Chaostage in Berlin Mit der Koalition zerfallen auch die Sportpläne
Die Ampelkoalition war mit ambitionierten Sportplänen gestartet. Nach ihrem Zerfall besteht nur noch Resthoffnung, dass nicht alles umsonst war.
Der jetzt schon historische politische Mittwoch (06.11.2024) hatte mit einer vermeintlichen Erfolgsmeldung für den Sport begonnen: Das Bundeskabinett beschloss das umkämpfte Sportfördergesetz. Zwei Jahre lang hatten Sport und Politik darum gerungen, längst nicht alle Fragen geklärt, aber nun doch zumindest eine Grundlage für einen Kabinettsentwurf gefunden.
Die Förderung des Spitzensports soll als Staatsziel erstmals gesetzlich verankert werden. Und eine unabhängige Agentur für Spitzensport soll die Verteilung der Steuergelder transparenter und unbürokratischer machen. Die Vorstellung, dass das Gesetz doch noch vor den Bundestagswahlen im September 2025 das komplette Gesetzgebungsverfahren inklusive Bundesrat passieren könnte, nahm Gestalt an. Doch dann folgte am Abend der Bruch der Ampelkoalition. Und jetzt?
Was kann Bundeskanzler Scholz noch durchsetzen?
Die Lage ist auch an den Tagen danach dynamisch. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) möchte bis Weihnachten mit seiner Minderheitsregierung noch einige wichtige Gesetzespläne im Bundestag zur Abstimmung bringen und dann am 15. Januar 2025 die Vertrauensfrage stellen. Das Sportfördergesetz gehört, wenig überraschend, nicht zu diesen priorisierten Plänen. So wichtig ist der Spitzensport dann doch nicht.
Immerhin: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte bei der Sportministerkonferenz am Freitag (08.11.2024), sie glaube "fest daran", dass das wichtige Sportfördergesetz noch in der aktuellen Legislaturperiode verabschiedet werden könne. Und zwar mit Hilfe der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag. Faeser sagt: "Über den Grundsatz dieses Sportfördergesetzes und der Sportagentur gibt es gar keinen Streit. Es gibt nur Nuancen in der Ausrichtung. Da sind wir ausdrücklich bereit, dort auch Änderungen vorzunehmen."
Athleten Deutschland, die Vertretung der Kaderathletinnen und -athleten, hingegen befürchtet, dass Verhandlungsergebnisse nun gefährdet sind oder sich deren Umsetzung deutlich verzögert. "Dank der harten und engagierten Arbeit zahlreicher Beteiligter sind in den vergangenen zwei Jahren wichtige Fortschritte in mühsamen Aushandlungen erzielt worden", schreibt der stellvertretende Geschäftsführer Maximilian Klein. "Gerade im Sinne der Athletinnen und Athleten, deren Karrieren kurz und fragil sind, ist es entscheidend, dass die vereinbarten Reformen konsequent und zügig umgesetzt werden."
Keine deutliche Opposition gegen das Sportfördergesetz
Auch Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln, sah zuletzt Anstrengungen der Regierung, das Sportfördergesetz weiterzubringen. "Man ist da schon sehr weit im Rahmen der Debatten auch unter Einbeziehung der verschiedensten Beteiligten wie dem DOSB", sagte Mittag der Sportschau.
Er glaubt jedoch, das Gesetz habe in der jetzigen Form wohl nur noch eine Chance, wenn Scholz die Vertrauensfrage im Januar gewinnt und die Neuwahlen deshalb wie geplant erst im September stattfinden.
Der aktuell realistischere Fall, nämlich vorzeitige Neuwahlen, würde wohl bedeuten, dass eine anders zusammengestellte Regierung die Pläne entweder weiterverfolgt, neu anfängt oder gar beerdigt. Letzteres hält Mittag für unwahrscheinlich, denn er sehe keine fundamentalen parteipolitischen Gegensätze. "Ich gehe davon aus, dass die Debatte über ein Sportfördergesetz unter einer anderen Regierung, sollte es diese im neuen Jahr geben, vielleicht unter veränderten Vorzeichen, aber grundsätzlich in ähnlicher Schlagrichtung weitergeführt wird.“
DOSB setzt auf neue Regierung
Davon gehen auch die Sportfunktionäre und -vertreter aus. Klein von Athleten Deutschland verweist darauf, dass "neben Vertreterinnen und Vertretern der Ampel-Parteien auch unionsgeführte Bundesländer eng in die Beratungen zur Spitzensportreform und zur Leistungssportagentur im Rahmen der Bund-Länder-Sport-AG eingebunden waren."
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) schreibt, er habe nun das Ziel, das Sportfördergesetz mit einer neuen Bundesregierung anzustreben. "Dies gilt auch in Bezug auf die Errichtung einer unabhängigen Spitzensport-Agentur zur Förderung und Steuerung des Spitzensports, um den angestrebten Paradigmenwechsel zu erreichen und damit den Spitzensport in Deutschland sowie unsere Athlet*innen mittel- und langfristig konkurrenzfähiger und damit erfolgreicher zu machen."
Spitzensportförderung 2025 vorerst auf Eis gelegt
Der Bruch der Ampelkoalition stellt den Spitzensport darüber hinaus vor ganz konkrete Probleme. Ein Bundeshaushalt für 2025 wird höchstwahrscheinlich nicht mehr beschlossen werden. Stattdessen wird es dann zunächst eine vorläufige Haushaltsführung geben. Heißt: Es sind nur Ausgaben erlaubt, die notwendig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen.
Das bedeutet, die im Haushalt vorgesehenen Fördergelder für den Sport werden vorerst auf Eis gelegt. "Eine vorläufige Haushaltsführung würde den Sport in verschiedenen Bereichen vor Herausforderungen stellen, wie beispielsweise bei der Vorbereitung der Athlet*innen für die Olympischen und Paralympischen Winterspiele in Mailand und Cortina 2026, oder bei den bundesgeförderten Projekten, zum Beispiel in den Bereichen Integration und Demokratieförderung", schreibt der DOSB.
Auslaufmodell: Der Entwicklungsplan Sport und Bewegung
Die Ampelregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag große sportliche Vorhaben auf die Fahne geschrieben, "mehr als das jemals der Fall gewesen ist“, sagt Mittag. Unter anderem wollten Innen- und Gesundheitsministerium mit dem "Entwicklungsplan Bewegung und Sport“ die vielen Akteure im Sportsystem Deutschland zusammenbringen, um eine "begeisterte und lebensbejahende Sport- und Bewegungskultur" zu etablieren.
Allerdings ist von einem breiten Bündnis nichts mehr übrig, seit der organisierte Sport nach Kritik am ersten Entwurf aus dem Projekt ausgestiegen ist. Die Regierung wollte die Pläne zwar intern weiterverfolgen, aber "gegenwärtig steht der Sport-Entwicklungsplan eher weit hinten an", glaubt Mittag. Gut möglich, dass hier alle Bemühungen am Ende nutzlos waren.
Olympiabewerbung als Langzeitprojekt
Bleibt noch das große Thema deutsche Olympia-Bewerbung. Spätestens seit den Spielen in Paris haben besonders Innenministerin Faeser und ihr Parteikollege Scholz das Thema vorangetrieben, unterstützen eine deutsche Bewerbung für die Sommerspiele 2040. Da dies ein Langzeit-Thema ist, sieht Mittag keine großen Einschnitte durch den Zerfall der Koalition.
Ähnlich sieht man das beim DOSB. "Unser großer Plan, Olympische und Paralympische Spiele nach Deutschland zu holen, findet parteiübergreifend Unterstützung, sodass wir zuversichtlich sind, auch mit einer neuen Bundesregierung eine Bewerbung auf den Weg bringen zu können“, heißt es dort auf Anfrage.
Völlig offen ist dabei, wer künftig die Regierung stellt. Die starken Umfragewerte von AfD und BSW machen die Mehrheitsbildung zu einer komplexen Aufgabe. Gut möglich, dass sich der Sport mit seinen Wünschen noch sehr lange hinten anstellen muss.