Paralympics 2024 in Paris Hunter Woodhall - eine Gold-Familie tauscht die Rollen
Tara Davis-Woodhall überflügelte bei den Olympischen Spielen Malaika Mihambo und ließ sich von ihrem Ehemann Hunter Woodhall feiern. Bei den Paralympics greift er selbst nach Gold.
Diese Szene gehörte zu den emotionalsten der Olympischen Spiele in Paris: Als feststand, dass Tara Davis-Woodhall im Weitsprung die Goldmedaille gewinnt, sprintete sie zur Zuschauertribüne und fiel ihrem Ehemann in die Arme. "Oh mein Gott, Baby. Du bist Olympiasiegerin", schrie Hunter Woodhall, als er die Bezwingerin von Malaika Mihambo die Tribünenwand hochhob. Doch diese Jubelarie soll erst der Anfang gewesen sein. Nun will Davis-Woodhall ihren Liebsten feiern können.
Denn auch Woodhalls sportliche Heimat ist das Leichtathletik-Stadion, und im Stade de France will auch er sich bald die Goldmedaille um den Hals hängen. Bei den Paralympics startet der 25-Jährige über 100 und 400 Meter, er gilt dort als einer der Favoriten - neben den deutschen Athleten Felix Streng (über 100 Meter Titelverteidiger und Weltjahresbester) und Johannes Floors (startet auch über beide Distanzen), der Woodhall bei der Para-WM in diesem Jahr über 400 Meter bezwungen hat und Gold gewann.
Bein-Amputation vor seinem ersten Geburtstag
Woodhall kam im Jahr 1999 mit einem Fibuladefekt, einer Fehlbildung der Beine, auf die Welt. Als er elf Monate alt war, fällten seine Eltern die schwere Entscheidung, seine Beine amputieren zu lassen, um sein Leben auf lange Sicht zu verbessern. Als Athlet mit zwei Prothesen wird er in Paris in den Klassifizierungen T64 (100 Meter) und T62 (400 Meter) an den Start gehen.
Vor drei Jahren hatte Woodhall bei den Paralympics bereits Bronze über 400 Meter gewonnen, bei der Para-WM in Kobe in diesem Jahr holte er über beide Distanzen Silber. Nun will er wieder auch die letzte Stufe nach ganz oben aufs Treppchen nehmen.
Coronavirus bremste Woodhall aus
Und seine Frau will, dass es alle sehen. "Die olympische Saison ist nicht vorbei, es kommen noch die Paralympics. Schaut euch das an, Hunter wird da verrückte Sachen machen", kündigte Davis-Woodhall vor etwa zwei Wochen an. Und an dem Vorhaben soll sich auch nach einer Covid-Erkrankung, die seine Teilnahme nach eigener Aussage sogar kurzzeitig gefährdet hatte, vor seinem Paralympics-Start nichts ändern.
Tara Davis-Woodhall aus den USA in Aktion
"Das ist definitiv nicht ideal so kurz vor den Paralympics. Das war mein Fehler, weil ich mich inmitten von Menschen, die gefeiert haben und gereist sind, aufgehalten habe", sagte Woodhall in einem Video. "Aber das wird keine Entschuldigung sein. Ich werde optimistisch bleiben und mich schnell erholen, wieder trainieren und bei den Paralympics so schnell laufen, wie ich kann. Alles wird okay."
Die Nachricht über die Infektion soll er nach einer Überraschungsparty für seine Frau anlässlich ihrer Goldmedaille erhalten haben.
Woodhall: "Ziel ist es, die Grenzen zu erweitern"
Mittlerweile hat der Sprinter das abgehakt. "Ich fühle mich sehr gut, mental und körperlich", sagt Hunter Woodhall. "Tara in Paris siegen zu sehen, hat mich gepusht, das war für mich eine großartige Visualisierung. Ich bin also vorbereitet", sagte der US-Amerikaner. "Ich werde so schnell wie möglich laufen und ich denke, dass es schnell genug sein wird und ich nicht verlieren kann."
Und nicht nur das, Woodhall will noch mehr als Gold. "Das Ziel in diesem Jahr ist es, die Grenzen dessen, was als Amputierter möglich ist, zu erweitern. Ich möchte schneller laufen, als irgendjemand jemals gelaufen ist, und schneller laufen, als irgendjemand es mit Prothesen für möglich gehalten hat", sagte er.
Hunter Woodhall (m.) könnte sich zum besten Prothesen-Sprinter krönen.
Bei den Ausscheidungsrennen in den USA in diesem Jahr stellte er mit 10,75 Sekunden eine persönliche Bestleistung über 100 Meter auf. Danach sagte Woodhall über seinen anstehenden Start bei den Paralympics: "Ich will den Moment fühlen, die Energie aufsaugen und es nach all der harten Arbeit in diesem Jahr genießen. Und die Menschen stolz machen, die mich die ganze Zeit über unterstützen."
Vorbild für Diversität und gegenseitige Motivatoren
Ganz vorne in der Liste dieser Menschen steht seine Ehefrau. Woodhall und Davis-Woodhall werden in den USA als "track and field's power couple" ("Power-Paar der Leichtathletik") bezeichnet, sie haben einen gemeinsamen Youtube-Kanal ("Tara and Hunter") mit über 850.000 Abonennten. Zwei Tage vor der Eröffnungsfeier der Paralympics posteten sie noch ein Video von der Überraschungsfeier für Davis-Woodhall.
2017 haben sie sich bei einem Leichtathletik-Meeting in Idaho (USA) kennengelernt, seit knapp zwei Jahren sind sie verheiratet. Und sie sind stolz darauf, ein Paradebeispiel für Diversität zu sein. "Wir tragen eine Menge davon in unsere Beziehung und wollen damit wirklich transparent sein", sagte Woodhall in einem Interview mit "The Archewell Foundation" von Prinz Harry und dessen Frau Meghan Markle.
Ihre Botschaft: "Tara ist eine farbige Frau, ich habe eine Behinderung. Wir wollen, dass die Leute wissen: Egal, wer ihr seid und in welcher Situation ihr steckt - es ist okay und das, was euch speziell und einzigartig macht."
Das Ehepaar will aber nicht nur für andere ein Vorbild sein, sondern sich vor allem gegenseitig stützen. "Ich bin mir sicher, dass keiner von uns ohne die Unterstützung des anderen auf dem Level wäre, auf dem wir beide sind", sagte Woodhall. "Es ist eine super Motivation, dass wir beide jeden Tag das gleiche machen. Es ist einfach ein schönes Gefühl, dass wir die richtigen Dinge gemeinsam machen."