Athletinnen und Athleten im Mittelpunkt Paralympics 2024 in Paris mit tiefsinniger Show eröffnet
In Paris sind am Mittwochabend (28.08.2024) die Paralympics 2024 mit einer fröhlichen, aber auch tiefsinnigen Feier unter freiem Himmel bei herrlichem Sommerwetter eröffnet worden. Sie weckte große Vorfreude auf die kommenden elf Wettkampftage - und regte zum Nachdenken an.
17 Tage nach dem Erlöschen des olympischen Feuers bei der Schlussfeier der Olympischen Spiele in Paris am 11. August "brennt" der Kessel in den Tuilerien in der französischen Hauptstadt wieder: Etwa eine Stunde, nachdem Staatspräsident Emmanuel Macron die Paralympics um 22.37 Uhr offiziell für eröffnet erklärt hatte, durften die französischen Para-Athleten Alexis Hanquinquant, Nantenin Keïta, Charles-Antoine Kouakou, Elodie Lorandi und Fabien Lamirault gemeinsam das paralympische Feuer entzünden.
Dieser Moment war einer der Höhepunkte der dreieinhalbstündigen Eröffnungsfeier - und das Ende eines spektakulären Fackellauf-Finales, das zu den Klängen von Maurice Ravels "Bolero" begonnen hatte.
Markus Rehm einer der letzten Fackelläufer
Zuvor hatten sieben weitere namhafte französische, aber auch internationale Parasport-Stars die Fackel immer näher an den großen Kessel gebracht - unter ihnen der 36 Jahre alte Weitspringer Markus Rehm aus Leverkusen, der bei den Paralympics in Paris seine vierte Goldmedaille anpeilt.
Die enge Verbindung zwischen den Olympischen und den Paralympischen Spielen war zuvor verdeutlicht worden, als der französische Schwimmer Florent Manaudou, sechsmaliger Olympia-Medaillengewinner und zweimaliger Bronzemedallist in Paris in diesem Sommer, unter dem Beifall und Jubel der Zuschauenden mit der Fackel auf die große Bühne auf der Place de la Concorde gelaufen war.
Farbenfrohe Parade der 4400 Aktiven
Apropos groß: Quasi alles an der Eröffnungsfeier der Paralympischen Spiele war groß - und großartig. An einem herrlichen Sommerabend - die spektakuläre Olympia-Eröffnungsfeier auf und an der Seine Ende Juli war größtenteils verregnet gewesen - kamen die 4400 Athletinnen und Athleten bei Temperaturen um 25 Grad schon vor dem Wettkampf-Start ins Schwitzen.
Teils begleitet von Trainern, Betreuern und Medizinern, rollten und liefen sie in der Abenddämmerung in einer bunten, fröhlichen und 90 Minuten dauernden Parade vom Prachtboulevard Champs-Élysées zur Place de la Concorde. Bejubelt wurden sie schon auf dem Weg von Tausenden Zuschauenden am Streckenrand, begeistert gefeiert dann von 35.000 Menschen auf den Tribünen - unter ihnen als Ehrengäste auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, seine Frau Elke Büdenbender und IOC-Präsident Thomas Bach.
Müller und Schulz führen das deutsche Team an
Das deutsche Team in Paris, zu dem 143 Athleten und fünf Guides für die sehbehinderten Sportler gehören, startete als vierte Mannschaft und wurde von der Kanutin Edina Müller (Hamburg) und dem Triathleten Martin Schulz (Leipzig) als Fahnenträger angeführt. Beide haben bereits je zweimal Gold bei Paralympics gewonnen - und zählen auch in Paris zu den deutschen Medaillenhoffnungen.
Als letzte Mannschaft zog das Team von Gastgeber Frankreich ein. Längst war da das weite Rund nur noch eine einzige große, bunte, wogende Masse - und "Allez les bleus" schallte tausendfach von den Rängen.
Tanz-, Musik- und Rhythmus-Spektakel begeistert
Auf der Place de la Concorde, dort also, wo bei Olympia das sportliche Herz der Sommerspiele geschlagen und unter anderem die deutschen 3x3-Basketballerinnen Gold gewonnen hatten, war rund um den antiken Luxor-Obelisken extra für die Eröffnungsfeier ein riesiges Stadion mit Tribünen errichtet worden.
Und das Publikum bekam neben dem Einmarsch der Nationen so viel geboten, dass es oft nicht genau wusste, wohin es zuerst schauen sollte: Die französischen Nationalfarben blau, weiß und rot wurden gleich zweimal "in den Himmel gemalt" - einmal als rauchiges Feuerwerk, einmal von Jets der französischen Luftwaffe. 500 Artisten und Künstler sorgten unter dem Titel "Paradox" für ein unterhaltsames und zugleich nachdenklich stimmendes Tanz-, Musik- und Rhythmus-Spektakel auf der Bühne. Der Pianist Chilly Gonzales eröffnete die Show am Flügel, später performte die Gruppe Christine and the Queens eine Version des Edith-Piaf-Klassikers "Non, je ne regrette rien" ("Nein, ich bereue nichts"), der französische DJ Myd legte unter anderem "Les Champs-Élysées" auf - und gegen Ende erklang eine emotionale Version der französischen Nationalhymne, die "Marseillaise".
Parsons: "Athleten sind hier, um Weltrekorde zu brechen"
In den kommenden elf Tagen bis zur Schlussfeier der Paralympics am 8. September sollen die sportlichen Leistungen der Athletinnen und Athleten mit Behinderungen im Mittelpunkt stehen - das machten Organisationschef Tony Estanguet und der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), Andrew Parsons, in ihren Reden deutlich. "Paralympische Athleten sind nicht hier, um teilzunehmen. Sie spielen keine Spiele. Sie sind hier, um sich zu messen, zu gewinnen und Weltrekorde zu brechen", sagte Parsons.
Estanguet: "Beginn der paralympischen Revolution"
Estanguet und der brasilianische IPC-Boss verbinden mit den 17. Paralympics in Paris aber noch deutlich Größeres: Sie hoffen, dass diese Sommerspiele das Thema Inklusion weiter nach vorne bringen können. Estanguet sprach vom "Beginn der paralympischen Revolution" und davon, dass endlich Grenzen überwunden werden müssten. Der Mut, die Entschlossenheit und die Leistungen der Athletinnen und Athleten seien Vorbild für uns alle: "Heute Abend laden Sie uns ein, unsere Perspektiven zu ändern, unsere Einstellung zu ändern, unsere Gesellschaft zu ändern (...) Jeder eurer Siege wird dazu beitragen, die Welt voranzubringen."
Parsons argumentierte in dieselbe Richtung, als er sagte: "Bei den Paralympics werden wir feiern, was uns unterscheidet, und zeigen, dass in der Verschiedenheit Stärke und Schönheit liegt und dass die Verschiedenheit eine starke Kraft für das Gute ist." Er betonte, dass die Para-Sportlerinnen und -Sportler "als Rivalen in Frieden zusammenkommen", um "etwas zu erreichen, das weit über persönlichen Ruhm hinausgeht. Sie wollen Gleichberechtigung und Integration für sich selbst und für die 1,3 Milliarden Menschen mit Behinderungen in der Welt." Die Paralympics in Paris sollten nicht weniger als eine "Revolution der Inklusion" auslösen, so der IPC-Chef, der auch den Wahlspruch der französischen Republik zitierte: "Liberté, Égalité, Fraternité" ("Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit").
Inklusion ist ein Gewinn für alle
Das Thema Inklusion war auch der leitende Gedanke im großen Showteil der Eröffnungsfeier, die wie schon bei Olympia von Theaterregisseur Thomas Jolly verantwortet wurde.
Auf der Bühne begegneten sich zwei Gruppen: eine große, die den Großteil der Gesellschaft ohne Behinderungen symbolisierte - und eine deutlich kleinere, in der Tänzerinnen und Tänzer mit Behinderungen in Rollstühlen, auf Dreirädern und mit Krücken vertreten waren. Zu Beginn performten beide Gruppen noch getrennt voneinander, von einem Miteinander war noch nichts zu sehen. Im Laufe der Show aber näherten sich beide Gruppen - auf Initiative der kreativen Menschen mit Behinderungen - immer mehr an, um am Ende allen deutlich zu zeigen: Zusammen sind wir stärker, zusammen können wir mehr erreichen.
Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist ein Gewinn für alle. Dafür aber muss die Gesellschaft die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen hinterfragen und neu prägen - und die Inklusion auf dem Spielfeld, im Klassenzimmer, im Konzertsaal und in der Vorstandsetage wirklich wollen, wie es Parsons in seiner Rede sagte. Das ist die Botschaft der Eröffnungsfeier, die von Paris aus um die Welt gehen soll.
Menschen mit Behinderungen zeigten bei der Eröffnungsfeier, wie wichtig Inklusion ist.
Wettstreit um Medaillen mit paralympischen Werten
Um die paralympischen Werte, um das Miteinander wird es ab Donnerstag (29.08.2024) bei den sportlichen Wettbewerben in Paris gehen - es sind die ersten nach dem Ende der Corona-Pandemie. Die Zuschauertribünen in den Stadien und Hallen werden voll sein, wenn die 4400 Para-Sportlerinnen und -Sportler aus aller Welt in 22 verschiedenen Sportarten um 549 Gold-, Silber- und Bronzemedaillen wetteifern. Der sportliche Ehrgeiz wird dabei an erster Stelle stehen, doch das Fairplay und der Respekt vor der Leistung der anderen nicht weniger wichtig sein.
"Wenn wir träumen, können wir etwas erreichen"
Ein Motto der Spiele könnte dabei die Lebensphilosophie von Oksana Masters sein. "Wenn wir träumen, können wir etwas erreichen", sagt die in der Ukraine geborene US-Amerikanerin, die während der Eröffnungsfeier eine der letzten Fackelträgerinnen war. Die 35-Jährige gewann bei Winter- und Sommer-Paralympics bisher 17 Medaillen. In Paris startet sie wie in Tokio in den Straßenrad-Wettbewerben.
Ebenfalls ein Vorbild für Inklusion ist der Brite John McFall, der gegen Ende der Eröffnungsfeier die paralympische Flagge auf die Place de la Concorde brachte: 2008 gewann er Bronze über 100 m - und aktuell bereitet er sich darauf vor, eventuell als erster Mensch mit Behinderung für die Europäische Weltraumorganisation ESA ins All zu fliegen.