Radprofi Florian Lipowitz Einstand mit Bravour beim Giro d'Italia
Das Rundfahrt-Debüt des früheren Biathleten Florian Lipowitz übertraf zum Start die Erwartungen. Jetzt muss das Rundfahrt-Talent aber erkrant aufgeben.
Vor wenigen Jahren noch war Florian Lipowitz vor allem auf Skiern unterwegs und trug ein Gewehr auf dem Rücken. Inzwischen hat er ein Rennrad unter dem Gesäß und verblüffte in den ersten Tagen als Debütant beim Giro d’Italia. Sein Ausstieg wegen Krankheit am Donnerstag (09.05.2024) ist unglüccklich. Dennoch: Der 23-jährige frühere deutsche Schülermeister im Biathlon setzt derzeit die Reihe der exzellenten Seiteneinsteiger im Radsport fort, heißen sie nun Primoz Roglic (Skispringen) oder Remco Evenepoel (Fußball).
Lipowitz' Bewährungsprobe in Oropa
Die große Bewährungsprobe beim Giro d'Italia stellte sich für Florian Lipowitz gleich am zweiten Tag. Tadej Pogacar zündete beim Aufstieg zur Kapelle von Oropa seinen Turbo, so, wie man es von dem Slowenen kennt. Daniel Martinez, Kapitän von Bora-hansgrohe und Mann für das Gesamtklassement, hatte zunächst Schwierigkeiten. Der Kolumbianer schaffte aber doch den Anschluss an die Verfolgergruppe.
Dort schlug dann die große Stunde des Florian Lipowitz: Er spannte sich vor diese Gruppe, machte Jagd auf Pogacar. Den Slowenen fing er zwar nicht mehr ein. Aber wer dazwischen sein Glück versuchte, wurde von Lipowitz förmlich aufgesogen. Seine Helferarbeit ermöglichte es Martinez schließlich noch, auf Platz 2 hinter Pogacar zu sprinten.
"Wir haben als Team gut zusammengearbeitet", sagte Lipowitz nach der Etappe bescheiden. Denn vor allem seinem Einsatz war zu verdanken, dass Bora-hansgrohe sich an diesem Tag zumindest als zweiter Sieger fühlen konnte.
Ruhe für den Reifeprozess
Lipowitz bestreitet zum ersten Mal eine dreiwöchige Rundfahrt. Auf den jungen Burschen hält man im Team große Stücke. "Er hat großes Potenzial und am Sonntag hat er einen ganz großartigen Tag gehabt. Aber er ist auch noch jung, und bitte lasst ihn etwas in Ruhe. Die deutsche Presse ist wirklich aggressiv", sagt Enrico Gasparotto, sportlicher Leiter des Teams, zur Sportschau. Das Juwel vor zuviel Medienstress schützen, lautet die Parole beim Rennstall. Lipowitz soll Kraft sparen und sich nicht ablenken lassen.
Ein paar Sätze ließ er sich dennoch entlocken. "Ich denke, dass ich ganz gut in meine erste Grand Tour gestartet bin", teilte er der Sportschau mit. "Wir sind ja noch am Anfang. Deshalb fühlt sich der Körper noch recht gut an." Emotional schwimmt er auf einer positiven Welle. "Es ist etwas Besonderes, hier am Start zu sein. Die Stimmung ist mega und es macht Spaß, bei der Atmosphäre Radrennen zu fahren", bilanziert er nach den ersten Tagen des Giro.
Bei den Flachetappen von Montag bis Mittwoch konnte er es etwas lockerer angehen lassen. Die nächste Bewährungsprobe hält am Donnerstag die Schotteretappe nach Rapolano Terme bereit. "Da liegt unser Fokus natürlich wieder bei Dani Martinez. Aber Florian soll dicht bei ihm bleiben, soll ihm helfen, wie die anderen auch", sagt Gasparotto.
Lipowitz' Rolle: Wichtigster Berghelfer
In den Bergen wird Lipowitz dann aber wieder eine Sonderrolle einnehmen. "Von seiner Charakteristik her ist er derjenige, der dann am längsten bei Dani bleiben soll", sagt Gasparotto mit Blick auf die Etappen im Hochgebirge, die in der zweiten und dritten Giro-Woche anstehen.
Lipowitz weiß darum, aber er tut auch alles dafür, sich von der Last der Erwartungen nicht erdrücken zu lassen. Er hat die Freiheit, sich auszuprobieren, im Dienste der Mannschaft seine Grenzen auszuloten und sein Potenzial zu erkennen. "Es ist meine erste Grand Tour. Deshalb habe ich mir keine großen Ziele vorgenommen. Ich freue mich wenn ich in Rom ankomme. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg", erklärt er.
Durchbruch bei der Tour de Romandie
Die Vorsicht, die aus diesen Worten spricht, ist durchaus angebracht. In seiner noch jungen Karriere spürte Lipowitz schon, wie sehr einem Erkrankungen zusetzen können. Bei der Katalonien-Rundfahrt Mitte März konnte er sein Potenzial nicht ganz abrufen, weil er den Winter über erkrankt war, erzählt Gaparotto.
Bei der Tour de Romandie Ende April erfolgte mit Platz zwei auf der Königetappe, zeitgleich mit Sieger Richard Carapaz und noch vor seinem eigentlichen Kapitän Alexander Wlassow oder dem wiedererstarkten früheren Toursieger Egan Bernal, sein Durchbruch an die Weltspitze. Er beendete die einwöchige Rundfahrt als Gesamtdritter nur neun Sekunden hinter dem Sieger Carlos Rodriguez.
Talentprobe schon mit neun Jahren
"Vom Biathlon bringt er das Ausdauertalent mit", benennt Gasparotto den wichtigsten Vorteil des Umsteigers. Auf dem Rad saß er aber auch schon ganz früh. Mit neun Jahren bestritt er - gemeinsam mit seinen Eltern damals – seinen ersten Radmarathon. Er nahm "die kleine Runde", erinnerte er sich - die maß 120 Kilometer. In seiner Zeit als Biathlet nutzte er den Radsport als Ausgleichsport im Sommer. Und schlug bei den Radmarathons dann die versammelte Elite in dieser Disziplin.
Jetzt sind die Dimensionen andere. Drei Wochen lang muss er jeden Tag eine Art Radmarathon an den anderen reihen. Die längste Rundfahrt, die er bisher absolvierte – die Türkeirundfahrt im vergangenen Jahr – ging über acht Tage. Bald also dringt Florian Lipowitz in für seinen Körper bisher unbekanntes Terrain vor.
Es handelt sich aber um eine Expedition, auf die er sich freut – und die auch darüber Auskunft geben wird, ob der deutsche Radsport mal wieder über ein echtes Talent für die großen Rundfahrten verfügt.