Mega-Deal im Radsport? Jumbo-Visma und Soudal Quick-Step offenbar vor der Fusion
Die Radsportwelt ist im Umbruch. Es verfestigen sich Hinweise, dass das erfolgreichste Rundfahrtteam dieser Saison, Jumbo-Visma, mit dem über viele Jahre die Klassikerrennen dominierenden Rennstall Soudal Quick-Step fusionieren will. Ergebnis wäre nicht nur ein Superteam, sondern auch mehrere Dutzend Fahrer und Angestellte, die plötzlich ohne Job dastehen. Ein mittleres Beben deutet sich an.
Radsport ist ein rasanter Sport. Gerade noch haben drei Profis des Teams Jumbo-Visma das Podium der Europameisterschaften besetzt. Der Franzose Christophe Laporte gewann vor dem Belgier Wout van Aert und dem Niederländer Olav Kooij. Das erinnerte an den Ausgang der Spanienrundfahrt vor gut einer Woche. Die sah mit Sepp Kuss, Jonas Vingegaard und Primoz Roglic ebenfalls ein Jumbo-Trio auf dem Siegerpodest.
Kaum aber hatten die EM-Kämpen den ehemaligen Müllberg verlassen, auf dem die Europameisterschaft ausgetragen wurde, elektrisierte die Nachricht die Szene, dass ein Teil der erfolgreichen Jumbo-Visma-Athleten sich wohl einen neuen Arbeitgeber besorgen muss. Denn offenbar planen die Manager von Jumbo-Visma und Soudal Quick-Step einen Zusammenschluss.
Überraschung bei Managern, Agenten und Athleten
"Als ich das heute morgen gelesen habe, hat mich das schon überrascht", sagte Ralph Denk, Chef des deutschen Rennstalls Bora-hansgrohe, der Sportschau. Denk wollte sich noch nicht allzu tief mit den Folgen beschäftigen. "Noch ist das ja ein Gerücht, das sich erst noch bestätigen muss", meinte er vorsichtig. Stand jetzt halte er auch noch nicht Ausschau für seinen Kader auf dem nun größer werdenden Fahrermarkt, bemerkte er. Aber für realistisch halten das Projekt viele.
Ralph Denk, Teammanager des Radsportteams Bora-hansgrohe
"Ich halte es für glaubwürdig", sagte etwa Jörg Werner, langjähriger Berater vor allem von deutschen Radprofis. "Es hat mich jetzt schon im ersten Augenblick überrascht", gestand er der Sportschau. "Aber je mehr ich drüber nachdenke, desto mehr Sinn ergibt das", meinte er.
Finanzprobleme bei Soudal Quick Step
Denn um Soudal Quick-Step gibt es seit Jahren Gerüchte über knappe Budgets. Teamchef Patrick Lefevere kokettierte gegenüber der Sportschau immer wieder mit seinem Geschick, gerade noch so das Geld für den Kader zusammenzubekommen, aber bei weitem nicht mit den Etats der Branchenführer mithalten zu können. Auch musste der tschechische Bergbauunternehmer Zdenek Bakala, dem der Rennstall seit 2010 mehrheitlich gehört - aktuell zu 80 Prozent -, in den vergangenen Jahren Vermögenseinbußen hinnehmen. 2015 verschwand er aus der Milliardärsliste bei Forbes. Im vergangenen Jahr wurde sein Vermögen auf 18 Milliarden Kronen - etwa 740 Millionen Euro - taxiert.
Dass er aussteigen will und sich vielleicht auch der mittlerweile 68-jährige Rennstallmanager Lefevere einen anderen Lebensabend vorstellt, kommt also nicht prinzipiell überraschend. "Ich habe eher damit gerechnet, dass ein anderes Team Soudal Quick-Step aufkauft", vermutete Adam Hansen, Ex-Profi mit Sitz in Tschechien, der Heimat Bakalas also, und Präsident der Fahrergewerkschaft CPA, im Gespräch mit der Sportschau.
Profiteur Ineos Grenadiers?
Gerüchte über eine Übernahme von Soudal Quick-Step durch Ineos Grenadiers gab es bereits im Sommer. Die Rennställe selbst wollten damals nichts bestätigen. Auch jetzt reagierten die Teamsprecher schmallippig. "Kein Kommentar dazu", sagten unisono die Sprecher von Jumbo-Visma, Soudal Quick-Step und Ineos Grenadiers.
Als Folge der Gespräche im Sommer könnte allerdings der Belgier Remco Evenepoel zu Ineos Grenadiers gehen. Der britische Rennstall hat bezeichnenderweise Platz im Kader geschaffen: Für die kommende Saison sind bislang nur 15 Fahrer verpflichtet. "Ineos hat die Baustelle, wieder einen Grand-Tour-Sieger zu haben. Das könnte also passen. Ob es hingegen Sinn macht, in einem Team Vingegaard, Kuss, Roglic und Evenepoel zu haben, darf man bezweifeln", analysierte Fahrer-Agent Werner die Situation. Er betonte allerdings, dass es sich zum momentanen Zeitpunkt um Spekulationen handele.
Bald bei Ineos Grenadiers? Remco Evenepoel vom Team Soudal Quick-Step
Juristisch komplexes Verfahren
Die Frage ist nun, wie ein möglicher Zusammenschluss über die Bühne gehen könnte. "Seitens des Regelwerks der UCI gibt es da keine Hindernisse", sagte der Sportrechtsanwalt Gregor Reiter der Sportschau. "Teams können Lizenzen zurückgeben und für die freiwerdende Lizenz dürfte es genug Interessenten geben", meinte er.
In erster Linie betrifft das Teams, die zu Beginn der vergangenen Saison ihre World-Tour-Lizenzen verloren, also Lotto Dstny und Israel Premier Tech. "Es ist kein Geheimnis, dass wir gerne unsere Lizenz wiederhaben wollen", sagte eine Sprecherin des israelischen Teams. "Wir sind deswegen aber noch nicht in Kontakt mit der UCI", schränkte sie ein.
Zu viele Fahrer für ein Team
Problematischer wird es, was Fahrer und Angestellte betrifft. 29 Fahrer haben bei beiden Teams aktuell Verträge, 27 sind es bei Jumbo-Visma für die Saison 2024, 23 bei Soudal Quick-Step. Für 20 Fahrer wäre also kein Platz mehr, selbst wenn ein Teil von ihnen mit Evenepoel zu Ineos Grenadiers gehen sollte. Aber schon rein rechnerisch können nicht alle frei werdenden Profis beim neuen Superteam unterkommen.
"Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, wie man so einen Zusammenschluss machen könnte. Entweder man löst eines der Teams auf, in dem Fall wahrscheinlich Quick-Step, und lässt es auf Jumbo-Visma übergehen. Oder man bildet aus beiden ein neues Team. Das wäre dann ein klassischer Betriebsübergang", erläuterte Sportrechtsanwalt Reiter der Sportschau. Das bedeutet, Fahrer des Teams, das übernommen wird, hätten eine Einspruchsfrist gegen den Betriebsübergang. Widersprechen sie, wären sie fristlos frei und könnten zu anderen Teams wechseln. Bleiben sie, wird es komplexer. Werden sie in der Zukunft für weniger wichtige Rennen eingesetzt als eventuell im Vertrag vereinbart, könnten sie klagen.
Starke Verhandlungsposition für Fahrer
Prinzipiell haben die Arbeitsverträge Gültigkeit, auch wenn für die Fahrer kein Platz mehr im Rennstall wäre. "Die Fahrer sind hier in einer starken Position. Denn die Verträge können nur im beidseitigen Einverständnis aufgelöst werden", sagte Hansen von der Fahrergewerkschaft UCI der Sportschau. Derartige Auflösungsverträge empfiehlt auch Jurist Reiter den Rennstallmanagern. "Dann kommt der Anwalt mit dem Geldkoffer und sagt: 'Pass mal auf, für dich ist leider kein Platz mehr, hier hast du eine Abfindungssumme'", beschreibt er das übliche Szenario. Sollte allerdings eines der Teams Insolvenz anmelden, könnten betroffene Fahrer nur noch aus der Insolvenzmasse Ansprüche geltend machen.
Erfolglose Sponsorensuche bei Jumbo-Visma
Für Jumbo-Visma ergibt die Operation ebenfalls Sinn. Der Rennstall sucht nun schon seit mehr als einem Jahr nach einem Nachfolger für den spätestens im nächsten Jahr aussteigenden Hauptsponsor Jumbo. Bislang gestaltete sich die Suche offenbar so erfolglos, dass nun der Notfallplan "Zusammenschluss mit einem anderen strauchelnden Rennstall" ins Auge gefasst wird.
Bei einem Zusammenschluss würde der Radsport-Zirkus ein traditionsreiches Team mit Charakter verlieren. Betroffen wären zudem auch die Development-Teams und die Frauenrennställe auf beiden Seiten sowie das Eisschnelllauf-Team, das auch von Jumbo finanziert wird.