Kiel-Coach Filip Jicha im Interview "Für jedes Tor muss Deutschland leiden"
Das letzte Vorrundenspiel der Deutschen gegen Tschechien am Sonntag (19.01.2025, 18 Uhr, live im Ersten und auf sportschau.de) wird ein ganz spezielles Torwart-Duell: Andreas Wollf und Tomáš Mrkva sind beim THW Kiel Klubkameraden. Ihr Coach ist der Tscheche Filip Jicha, der zwischen 2005 und 2015 zwei Jahre für Lemgo und acht Jahre für Kiel in der Bundesliga spielte - ihn traf die Sportschau im dänischen Herning zum Interview.
sportschau.de: "Beim 19:19 gegen Polen haben die Tschechen vor allem defensiv gezeigt, was sie auszeichnet – wird Deutschland am Sonntag Probleme bekommen?
Filip Jicha: "Im ersten Spiel haben wir nur 17 Gegentore gegen die Schweiz, dann nur 19 Tore gegen die Polen kassiert – die Deutschen können sich auf eine Weltklasse-Abwehr gefasst machen. Okay, unser Angriff ist natürlich ausbaufähig. Aber wir haben eine junge, hungrige Mannschaft, die total stolz und glücklich ist, überhaupt hier zu sein. Wir können jeden Gegner wirklich richtig nerven."
Weltklasse-Abwehr okay, ist Tschechiens Torwart Tomáš Mrkva für Sie auch in diesen Sphären einzuordnen?
Jicha: "Ja, absolut, was er in beiden Spielen bisher gezeigt hat, war überragend. Tomas weiß aber auch, dass er hier performen und seinen Mann stehen muss, damit die Jungs vor ihm auch mal etwas Ruhe haben. Das macht er bisher – wie Sie sagen – weltklasse."
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Kann man das Zusammenspielen zwischen Wollf und Mrkva in Kiel vergleichen mit dem Zusammenspiel zwischen Wollf und David Späth hier in der deutschen Nationalmannschaft? Unterstützen sich die beiden gegenseitig?
Jicha: "Ich finde schon. Wir sind sehr zufrieden mit unserem Duo in Kiel. Tomas ist etwas zurückhaltender, Andi bekommt natürlich viel mehr Aufmerksamkeit. Aber wenn es bei ihm mal nicht so läuft, dann sagt er: Tommy, mach du das jetzt. Und dann steht Tommy seinen Mann. Die beiden jetzt im direkten Vergleich gegeneinander zu erleben, darauf freue ich mich extrem.“
Auf was müssen sich die Deutschen am Sonntag konkret einstellen?
Jicha: "Auf jeden Fall auf eine mutige Mannschaft. Ich hoffe, auf eine Mannschaft, die die Nerven nicht wegschmeißt. Die so hart verteidigt, dass Deutschland für jedes Tor leiden muss. Für viele unserer tschechischen Jungs wird es das Spiel ihres Lebens. Viele von ihnen wollen auch mal das Abenteuer Handball in Deutschland erleben, und deshalb werden sie nochmal zehn, zwanzig Prozent mehr geben als sonst. Die Polen sind gegen die Deutschen auch lange über ihr Limit hinausgegangen, das werden die Tschechen auch tun."
Welche Schwächen sehen Sie im deutschen Team?
Jicha: "Also Tschechien und Deutschland, das sind schon zwei verschiedene Klassen. Aber aus deutscher Sicht darf man nicht immer erwarten, dass man rausgeht und alles wegballert und wegschießt, da fehlt mir manchmal die Geduld. Für uns Tschechen wäre es schon ein Riesenerfolg, wenn wir nah dranbleiben, vielleicht zur Halbzeit ein 11:11 oder 12:12 halten. Wir müssen leichte Ballverluste vermeiden und sie nicht wegmarschieren lassen, aber ganz ehrlich: Am Ende wird Deutschland sicher gewinnen."
Was geht dann für die Tschechen mit ihren zwei Punkten in der Gruppe A?
Jicha: "Wir haben bisher einen Punkt mehr als Polen und einen mehr als die Schweiz. Wenn es also im direkten Duell zwischen den beiden einen Sieger gibt, sind wir sicher in der Hauptrunde – was unglaublich wäre."
Schauen Sie sich bei dieser Weltmeisterschaft noch viele Spiele an, in denen Ihre Spieler aus Kiel dabei sind?
Jicha: "Ich werde mir ganz viele Spiele anschauen, als Handball-Fan, aber auch mit einem Scouting-Auge für meinen Verein. Die Kieler Jungs kenne ich, deshalb werde ich eher andere Partien auch in Kroatien und Norwegen beobachten."
Was trauen Sie den Deutschen bei dieser WM zu?
Jicha: "Interessante Frage, schwer zu beantworten. Durch die drei Ausrichter-Länder sind das für mich praktisch verschiedene Turniere, erst im Halbfinale kreuzen sich die Wege. Niemand möchte aktuell gern gegen Dänemark spielen, denn die entscheiden selbst, ob sie die Spiele gewinnen oder nicht. Das Halbfinale dürfte nach Olympiasilber für Deutschland aber drin sein.“