Sportlerinnen aus Afghanistan Ist dabei sein wirklich alles?
Die Mitglieder der afghanischen Delegation leben fast ausschließlich im Exil. Denn seit der Machtübernahme der Taliban ist besonders für Frauen der Traum von Olympia nahezu unmöglich geworden.
Bei der Eröffnungsfeier ist der afghanischen Delegation ein kleiner Fleck am Bug des Bootes zugedacht. Selbst dort, auf einer Fläche nicht viel größer als ein Pariser Balkon, ist noch reichlich Platz. Denn es ist nur eine sechsköpfige Auswahl, bestehend aus drei Frauen und drei Männern, die das Land bei den Spielen repräsentiert. Doch die, die hier sind, schwenken eifrig die kleinen Wimpel in schwarz, rot und grün.
Unter den sechs Auserwählten sind auch Yulduz und Fariba Hashimi, zwei Schwestern aus Faryab, einer Provinz an der nördlichen Grenze zu Turkmenistan. Yulduz war schon beim Zeitfahren am vergangenen Samstag (27.07.2024) am Start. Beide treten am 4. August beim Straßenradrennen an, nur sieben Jahre nachdem sie das erste Mal auf einem Rad saßen.
Yulduz Hashimi beim Zeitfahren in Paris.
Damals hatten sie von einem Rennen in ihrer Gegend gelesen und kurzerhand entschlossen, daran teilzunehmen. Zuerst brachten sie sich das Fahren auf einem geliehenen Fahrrad selbst bei, dann traten sie unter falschen Namen und in Verkleidung zum Wettkampf an. Denn sie wussten, dass zwei junge Frauen in Afghanistan, noch dazu in einer der konservativsten Regionen des Landes, bei einem Radrennen nicht gern gesehen würden. Doch ihr Schwindel fliegt nicht auf. Am Ende kommen sie als Erste und Zweite ins Ziel und sind angesteckt vom "Gefühl zu fliegen", wie Fariba der BBC erzählt.
Flucht vor den Taliban
Die Lage für Frauen hat sich in Afghanistan über die letzten drei Jahre drastisch verschärft. Nach 20 Jahren US- und NATO-Präsenz sind seit August 2021 wieder die radikal-islamistischen Taliban an der Macht. Seither werden Frauen in Afghanistan grundlegende Rechte verweigert. Weite Teile des öffentlichen Lebens sind ihnen unzugänglich - an Sportwettkämpfe oder Training ist nicht zu denken. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von öffentlichen Auspeitschungen und Hinrichtungen.
Viele Frauen flüchteten, auch Yulduz und Fariba Hashimi. Sie wussten, dass sie unter der Taliban-Herrschaft ihre Träume vom Radsport hätten begraben müssen. Dank Kontakten zur Fahrergewerkschaft CPA und deren italienischer Verantwortlicher für Fahrerinnen, Alessandra Cappellotto, schafften sie es 2021, im Chaos des Kabuler Hamid-Karsai-Flughafens einen Flug nach Italien zu ergattern. Später ging es weiter in die Schweiz, wo sie sich im World Cycling Center des Weltradsportverbandes UCI auf die Olympischen Spiele vorbereiteten.
Ein falsches Signal?
Dass es bei den Spielen in Paris überhaupt eine afghanische Delegation gibt, liegt daran, dass das Internationale Olympische Komitee mit dem Afghanischen Olympischen Komitee zusammenarbeitet, das bereits vor dem Regimewechsel im Amt war. In einer Stellungnahme gegenüber der Sportschau betont das IOC, man erkenne weiterhin den im Exil lebenden Hafizullah Wali Rahimi als NOK-Präsidenten an und nicht seinen von den Taliban eingesetzten Nachfolger.
Doch das führt dazu, dass in Paris bis auf Judoka Samim Faizad nur Athleten und Athletinnen an den Start gehen, die nicht mehr in Afghanistan leben. Ebenso wie die Maßgabe, dass mindestens ein Athlet noch im Land wohnhaft sein sollte, war die geschlechterparitätische Zusammensetzung des Teams ein Anliegen des IOC.
Manche sehen genau darin ein falsches Signal. "Dadurch wird die ganze Welt in die Irre geführt. Die Leute denken, wenn drei Frauen aus Afghanistan antreten können, dann muss die Situation für Frauen in Afghanistan ja in Ordnung sein. Aber gar nichts ist in Ordnung", sagt Friba Rezayee. Sie war 2004 die erste Afghanin, die bei Olympischen Spielen antrat. Heute lebt sie im Exil in Vancouver und setzt sich für Frauenrechte in Afghanistan ein.
Doch Gleichstellung gibt es in Afghanistan nicht, weder im öffentlichen Leben noch im Sport. Das gibt der ranghöchste Taliban im Sport, Ahmadullah Wasiq, gegenüber der Sportschau ganz offen zu: "Überall dort, wo Frauen früher einmal Sport gemacht haben, ist es nun verboten. Es findet kein Training statt. Es gibt im Moment in Afghanistan keinen Frauensport."
Eine Botschaft der Hoffnung
Das IOC beharrt auf seiner Position, durch die Teilnahme eines geschlechterparitätisch besetzten Teams eine Botschaft der Hoffnung an diejenigen zu senden, die in Afghanistan um Besserung kämpfen.
So formuliert es auch Samira Asghari, IOC-Mitglied aus Afghanistan. Auch sie lebt seit der Machtergreifung der Taliban im Ausland. Man müsse trotz allem den Dialog mit den Taliban suchen, um Veränderungen für die Situation von Frauen zu erwirken. "Wir können mit den Taliban reden und sie hoffentlich davon überzeugen, Turnhallen oder Fitnessklubs für Frauen wieder zu öffnen. Wenn uns das gelingt, dann hätten wenigstens Frauen und jungen Mädchen Zugang zum Sport."
Die beiden Radfahrerinnen Yulduz und Fariba Hashimi haben es bis nach Paris geschafft, über die Situation in Afghanistan aber wollen sie hier nicht sprechen. Womöglich aus Angst, ihre Familien oder Freunde in Gefahr zu bringen. Denn das "Gefühl zu fliegen", es bleibt momentan nur wenigen afghanischen Frauen vergönnt.