem veheerenden Sturz im April bei der Baskenland-Rundfahrt zur Tour kam. Dort traf er zudem auch noch auf "die beste Version" von Tadej Pogacar, wie der Slowene selbt erklärte.
Unterstützt wurde er zudem von der besten Mannschaft im Feld. Fahrer wie Adam Yates, Joao Almeida oder Juan Ayuso, der das Rennen erkrankt beenden musste, wären anderswo selbst Kapitäne. Beim UAE-Team fungieren sie als Helfer. Und mit Tim Wellens und dem Kölner Nils Politt hatte Pogacar zwei tempoharte Fahrer an seiner Seite, die das Fahrefeld immer wieder in den Schmerzbereich schickten.
Pogacar leitet diese Truppe entsprechend seines Gemüts, treibt sie zur Attacke, ohne dabei seine Lässigkeit zu verlieren. Als "gelassen und locker", beschreibt Politt seinen Kapitän. "Und im Rennen macht er schon die Ansagen und im Endeffekt auch die Taktik." Er sei "kein autoritärer Chef", sagt auch Pogacar von sich selbst. Dafür gebe es ja die sportliche Leitung und das Teammanagement. "Ich mache nur meine Arbeit und wenn man sieben Fahrer um sich herum hat, die genau wissen, was zu tun ist, muss man nicht viel sagen."
Aus Leichtigkeit erwächst Dominanz
Wozu auch, wenn der Chef es dann am Ende verlässlich richtet. "Ich habe mehr Erfahrung, was dazu führt, dass ich nicht mehr so viele Fehler mache. Manchmal, wenn man im Rennen ängstlich ist, wählt man die falsche Strategie", sagte Pogacar, "aber in diesem Jahr habe ich auf dem Rad nie wirklich Stress verspürt."
Aus dieser Leichtigkeit des Seins erwuchs Pogacars Dominanz in diesem Jahr. Das galt auch schon beim Giro d'Italia, den er im Mai mit fast zehn Minuten Vorsprung gewann. Auch dort fuhr er den Konkurrenten einfach davon. Genau wie jetzt bei der Tour de France. Womit Pogacar der erste Radprofi seit Marco Pantani 1998 ist, der beide große Landesrundfahrten in einem Jahr gewonnen hat.
Der Italiener Pantani, der 2004 an einer Überdosis starb und ein führender Vertreter der Hoch-Doping-EPO-Jahre des Radsports war, war bei dieser Tour stets präsent. Nicht nur wegen Pogacars Giro-/Tour-Double. Die 2. Etappe, in deren Finale Pogacar in Bologna erstmals seine Konkurrenten attackierte, war in Pantanis Heimatort Cesenatico gestartet. Und dann übertraf der Slowene auch noch Pantanis Rekordzeit von 1998 auf dem Anstieg zum Plateau de Beille in den Pyrenäen um mehr als dreieinhalb Minuten.
Kipppunkt auf dem Plateau de Beille
Das war einer jener Kipppunkte, wie sie die Tour de France in jedem Jahr erlebt. Wo die Begeisterung über das Ereignis der Skepsis über die Darbietung weicht. Im vergangenen Jahr war es der überlegene Sieg von Jonas Vingegaard im Zeitfahren nach Combloux, der Wellen der Erschütterung durch den Tourtross jagte. Diesmal Pogacars Leistung auf dem Weg hinauf zum Plateau de Beille.
Seit diesem Tag wurden Erklärungen gesucht. Das bessere Material, Aerodynamik, ausgeklügelte Ernährungs- und Trainingspläne, die Verwissenschaftlichung des Radsports, das deutlich höhere Budget der großen Teams wie UAE und Visma-Lease A Bike und die Gene des Slowenen, die ihm eine besondere Regenerationsfähigkeit ermöglichen und ihn am Ende einer Etappe noch stärker werden lassen sollen.
Das alles dürfte ein Teil der Erklärung sein, aber reicht das, um all die Zweifel auszuräumen? Es geht ja weniger um das Brechen der Rekorde als um den Abstand zum Rest des Pelotons. "Der technische Fortschritt betrifft die 150 Fahrer im Rennen, also kann das nicht in Betracht kommen, außer im Vergleich zu Pantani und Armstrong, da hat es Entwicklungen gegeben. Aber solche Abstände?", hat Stéphan Heulot, der Teammanager des belgischen Teams Teams Lotto-dstny, in diesen Tagen gegenüber der französischen Sportzeitung "L'Equipe" erklärt.
"Es wäre dumm, seine Gesundheit zu riskieren"
Was also dann? Doping oder nur das Ausloten von Grauzonen und Grenzen des Erlaubten? "Man muss über Beweise sprechen und ohne Beweise klagt man nicht an" sagte Heulot. "Wir wollen uns nicht vorstellen, dass wir zu dieser Art des Betrugs zurückgekehrt sind, sonst ist das das Ende unseres Sports."
Pogacar weiß um die Zweifel, er kennt ja auch die Geschichte des Radsports. "Irgendwer wird immer eifersüchtg sein, es wird immer die Hater geben, aber wenn es die nicht gäbe, wäre man auch nicht erfolgreich", sagte Pogacar in Nizza. Die Welt-Antidoping-Agentur (WADA) und der Welt-Radsportverband UCI hätten viel Zeit und Geld investiert, um den Radsport zu säubern. "Außerdem wäre es super dumm, irgendetwas zu nehmen, womit man seine Gesundheit riskiert, nur für ein bisschen Radrennen. Es ist doch nur ein Spiel, es macht Spaß, man will gewinnen, aber es ist nicht alles."
Pogacar wird dieses Spiel noch ein paar Jahre weiter spielen. Und dabei wohl auch weiter Geschichte schreiben, obwohl er sich dafür gar nicht interessiert, wie er sagt. Und dann irgendwann wird man sehen, ob diese Geschichte von Dauer ist.