Reiter im Wald

Springreiterin Lisa Marie Kreutz und ihre Kampagne "Use Your Voice Equestrian" Sexualisierte Gewalt im Reiten: Über Instagram Betroffene erreichen

Stand: 22.02.2021 20:04 Uhr

Als erster Sportverband will die Deutsche Reiterliche Vereinigung, FN, einen Betroffenenrat einrichten, der das Thema Aufarbeitung sexualisierter Gewalt angehen soll. Die FN setzt dabei auch auf die Unterstützung einer Profireiterin und ihrer Social-Media-Kampagne.

Reiten ist der einzige Sport, mit einem Tier als Sportpartner. Die Liebe zum Pferd zieht besonders junge Mädchen in die Reitställe. "Nirgendwo sonst findet man einen so treuen Freund", beschreibt Springreiterin Lisa Marie Kreutz die Beziehung zu ihren beiden Pferden Clintas und Icemen. "Ich genieße die Zeit im Stall sehr. Dort kann man sehr gut abschalten und egal in welcher Phase des Lebens man sich befindet, mit einem Pferd an der Seite ist man immer gleich ein bisschen stärker", so die 22jährige, die als Profireiterin auf internationalen Turnieren startet.

Sexualisierte Gewalt: Täter bauen Abhängigkeiten auf

Die Begeisterung vor allem junger Mädchen für das Pferd kann aber auch eine Gefahr bergen für sexuelle Übergriffe. Potenzielle Täter bauen gezielt ein Abhängigkeitsverhältnis zu jungen Reiterinnen auf, über Einzelunterricht oder das Angebot, ein tolles Pferd auf Turnieren reiten zu dürfen. Vergünstigungen, die die Betroffene nicht verlieren will. Sie schweigt, wenn es zu sexuellen Handlungen kommt.

"Das ist Erpressung", analysiert Maria Schierhölter-Otte. Sie bearbeitet das Thema sexualisierte Gewalt bei der FN in Warendorf seit Jahren und berichtet von Fällen, "wo der Täter seinen späteren Opfern gesagt hat, 'ich gebe die Pferde alle zum Schlachter, wenn du mich anzeigst'."

Täterstrategien wie diese waren auch Thema eines Workshops, den der Verband vor einigen Monaten durchgeführt hat. Es ging um eine Risikoanalyse, das Erkennen von Faktoren, die den Reitsport angreifbar machen für sexuelle Übergriffe.

Bei diesem Workshop war auch Lisa Marie Kreutz dabei. Ihre Reitsportkarriere hat im Teenageralter begonnen. Damals hat auch sie Erfahrungen gemacht mit sexualisierter Gewalt in ihrem Sport: "Da gab's einen Vorfall auf einer Reiter-Party. Und nach einem weiteren Vorfall im Reitsport hatte ich das große Glück, dass meine Familie hinter mir stand, sich um mich gekümmert hat, und ich die Hilfe bekommen habe, die ich gebraucht habe."

Kampagne bei Instagram

Dass sexualisierte Gewalt schon weit vor körperlichen Übergriffen beginnt, musste Lisa Marie Kreutz im weiteren Verlauf ihrer Karriere durch die sozialen Medien erfahren: "Man postet ein Bild von sich und seinem Pferd. Man hat eine Reithose an. Das ist unsere Sportkleidung, unsere Arbeitskleidung. Und dann gibt es darunter Kommentare wie 'Ja, geiler Arsch, kann ich den mal auch ohne Reithose sehen?' Oder man bekommt ja einfach viele Nachrichten mit sexualisierten Inhalten. Das hat mich wütend gemacht, weil ich gesagt habe, ich bin Athletin und ich möchte auch als Athletin wahrgenommen und respektiert werden."

Ihre Erfahrungen habe sie 2019 in einer Story im sozialen Netzwerk Instagram veröffentlicht und dort eine Kampagne gestartet: "Use your voice equestrian", Hashtag #uyve. "Und dann habe ich sehr viele private Nachrichten bekommen, von so vielen Betroffenen, die mir von ihren Erlebnissen berichtet haben und mir dann erlaubt haben, ihre Geschichte anonym in meiner eigenen Instagram-Story zu veröffentlichen. Einfach um aufzuzeigen, wie enorm breit gefächert und schlimm das Problem ist, was existiert und dass wir halt nicht länger wegsehen dürfen."

Auch Betroffene aus dem Reitsport hätten ihr geschrieben, von Übergriffen durch Trainer, Reitlehrer oder Stallbekanntschaften. "Aber niemand hat darüber gesprochen. Ich dachte mir halt einfach, dass das nicht sein kann, weil das aufhören muss. Und man muss den anderen Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind, sondern dass es viele andere gibt, denen, denen es ganz genauso geht."

Inzwischen hat "Use your Voice equestrian" eine eigene Homepage. Darauf unter anderem: Kontakte zu einer Psychologin und einer Fachanwältin sowie Informationen zu Hilfetelefonen und Anlaufstellen.

FN reagiert auf Kritik

Auf Lisa Marie Kreutz und ihre Kampagne ist auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN aufmerksam geworden. Bei der FN würden sich eher Betroffene melden, die vor längerer Zeit sexuelle Übergriffe erfahren haben, schildert Maria Schierhölter-Otte. Lisa Marie Kreutz spricht mit ihrer Aktion über andere Kanäle eine jüngere Zielgruppe an.

Das passe wunderbar zusammen, so Schierhölter-Otte. Die Hürde, sich beim Dachverband in Warendorf zu melden, sei eine ganz andere, "als sich über Instagram bei Lisa Marie Kreutz zu melden und zu sagen: 'Hier, ich weiß auch was oder mir ist das passiert‘'" Sie sei greifbar gewesen, bestätigt Lisa Marie Kreutz, habe Aufklärungsarbeit betrieben auch, "um den anderen Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind".

In seinem Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt musste der Verband zum Teil Kritik einstecken. Etwa, weil er einem verurteilten Sexualstraftäter die Turnierlizenz nicht entzog, sodass dieser während des Hafturlaubs auf einem Turnier antreten konnte, auf dem auch das Mädchen startete, das ihn angezeigt hatte.

"Wir sind ein lernender Verband", entgegnet Maria Schierhölter-Otte darauf, inzwischen sei an einigen Stellen das Regelwerk angepasst. Gelernt hat die FN auch aus dem Workshop zur Risikoanalyse. Da sei der wichtigste Punkt für die Teilnehmenden die Einrichtung eines Betroffenenrates gewesen. Ziel: Den Menschen zuhören, aus der Vergangenheit lernen.

Kreutz bewirbt sich für Betroffenenrat

Betroffene einbinden, die Vergangenheit aufarbeiten – dass das wichtig ist, um funktionierende Präventionskonzepte für die Zukunft zu machen, hat der organisierte Sport inzwischen verstanden. Auch der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB und seine Jugendorganisation, die Deutsche Sportjugend, dsj haben angekündigt, in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf die Aufarbeitung legen zu wollen.

Die FN hat in diesem Punkt bereits gehandelt: Als erster Fachverband im deutschen Sport richtet sie jetzt mit Unterstützung der Psychologin Julia von Weiler von der Kinderschutzorganisation "Innocence in Danger" einen Betroffenenrat ein. "Ob das der richtige Weg ist, ob es irgendwann andere Fachverbände gibt, die es anders machen, wissen wir nicht", so Maria Schierhölter-Otte. "Aber wer nichts macht, macht nichts verkehrt. Und das wollten wir eben nicht abwarten und haben gesagt: So, wir fangen da jetzt mit an!"

Bis Mitte April können Betroffene sexualisierter Gewalt im Reitsport beim Verein "Innocence in Danger" ihr Interesse an einer Mitarbeit im Betroffenenrat bekunden. Dann wählt ein Gremium zehn Personen aus, die aus möglichst allen Bereichen des Pferdesports kommen sollen.

Auch Lisa Marie Kreutz hat ihre Bewerbung für den Betroffenenrat angekündigt: "Weil ich jetzt schon so nah an dem Thema dran bin und schon so viele, ja erschreckende Erlebnisse gehört habe, die mich natürlich immer weiter antreiben, noch mehr dagegen zu tun und weiter dagegen anzukämpfen, aber eben auch so viele tolle Fortschritte beobachten durfte, die ich jetzt natürlich auch vorantreiben möchte."