Triumphe, Taubenschießen und Tarzan Auf den Spuren der Pariser Olympia-Geschichte
1900, 1924 und 2024: Paris ist zum dritten Mal Schauplatz der Olympischen Spiele. Triumphe, Tränen, Taubenschießen und sogar Tarzan hat die französische Hauptstadt im Zeichen der Ringe erlebt. Grund genug, um sich auf einen Streifzug zu begeben - auf den 124 Jahre alten Spuren der Spiele in Paris.
Im "Velodrome Municipal" scheint die Zeit still zu stehen und heute auch der Sport. "Fermé!" Der umtriebige Hausmeister weist freundlich, aber bestimmt darauf hin, dass hier heute kein Durchkommen ist. Die schweren, blauen Eisentore bleiben verschlossen.
Aber durch sie hindurch und beim Rundgang um das am Park Bois de Vincennes gelegene "Vélodrome Jacques-Anquetil", wie das Olympiastadion von 1900 im Südosten von Paris korrekt heißt, ist die olympische Geschichte der französischen Hauptstadt greifbar.
Merckx und Co. im "Vélodrome Jacques-Anquetil"
Der Blick fällt auf die alten, etwas vergilbten Tribünen mit ihrer Stahldachkonstruktion. Zuschauer müssen immer noch auf Holzbänken sitzen, integriert in das weite Rund, das die Pariser nur "La Cipale" nennen, ist eine Radrennbahn. Auf der Betonstrecke mit den erhöhten Kurven drehen Radsportler heute noch ihre Runden. 1974 hat hier Eddy Merckx nach der letzten Etappe seinen fünften Tour-de-France-Sieg bejubelt.
Im "Vélodrome Jacques-Anquetil" ist die Zeit stehen geblieben.
Vor 124 Jahren kürten sich im "Velodrome Municipal" mit Albert Tallandier (Sprint) und Louis Bastien (25 Kilometer) zwei Franzosen sowie der Italiener Enrico Brusoni (Punkterennen) zu Olympiasiegern. Auch Gymnastik, Fußball, Rugby und Cricket fand hier statt.
Die zweiten Spiele der Neuzeit nach dem Auftakt 1896 in Athen waren als solche allerdings kaum wahrzunehmen. Sie waren quasi nur das Begleitprogramm zur Pariser Weltausstellung, zogen sich über Monate hin und zahlreiche der Athleten war zu Lebzeiten nicht bewusst, dass sie an Olympischen Spielen teilgenommen hatten.
Schießen 1900 - auf echte Tauben
"Es ist ein Wunder, dass die Olympische Bewegung dieses Schauspiel überlebt hat", sagte Pierre de Coubertin, Vater des modernen Olympias, später über die Spiele von 1900 in seiner Heimatstadt. Überlebt haben sicher auch nicht alle Tauben, auf die damals als "Wettbewerb" geschossen wurde.
Der Baron de Coubertin wollte diese Schmach jedenfalls nicht auf sich und Paris sitzen lassen, war als IOC-Präsident die treibende Kraft, um die Spiele nur 24 Jahre später erneut in die Stadt an der Seine zu holen - ins "Stade Olympique de Colombes".
Olympia 1924 im "Stade Olympique Yves-du-Manoir"
Vom altehrwürdigen "La Cipale" führt die Spur der Spiele einmal quer durch Paris - in den Nordwesten der Olympia-Stadt.
"Es sieht noch aus wie früher, es hat sich nichts verändert, Wahnsinn." Volunteer Steve ist ganz aus dem Häuschen, als die Sprache auf das Olympiastadion von 1924 kommt, das vier Jahre später zu Ehren des gleichnamigen Rugbyspielers in "Stade Olympique Yves-du-Manoir" umbenannt wurde.
Das knallrote Schild am Eingang mit der Aufschrift "Acces Tribune Historique" weist auch unverkennbar den Weg. Die blauen Stahlträger der Haupttribüne und die Beton-Traversen lassen erahnen, wie es vor 100 Jahren ausgesehen hat, als hier die Eröffnungsfeier der achten Olympischen Spiele und zahlreiche Wettkämpfe stattgefunden haben.
Olympia-Ufo der Neuzeit gelandet
Der Blick schweift aus den alten mit Spinnenweben besetzten Reporterkabinen ganz oben unter dem Dach auf das knallblaue Feld, auf dem es heute auch akustisch ständig knallt. Das niederländische Hockey-Team trainiert gerade und ballert eine Hartplastik-Kugel nach der anderen ins Tor. Das in blau, rosa, gelb und weiß getünchte Olympia-Ufo der Neuzeit ist wieder im "Stade Olympique de Colombes" gelandet und wird den Hockey-Olympiasiegern 2024 den passenden Rahmen bieten.
So hat sich zumindest für eine gewisse Zeit doch viel verändert in dem einst bedeutendsten Fußball- und Rugby-Stadion Frankreichs, ehe der "Parc de Prince" und schließlich das "Stade de France" in Paris ihre Pforten öffneten.
Alt und neu existieren im "Stade Olympique Yves-du-Manoir" nebeneinander her.
"Colombes ist ein Ort voller Emotionen"
"Für sportbegeisterte Franzosen ist Colombes ein Ort voller Emotionen", sagte der französische Sporthistoriker Michael Delepine der BBC. "So viele berühmte Leute sind hier gerannt, haben getreten und gekämpft. Es ist voller Geister."
Ob auch in dem alten, verbarrikadierten Haus gleich hinter der historischen Tribüne Geister hausen? Die bunten Zäune des Neuzeit-Olympia-Ufos grenzen direkt an den alten Mauern, die schon auf Bildern von 1954 auszumachen sind. Jetzt dienen sie nur noch als Kabelhalter für die perfekten Hockey-Bilder der dritten Spiele von Paris.
Der fliegende Finne Nurmi und Tarzan Weissmüller
Paris 1924 war wegweisend. Das Zeremoniell der Abschlussfeier mit dem Hissen der drei Flaggen - IOC, alter Gastgeber, kommender Gastgeber - feierte damals Premiere, das olympische Motto "citius, altius, fortius" (schneller, höher, stärker) entstand, der Sportarten-Kanon war dem heutigen sehr ähnlich. Und es war das erste Olympia weltweiter Stars: Der fliegende Finne Paavo Nurmi oder Uruguays Fußballikone Jose Leandro Andrade begeisterten wahre Zuschauermassen - im "Stade de Colombes".
Johnny Weissmüller, der später als schreiender und schwingender Urwaldbewohner Tarzan zu Hollywood-Weltruhm kam, schwamm derweil im "Piscine des Tourelles" zu drei Goldmedaillen (100 und 400 m Freistil, 4×200-m-Freistilstaffel).
Im 20. Arrondissement von Paris, nordöstlich der Innenstadt, ist kein schwimmender Tarzan in Sicht. Das mittlerweile in "Piscine Georges-Vallerey" umgetaufte Schwimmbad dient dieser Tage als Trainingsstätte für die olympischen Athleten. Die tummeln sich aber schon in der just freigegebenen "La Défense Arena", wo die Schwimmmedaillen vergeben werden.
Schwimmbad "Georges-Vallery" - ein Schmuckstück
Weissmüllers ehemaliges Goldbecken ist noch das von vor hundert Jahren, ansonsten haben in dem Komplex nur die acht mächtigen Betontürme alle Umbaumaßnahmen überlebt. Von außen sind sie in einem gewöhnungsbedürftigen blau angemalt. Innen ist das "Georges-Vallery", in dem es wie anno dazu noch öffentliche Duschen gibt, ein kleines Schmuckstück. Dafür sorgt vor allem die mobile Dachkonstruktion, die halb offen steht und die Pariser Sommersonne hereinlässt.
Im Schwimmbad "Georges-Vallery", früher "Piscine des Tourelles", sorgt ein bewegliches Dach für Flair.
"Es steckt viel Geschichte in diesem Schwimmbad", sagt Direktor Christopher Sadones und meint damit vielleicht auch ein bisschen die vielen alten Aufnahmen der Schwimmwettkämpfe in seinem Büro, natürlich mit Johnny "Tarzan" Weissmüller. Der Stolz, Teil der dritten Spiele sein zu dürfen, und wenn auch nur als Chef einer Trainingsstätte, ist dem ehemaligen Wasserballer anzumerken.
Die Ringe werden bleiben
Das Olympia-Ufo wird weiterfliegen, in Richtung Los Angeles und Brisbane, aber die riesigen Olympischen Ringe über dem Eingang des "Georges-Vallery", die werden bleiben. Als Gebäude mit olympischer Vergangenheit sind sie vom IOC abgesegnet. Andere Einrichtungen müssen das "IOC-Markenzeichen" nach dem 11. August wieder abnehmen. In Tarzans Goldbecken werden die Spuren der Spiele in Paris allerdings überdauern - wenn das kein Trost ist...