Leichtathletik-EM in Rom Kugelstoßerin Ogunleye will "um eine Medaille kämpfen"
Mit Vertrauen in sich selbst und Gott geht Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye die Leichtathletik-EM in Rom an - und hofft auf eine Medaille. Vor einigen Jahren drohte der Hallen-Vizeweltmeisterin nach Verletzungen ein frühes Karrierende, das sie so aber nicht akzeptieren wollte.
"Oh happy day" - Yemisi Ogunleye steht vor dem Kolosseum und strahlt mit der römischen Abendsonne um die Wette. Die 25-Jährige saugt die Atmosphäre der "Ewigen Stadt" auf und ihre Vorfreude auf die Leichtathletik-EM lässt sie sogar einen kurzen Gospelgesang anstimmen. "Das ist meine erste Europameisterschaft. Ich freue mich einfach unglaublich, in so einer historischen Stadt an den Start gehen zu dürfen. Das pusht mich unglaublich", sagt Ogunleye im Sportschau-Interview.
"Ich mag das Wort 'Hoffnung' sehr"
Nach ihrem überraschenden Vize-WM-Titel in der Halle in Glasgow im vergangenen Winter mit einem Stoß auf 20,19 m ist sie in der italienischen Hauptstadt beides zugleich: in Fachkreisen die Gejagte - und im DLV-Team eine Hoffnungsträgerin nach der medaillenlosen WM im Vorjahr in Budapest.
Die Zweite der europäischen Jahresbestenliste hinter der niederländischen Titelverteidigerin Jessica Schilder (20,31 m) hofft zwar selbst auf eine Medaille in Rom, lässt sich aber nicht unter Druck setzen: "Ich mag das Wort 'Hoffnung' sehr, weil es zeigt, dass man wartet und einfach positiv gestimmt ist. Ich hoffe, dass sich die Hoffnung, die ich in meinem Herzen habe, hier auch erfüllt. Ich habe Freude und will die Menschen einfach mitreißen."
Ich bin nicht nur Yemi, die Kugelstoßerin, sondern auch die Sängerin, die Tänzerin, die sich gerne mit Familie und Freunden trifft.
In die EM will sie mit einer "frohen Einstellung" gehen - und dann, wenn es darauf ankommt, die nötige Ruhe bewahren: "Ich vertraue darauf, dass mein Trainerteam mich für diesen Zeitpunkt perfekt aufgebaut hat. Und mit dieser Ruhe möchte ich abliefern, so wie bisher auch."
Olympische Spiele in Paris sind der Höhepunkt
Im vergangenen Jahr hatte die Tochter eines aus Nigeria stammenden Vaters und einer Deutschen erstmals über 19 Meter weit gestoßen. Bei ihrer ersten WM-Teilnahme in Budapest war sie dann Zehnte geworden: Nach 19,44 m in der Qualifikation, hatte sie im Finale die 19-Meter-Marke knapp verfehlt (18,97 m).
Das Jahr 2024 wird nun vom erstmaligen Dabeisein bei Olympischen Sommerspielen überstrahlt. Auf den Saisonhöhepunkt im Sommer (26. Juli bis 11. August) in Paris sind ihr Training und die Wettkämpfe ausgerichtet. Spätestens dann, so hofft die DLV-Athletin, soll ihr auch wieder ein Stoß über die 20-Meter-Marke gelingen: "Den Ansporn habe ich. Und ich weiß auch, dass ich in der Lage bin, das abzurufen."
Glaube half Ogunleye nach schweren Verletzungen
Dass Ogunleye erst Hallen-Vizeweltmeisterin wird, bei der EM Chancen auf eine Medaille hat und schließlich bei den Olympischen Spielen an den Start gehen kann, war vor vier Jahren noch eher unwahrscheinlich: Nach zwei Kreuzbandrissen schien ihre Karriere schon fast zu Ende zu sein. Dann aber entschied sich die gebürtige Pfälzerin doch fürs Weitermachen: Sie stellte ihr Trainer- und Betreuerteam neu zusammen - und im Kugelstoßring vom Angleiten auf die Drehstoßtechnik um.
"Das ist ein unglaublicher Werdegang, den wir in den letzten Jahren gegangen sind. Wirklich auch diesen Glaubensschritt zu gehen und zu sagen: Ich gehe das mit dem Kugelstoßen noch mal an und gebe dem Ganzen eine Chance", blickt Ogunleye zurück. "Ich bin einfach froh, dass mich mein Eindruck damals nicht getäuscht hat, dass der Weg noch nicht zu Ende ist. Dass Gott noch einen Plan hat. Jetzt hier zu stehen, das ist ganz besonders." Es sei wertvoll zu wissen, wie viele Menschen aus ihrem Umfeld sie dabei unterstützt haben.
"Es gibt auch noch ein Leben außerhalb vom Sport"
Ogunleye hat auch dank ihres Glaubens den Weg aus dem Tief heraus gefunden - und sie ist dankbar für die Erfahrungen, die sie dabei gemacht hat: Der Sport sei ihr zwar weiterhin sehr wichtig, sie definiere sich selbst aber nicht mehr nur über die im Kugelstoßring gezeigte Leistung. In den vergangenen Jahren habe sich in ihr und in ihrer Einstellung sehr viel verändert: "Es gibt auch noch ein Leben außerhalb vom Sport. Ich weiß, dass ich auch in anderen Dingen gut sein kann, in die ich viel hineinstecke. Ich bin nicht nur Yemi, die Kugelstoßerin, sondern auch die Sängerin, die Tänzerin, die sich gerne mit Familie und Freunden trifft. Da habe ich auch meinen Halt gefunden." Es tue ihr gut zu wissen, dass sie so geliebt werde, wie sie ist - "von den Menschen um mich herum, von einem Schöpfer, an den ich glaube".
Im Finale um eine Medaille kämpfen
In der Leichtathletik-Szene glauben nicht wenige, dass die 25 Jahre alte Kugelstoßerin gleich am ersten EM-Tag für die erste Medaille im deutschen Team sorgen kann. Die Qualifikation am Vormittag meisterte Sie mit 18,40 m souverän. Auch Alina Kenzel (18,42 m) und Julia Ritter (18,06 m) übertrafen die geforderten 18 m. Ogunleye geht als Europas Beste der bisherigen Freiluftsaison (19,40 m) ins Finale am Abend (21.33 Uhr, im Livestream auf sportschau.de).
Ogunleye selbst hat keine Zweifel, dass sie dort dann alle Chancen auf einen Platz auf dem Treppchen haben wird: "Ich kämpfe den Kampf um die Medaillen mit. Wenn ich meine Leistung bringe, weiß ich auch, dass das möglich ist."