Schattenriss eines Pferdes mit Reiter

Vorwürfe der Tierquälerei Bereiter aus NRW soll Pferde jahrelang misshandelt haben

Stand: 31.03.2025 08:36 Uhr

Ehemalige Arbeitskolleginnen des Mannes erheben schwere Vorwürfe gegen ihn: Ein Bereiter soll Pferde jahrelang misshandelt haben. Die Verbände reagieren nur schleppend.

Von Leonie Merheim

Es geht um eine ganze Reihe an Vorwürfen gegen den Mann: Er soll Pferde an Kopf und Schweif zusammengebunden und sie so trainiert bzw. sie in dieser Position in eine abgedunkelte Reithalle gestellt haben. Er soll Pferden mit einem Schnürsenkel die Zunge am Halfter hochgebunden haben, sodass diese aus dem Maul heraushing. Er soll einen Sperrriemen, ein Teil, das zur Reitausrüstung gehört, auf einer Veranstaltung mit Draht umwickelt haben.

Und Pferde sollen nach Trainingseinheiten an der sogenannten Doppellonge verängstigt und tropfnass vor Schweiß gewesen sein – der Hallenboden soll nach den Einheiten aufgrund der Intensität des Trainings umgegraben gewesen sein. Alle Pferde, die der Bereiter betreute, sollen außerdem Angst vor ihm gehabt haben und in ihrer Box vor ihm zurückgewichen sein, wenn er sich ihnen nähern wollte.

Diese Vorwürfe erheben ehemalige Arbeitskolleginnen des Mannes. Sie hatten mehrere Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Der Mann arbeitete als Bereiter an einem Reitstall – er betreute und trainierte dort unterschiedliche Pferde des Stallbesitzers und stellte diese auf Turnieren vor.

Bereits im April 2024 wurde die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) über den Fall informiert. Im Moment läuft ein Disziplinarverfahren des Pferdesportverbands Westfalen gegen den Mann. Der Reitsport-Instagramkanal des WDR, @DiemitdenPferden, hat mit einer ehemaligen Arbeitskollegin des Mannes gesprochen.

"Er hat die Pferde gebrochen"

Annika [Name von der Redaktion geändert] macht damals eine Ausbildung zur Bereiterin. Während ihrer Zeit im Stall bekommt sie mit, wie ihr Arbeitskollege die Pferde behandelt. "Ich habe das kaum noch ertragen. Ich habe so Bauchschmerzen jedes Mal gehabt, wenn ich den da gesehen habe und die Pferde taten mir so leid, dass ich tatsächlich das nicht ertragen hatte. Ich habe den Stall verlassen – wegen ihm." Stallmitarbeiterinnen filmten den Bereiter heimlich, um Beweise zu sichern.

Sie wenden sich mit den Vorwürfen schließlich an den Stallbetreiber. Der unternimmt aber erst mal nichts, sagt Annika. "Man war so machtlos, immer wenn man dann mal versucht hat, dagegen anzugehen. Er hat furchtbar gut gelogen. [...] Er hat das immer so dargestellt, wenn man dann was gesagt hat, als wäre man neidisch auf seinen Erfolg und würde ihn deswegen versuchen zu sabotieren." Annika gibt deshalb ihre Ausbildung auf und verlässt den Stall.

Der Stallbetreiber schmeißt den Bereiter letztendlich raus

Der Kollege wird im Jahr 2023 schließlich wegen der Misshandlungsvorwürfe gekündigt. Annika arbeitet zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre lang nicht mehr in dem Stall. Sie reitet heute nur noch hobbymäßig, hat ihren Traum, Bereiterin zu werden, aufgegeben. Ihr ehemaliger Kollege ist weiterhin als Bereiter tätig, er war seitdem in mehreren Ställen beschäftigt.

Das sagen die Beteiligten

Der Bereiter und sein ehemaliger Arbeitgeber wurden mit den Vorwürfen konfrontiert. Der Bereiter sagt, alle Vorwürfe seien "falsch". Zum Vorwurf bezüglich des intensiven Trainings sagt er, dass er das Training an der Doppellonge immer unter Beachtung der Trainingsvorgaben durchführen würde. Die Pferde seien nach intensiven Trainingseinheiten zwar "nassgeschwitzt" gewesen, hätten aber nur normale Spuren im Hallenboden hinterlassen, es sei nichts umgegraben gewesen.

Pferdebeine im Dressurviereck

Und weiter: "Tatsächlich kann ich bestätigen, dass die Stute […] sich während der ersten Einheiten der Ausbildung wehrte, auch schon einmal gestiegen ist. Auch dies ist für ein junges, damals vier- oder fünfjähriges Pferd, normal aber kein Beleg für das mir vorgeworfenen Fehlverhalten."

Zum Vorwurf bezüglich des Hochbindens der Zunge sagt er, dass er das "weder einmal noch wiederholt" getan habe und dass er Pferde auch "zu keinem Zeitpunkt" an Kopf und Schweif zusammengebunden habe. Gleiches gelte für die Verwendung eines mit Draht umwickelten Sperrriemens. Der Bereiter sagt: "Zu keinem Zeitpunkt sind die Pferde, wenn ich die Box betrat, zurückgewichen. Zu keinem Zeitpunkt haben sich die Pferde auch von mir nicht anfassen lassen. Vielmehr habe ich alle Pferde professionell ausgebildet und auch professionell auf Reitturnieren vorgestellt, war in den ersten einführenden und auch weitergehenden Prüfungen erfolgreich."

Der Stallbetreiber erklärt: "Zu Ihrer E-Mail […] möchte ich mitteilen, dass die Ihrerseits aufgelisteten konkreten Vorwürfe mir aus eigener Wahrnehmung sämtlich unbekannt waren. Konkrete Kenntnis erlangte ich von Teilen der Vorwürfe erstmalig anlässlich des jährlich stattfindenden Januarturniers [...] in der Halle Münsterland im Jahre 2023 aufgrund von mir anonym zugespieltem Videomaterial/Lichtbildern. Da mir das Wohl nicht nur unserer eigenen Pferde wie auch der Tierschutz insgesamt sehr am Herzen liegt und das mir zugespielte Material mit unserem Verständnis hinsichtlich des Umgangs mit Pferden absolut unvereinbar war und ist, haben wir unsere gesamte Zusammenarbeit [...] unmittelbar nach Kenntniserlangung noch Anfang 2023 beendet."

Die Verbände reagieren nur schleppend

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) weiß seit April 2024 über die Vorwürfe Bescheid, auf Nachfrage leitet der Verband an den Pferdesportverband Westfalen weiter, ein Landesverband der FN. Dort erklärt man: "Es ist korrekt, dass die Disziplinarkommission der Kommission für Pferdeleistungsprüfungen in Westfalen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Derzeit läuft die tiefergehende Recherche."

Annika fühlt sich von den Verantwortlichen im Stich gelassen: "Wir hatten die FN auch kontaktiert, auch mit mehreren und da wurde nichts unternommen. Immer wieder kontaktiert, also da ist gar nichts passiert tatsächlich. Dann hat man sich einfach super hilflos gefühlt, man hat sich sehr alleingelassen gefühlt."

Verbände können selbst nur bedingt eingreifen

Die FN kann als Verein zwar Ordnungsmaßnahmen aussprechen, wenn deren Regelwerke verletzt werden - das bezieht sich aber ausschließlich auf den Turniersport. Es geht dabei z.B. um Suspendierungen, Geldbußen oder Turniersperren.

Das Training zu Hause ist von solchen Maßnahmen nicht betroffen und "es stehen uns auch keine staatlichen Sanktionen zur Verfügung. So können wir nicht Pferde wegnehmen oder Tierhaltungsverbote aussprechen“, erklärt FN-Justiziarin Dr. Constanze Winter. Aber: Die FN kann Anzeige bei den Behörden stellen. Das Veterinäramt wurde in diesem Fall bislang nicht informiert.

Schweigespirale des Reitsports?

Eine intensive Aufarbeitung solcher Fälle bleibt oft aus – insbesondere, weil die Verantwortlichen nur schleppend oder gar nicht reagieren. Sozialpädagogin Alena Mess gibt zu bedenken, "dass ein Pferd, ähnlich wie ein Kind, schutzbedürftig ist und sich nicht wehren kann". Gerade deshalb sollte es im Interesse der Verantwortlichen im Reitsport liegen, möglichst schnell und umfassend auf Misshandlungsvorwürfe zu reagieren.