Missbrauch im Fußball "Wir dachten, es gehört dazu"
Das Duisburger Landgericht hat einen Fußballtrainer zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Mann hatte zwei Spielern zum Teil schwere sexuelle Gewalt angetan und die Taten gefilmt. Kein Einzelfall: Auch in München und Frankfurt geht es um Fälle emotionaler, sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung zahlreicher minderjähriger Jungen im Fußball.
Der Duisburger Trainer kannte die insgesamt drei betroffenen Kinder durch den Fußball. Er hatte die Jungen zum Übernachten zu sich nach Hause eingeladen. Dort kam es zu schweren Übergriffen auf zwei der Spieler. "Meine Taten tun mir sehr leid. Ich würde alles tun um das ungeschehen zu machen", las der Verteidiger für den Angeklagten vor.
Der Trainer war nicht vorbestraft und hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Dadurch mussten die beiden Hauptbetroffenen nicht vor Gericht aussagen. All das haben Staatsanwaltschaft und Gericht strafmildernd berücksichtigt.
Nackt auf der Massageliege
Auch der Fußballtrainer, der aktuell in München vor Gericht steht, hat ein Geständnis abgelegt. Deshalb müssen die meisten der 30 Betroffenen nicht persönlich vor Gericht erscheinen. Stattdessen werden die Videoaufzeichnungen ihrer Aussagen vor dem Ermittlungsrichter im Gerichtssaal gezeigt. "Wir haben den Eindruck gehabt, es gehört dazu", sagt ein junger Zeuge in der Videovernehmung. Mit "es" meint er die sogenannten "Behandlungen" durch den ehemaligen Trainer. Der führte bei den Jungen eine Physiotherapie durch, eine entsprechende abgeschlossene Ausbildung hat er nicht.
Die Behandlungen fanden meistens in einer Umkleidekabine der Sportanlage statt. Dort haben die Spieler nackt auf der Massageliege gelegen. Die Tür hatte der Trainer von innen verschlossen. Seine Manipulationen am Penis der nackten Jungen habe er als "wichtig für die Durchblutung" bezeichnet. Ein Eindringen mit dem Finger in den Analbereich als "zweiten Weg", Schmerzen im Hüftbeuger zu therapieren.
So sei es bei ihm abgelaufen, schildert ein junger Spieler und fügt gleich hinzu, Sekunden danach seien die Schmerzen weg gewesen. Untereinander hätten sie über die sogenannten "Behandlungen" gesprochen und Witze darüber gemacht. Ein "running gag" sei es gewesen, schildern einige Spieler übereinstimmend. Und: "Alle wussten, dass es komisch war, aber nichts ist nach außen gedrungen." Durch einen Zufall kam alles ans Licht. Einige Zeit später später brachte eine Anzeige die Ermittlungen ins Rollen. 30 betroffene Spieler listet die Anklage auf, tatsächlich dürften es deutlich mehr sein.
Trainer bei Profiklubs
Der Trainer galt als absoluter Fußball-Experte, hatte lange Jahre den Nachwuchs eines Profivereins betreut. Allein das machte den Trainer in den Augen der Jungen zu einer Respektsperson. "Was er gesagt hat, wurde gemacht", schildern diese und berichten auch von strengen Disziplinarmaßnahmen. Zum Beispiel von zweiwöchigem Trainingsverbot fürs Zuspätkommen. Auf der anderen Seite habe er aber ein Probetraining bei dem Profiklub organisiert, berichtet einer der Zeugen.
Auch der Frankfurter Trainer hatte den Nachwuchs eines Profivereins trainiert und war für diverse Fußballklubs in der Region tätig. Das Urteil gegen den Mann ist schon vor knapp einem Jahr gefallen: Zwölf Jahre und neun Monate Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Der Trainer hatte die Kinder, die er vom Fußball kannte, zum Teil mit Medikamenten und Alkohol bewusstlos gemacht, sie dann sexuell missbraucht und die Taten gefilmt. Laut Informationen der Nebenklagevertretungen waren die Dosierungen der Betäubung zum Teil so hoch, dass sie für die Kinder auch tödlich hätten sein können. Hier mussten die elf betroffenen Spieler persönlich vor Gericht aussagen. Die Öffentlichkeit war daher meistens vom Prozess ausgeschlossen.
Neuer Prozess notwendig
Nicht jedoch bei der Aussage eines Sachverständigen. Da hatte das Gericht allerdings versäumt, die vor dem Saal Wartenden wieder einzulassen. Ein Verfahrensfehler, der Fall ging vor den Bundesgerichtshof. Der urteilte Mitte Februar: Der Prozess muss in Teilen neu aufgerollt werden. Aktuell sieht es so aus, als müssten sieben der Betroffenen noch einmal aussagen. "Eine Katastrophe", schildert eine Nebenklagevertreterin, was eine erneute Aussage für ihren Mandanten bedeuten könnte.
Ein umfassendes Geständnis des Beschuldigten gleich zu Beginn des nun notwendigen neuen Verfahrens könnte das möglicherweise verhindern. Ob es so kommen wird? Die Richterin am Bundesgerichtshof hat den beschuldigten Trainer als gefühlskalten Menschen beschrieben, mit einer hohen kriminellen Energie.
Wie der Angeklagte in München hat auch der Trainer aus Frankfurt jahrelang in diversen Vereinen zahlreiche Teams trainiert. "Es gibt jede Menge Geschädigte", ist sich eine der Nebenklagevertreterinnen in Frankfurt sicher. Und auch bei dem Fall in München gibt es laut Staatsanwaltschaft deutlich mehr Betroffene als in der Anklage aufgeführt. Auch der in Duisburg Verurteilte war Jahrzehnte als Fußballtrainer aktiv. Die Ermittlungen haben aber offenbar keine Hinweise auf weitere Betroffene ergeben.
Leichter Zugang zu Kindern
Der Deutsche Fußballbund hat mehr als sieben Millionen Mitgliedschaften, ist mit Abstand der größte Sportverband in Deutschland. Knapp eine halbe Million Jungen zwischen sechs und 18 Jahren sind in deutschen Fußballvereinen organisiert. Viele von ihnen haben den Traum, ihren Idolen nachzueifern, wollen Profi werden.
"Personen mit Tatabsichten haben im Fußball aufgrund des hohen Bedarfs an Ehrenamtlichen leichten Zugang zu Kindern und Jugendlichen", stellt Bettina Rulofs fest. Die Sportsoziologin und ihr Team haben in vielen Studien das Ausmaß sexualisierter Gewalt im Sport erforscht. Darin zeigt sich: Täter gehen strategisch vor, versprechen hier ein Probetraining bei einem Profiklub, knüpfen Freundschaften mit Eltern der Spieler, bieten ihre Hilfe in schwierigen Situationen an.
Personen mit dieser Strategie benutzen die Fußballbegeisterung der Kinder und Jugendlichen zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse. Studien, zum Ausmaß emotionaler, körperlicher oder sexualisierter Gewalt speziell im Fußball gibt es nicht. Allerdings betont Bettina Rulofs im Gespräch mit der Sportschau: "Allein aufgrund der großen Zahl von Kindern und Jugendlichen im Fußball liegt es nah, dass dort besonders viele Fälle vorkommen."
Aufarbeitung notwendig
Der Deutsche Fußballbund hat das Thema auf dem Schirm, baut Kinderschutz und Prävention verstärkt in die Trainerausbildung ein. Seit kurzem müssen Profiklubs ein Kinderschutzprogramm in ihren Nachwuchsleistungszentren vorweisen, um die Lizenz zu bekommen. Überprüft wird die Umsetzung allerdings nicht. Eine systematische, unabhängige Aufarbeitung von emotionaler, körperlicher und sexualisierter Gewalt im Fußball gibt es bisher allerdings nicht.