Ukrainerin Olha Charlan bei Olympia Fechten für die Freiheit
Die Fechterin Olha Charlan ist die erste Medaillengewinnerin der Ukraine bei den Olympischen Spielen in Paris. Vor einem Jahr - bei der WM in Mailand - verweigerte sie der Russin Anna Smirnowa den Handschlag. Sie wurde damals direkt disqualifiziert. Was hat sich seitdem getan?
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Olha Charlan in Mailand bei der Fecht-Weltmeisterschaft auf die Planche tritt. Es ist der 27. Juli 2023. Charlan hat der Welt nichts mehr zu beweisen, sie ist über jeden sportlichen Zweifel erhaben. Sie ist mehrfache Weltmeisterin und Olympionikin, bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro trug sie die ukrainische Flagge durch das Maracana-Stadion. Sie ist in ihrer Heimat eine der populärsten Sportlerinnen, es wurde sogar eine offizielle Barbie-Puppe nach ihrem Vorbild produziert.
Der verweigerte Handschlag
Sportlich gesehen ist jener Juli-Tag für Charlan kaum der Rede wert, sie ist ihrer Kontrahentin haushoch überlegen und siegt mit 15:7. Doch das, was nach dem Gefecht geschieht, schlägt ein neues Kapitel in Charlans Geschichte auf.
Ihre Gegnerin ist die Russin Anna Smirnowa. Aufgrund des russischen Angriffskriegs tritt Smirnowa in Mailand unter neutraler Flagge an. Zu diesem Zeitpunkt waren seit Kriegsbeginn nur im Tennis ukrainische und russische Athleten aufeinander getroffen - mit Charlan und Smirnowa duellieren sich ansonsten das erste Mal Athletinnen der Länder bei einer WM in einer olympischen Sportart.
Olha Charlan (l.) verweigert den Handschlag mit Anna Smirnowa.
Im Tennis hatten die Spielerinnen aus der Ukraine ihren russischen Gegenübern stets den Handschlag verweigert. Charlan hatte bereits angekündigt, es ihnen gleichzutun. Nachdem das Gefecht vorbei ist, gehen die beiden Fechterinnen also aufeinander zu. Smirnowa streckt ihre Hand aus, doch Charlan hält ihr nur ihre Klinge zum Gruß entgegen und schüttelt den Kopf.
Charlan: "Ich würde nichts daran ändern"
Ein Jahr später, am Freitag (26.07.2024), kommt die ukrainische Delegation zu ihrer ersten Pressekonferenz bei diesen Olympischen Spielen. Die Tennisspielerin Elina Switolina ist da, der Chef des Nationalen Olympischen Komitees der Ukraine, Wadym Hutzajt - und auch Olha Charlan. Angesprochen auf den Vorfall vor zwölf Monaten, sagt sie nur: "Ich würde nichts daran ändern."
In jedem Moment der Pressekonferenz scheint durch, wie sehr der Krieg, der seit zweieinhalb Jahren die Existenz ihres Landes bedroht, in den Köpfen der ukrainischen Sportlerinnen und Sportler steckt. "Es gibt keine einzige Athletin oder Athleten bei uns, der nicht Verwandte, Freunde oder einen Elternteil verloren hat", sagt NOK-Chef Hutzajt. Angesichts dessen könnten ukrainische Teilnehmer auch bei Olympia etwaigen russischen Kontrahenten unmöglich die Hand reichen.
Olha Charlan kommt aus Mykolajiw, einer Hafenstadt im Süden der Ukraine, die besonders im ersten Jahr des Krieges regelmäßig unter Beschuss stand. Aber auch heute gibt es immer wieder Raketen- und Drohnenangriffe, gut eine Woche vor den Olympischen Spielen starben bei einem Raketenangriff drei Menschen. Ihre Familie lebt immer noch dort, rund 60 Kilometer von der Frontlinie entfernt.
Über Umwege zu Olympia
Nach dem Gefecht mit Smirnowa hatte es kurzzeitig so ausgesehen, als würde Charlan gar nicht die Chance bekommen, bei den Olympischen Spielen anzutreten. Der internationale Fechtverband FIE hatte sie direkt im Anschluss disqualifiziert und beharrte auf dem im Regelwerk festgeschriebenen obligatorischen Handschlag. Präsident Emmanuel Katsiadakis sagte damals, man habe im Sinne des "olympischen Geistes" gehandelt.
Dass russische Athleten überhaupt bei der WM an den Start gehen konnten, lag auch daran, dass das Internationale Olympische Komitee seine Empfehlung, keine russischen Teilnehmer bei internationalen Wettkämpfen zuzulassen, gelockert hatte. Doch das IOC erkannte schnell, dass es sich ins eigene Fleisch schneiden würde, sollten Charlan durch ihre verpasste WM die nötigen Qualifikationspunkte für Olympia fehlen.
In einem Brief sicherte IOC-Präsident Thomas Bach der ukrainischen Säbelfechterin einen Olympiaplatz zu. In den "schweren Zeiten des Krieges" stehe man "fest an der Seite der ukrainischen Athleten", schrieb er damals.
Bach: "Botschaft für Frieden und Einheit"
Bei den derzeit stattfindenden Spielen in Paris sind kaum russische Sportler dabei, auch wenn das IOC einigen die Teilnahme unter neutraler Flagge zugesagt hatte. Voraussetzung ist, dass die Sportler keine Verbindung zum Militär haben und den Krieg nicht aktiv unterstützen.
Thomas Bach betonte bei der Eröffnungsfeier nochmals die Friedensmission der Olympischen Bewegung: "Wir werden die Athleten aller 206 Nationalen Olympischen Komitees mit dem Olympischen Flüchtlingsteam des IOC vereinen und auf diese Weise eine sehr starke Botschaft für Frieden und Einheit in der Welt aussenden."
Charlan kommt IOC-Inszenierung heuchlerisch vor
Dass das IOC sich mit dieser Botschaft kontinuierlich inszeniert, kommt Olha Charlan heuchlerisch vor: "Wie soll es hier um Frieden gehen? Wir repräsentieren unser Land und sind stolz darauf. Aber wir sind nur erfolgreich, wenn der Krieg endet. Wenn Russland sich aus der Ukraine zurückzieht."
Olha Charlan bei den Olympischen Spielen in Paris.
Die FIE hat ihre Handschlagregel inzwischen abgeschafft. Als Olha Charlan am Montagmorgen (29.07.2024) ihr erstes Gefecht im Grand Palais bestreitet, ist der Kampf zunächst eng. Sie liegt meist in Führung, doch ihre japanische Widersacherin Shihomi Fukushima kommt immer wieder auf wenige Punkte heran.
Als Charlan schließlich den letzten Stich zum entscheidenden 15. Punkt setzt, stößt sie einen spitzen Freudenschrei aus. Dann geht sie auf Fukushima zu und umarmt ihre Gegnerin zum Abschied. Am Ende des Wettkampfs hat Charlan schließlich noch mehr Grund zur Freude: Sie gewinnt Bronze - es ist die erste Medaille der Ukraine bei den Sommerspielen in Paris. Die 33-Jährige entschied im Säbel-Wettbewerb nach einer starken Aufholjagd den Kampf um Platz drei gegen die Südkoreanerin Choi Sebin für sich.