Symbolbild Fußball

Sexualisierte Gewalt Urteil gegen Fußballtrainer rechtskräftig

Stand: 21.06.2024 09:45 Uhr

Das Landgericht München I verurteilte Anfang März einen Fußballtrainer zu siebeneinhalb Jahren Haft. Der Mann hatte seinen Spielern in mehr als 600 Fällen sexuelle Gewalt angetan, bis hin zur Vergewaltigung. Jetzt ist das Urteil rechtskräftig. Die Betroffenen sind erleichtert.

"Auf jeden Fall ist es ein Abschluss, jetzt kann ich einen Strich darunter setzen, soweit das möglich ist". So reagiert einer der betroffenen ehemaligen Spieler, den wir Henry nennen, als er erfährt, dass das Urteil rechtskräftig ist.

Jetzt blickt er positiv gestimmt in die Zukunft. Das war so bisher nicht möglich. Denn nach dem Urteil hatten sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft zunächst Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof hätte prüfen müssen, ob es Verfahrensfehler gegeben hat und der Prozess gegebenenfalls von vorne hätte beginnen müssen.

Auch Staatsanwaltschaft zieht Revision zurück

Das hätte sich über Monate, wenn nicht Jahre hinziehen können. Die Betroffenen hätten lange nicht mit dem Fall abschließen können. Das ist nun abgewendet. Denn nach der Verteidigung hat jetzt auch die Staatsanwaltschaft München I die Revision zurückgenommen. Sie habe das schriftliche Urteil geprüft, schreibt die Strafverfolgungsbehörde der Sportschau.

Das Gericht habe die Punkte, in denen die Staatsanwaltschaft anderer Ansicht sei "fundiert begründet". Diese Begründungen seien "juristisch vertretbar". "Daher hätte es kaum Aussicht auf Erfolg, diese Punkte in der Revision anzugreifen."

"Ganz vergessen kann man nie"

Für die im Urteil genannten 25 betroffenen Fußballer ist die juristische Seite der Taten damit abgeschlossen. Die persönliche Aufarbeitung wird jeder der jungen Männer selbst angehen. "Ganz vergessen kann man das nie", sagt Henry, "aber man kann so damit umgehen, dass es den Alltag nicht beeinträchtigt und man gut damit leben kann."

Sein ehemaliger Trainer missbrauchte über Jahre sein Vertrauen und das seiner Teamkollegen: Der Verurteilte hatte seinen Spielern vorgegaukelt, er sei Physiotherapeut. Mit seinen sogenannten "Behandlungen" fördere er die Durchblutung und mache sie so fit für das nächste Spiel, behauptete er. Tatsächlich dienten die "Behandlungen" dem Verurteilten dazu, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen stellte das Gericht fest. Eine physiotherapeutische Ausbildung hatte der Trainer nicht.

Macht- und Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt

Henry hat diese sogenannte "Physiotherapie" im Alter zwischen 16 und 19 über sich ergehen lassen. In der Sport-inside-Dokumentation "Ich bin stärker als Du", hatte er eindrücklich geschildert, wie der Trainer ihn und seine Teamkollegen manipulierte, das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis ausnutzte.

Der Verurteilte lockte die Spieler in eine emotionale Falle, um dann die sexuellen Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung zu begehen. Das wurde auch in den zahlreichen Videoaussagen der betroffenen Spieler deutlich, die während des Prozesses im Gerichtssaal eingespielt wurden.

"Er war eine absolute Autoritätsperson", beschreibt Henry in der Sport-inside-Dokumentation den Täter. "Jeder wusste, was er sagt, hat Gewicht. Was er sagt, macht Sinn. Wir wussten auch alle, er war bei Profiklubs. Er hat Ahnung. Also, wir waren wirklich dankbar, dass wir unter ihm trainieren und spielen durften."

"Empathiearm und hochmanipulativ"

In dem nun rechtskräftigen Urteil kommt das Gericht zu der Auffassung, der Täter verfüge "über eine hohe soziale Intelligenz". Dadurch habe er die Persönlichkeit jedes einzelnen Spielers sehr gut einschätzen können und sein Vorgehen individuell angepasst. So habe er die jungen Fußballer dazu bringen können, das zu tun, was er wollte. Die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer erklärt, das Vorgehen des Verurteilten erinnere an einen Sektenführer: "Er ist empathiearm und hochmanipulativ."

Angesichts der vielen Betroffenen und der großen Zahl der Straftaten hatte die Staatsanwaltschaft ursprünglich eine mehr als elfjährige Haftstrafe angepeilt. Dann gab es eine Verständigung: Geständnis des Angeklagten gegen mildere Strafe. So mussten die meisten der Betroffenen nicht mehr persönlich vor Gericht aussagen.

In seinem schriftlichen Urteil attestiert das Gericht dem Fußballtrainer allerdings eine "erhebliche Gefährlichkeit". Unter anderem, weil der Verurteilte gegenüber potenziellen Opfern keine Gewalt anwenden musste. Vielmehr sei er aufgrund seiner Fähigkeit zur Manipulation in der Lage gewesen, "ohne Gewalt und ohne Aufsehen zu erregen, seine sexuellen Ziele zu verwirklichen".

Dennoch verhängte das Gericht, anders als von der Staatsanwaltschaft beantragt, keine Sicherungsverwahrung. Die Begründung: Der Verurteilte wolle in der Haft eine Therapie machen, seine Familie unterstütze ihn und er habe sich bei den Betroffenen entschuldigt.

Hier habe das Gericht einen Ermessensspielraum, schreibt die Staatsanwalt auf Anfrage der Sportschau: "Diesen hat das Gericht in zulässiger Weise ausgeübt. Eine solche Ermessensentscheidung des Gerichts kann im Rahmen der Revision kaum angegriffen werden."

Weitere Ermittlungen gegen den Verurteilten

Sieben Jahre und sechs Monate muss der Verurteilte nun ins Gefängnis. Etwa ein Fünftel davon hat er bereits in der Untersuchungshaft abgesessen. Das aktuelle Urteil umfasst ausschließlich Taten, die der Trainer während seiner Zeit beim TSV Neuried begangen hat.

Seine Täterstrategie hat er aber offenbar auch in anderen Vereinen genutzt. Während des Prozesses wurde klar, dass es in mindestens einem anderen Klub zu sexualisierter Gewalt durch den Verurteilten gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sie "einige weitere Verfahren gegen den Verurteilten" führt, bei denen es um mögliche Taten im Rahmen seiner Tätigkeit bei anderen Vereinen geht, die zeitlich vor den abgeurteilten Taten einzuordnen sind." Weitere Angaben dazu machte die Behörde nicht.

Henry ist derweil neben seinem Studium als Trainer tätig und hat seit dem Urteil im März sogar selbst wieder Fußball gespielt. Er hat wieder Spaß daran, aktiv den Sport zu betreiben, den der Verurteilte ihm durch seine Taten genommen hatte: "Ich bin stolz, dass ich auf den Platz zurückgekommen bin. Ich bin wieder da, wo ich vorher war."