Andy Schmid gestikuliert an der Seitenlinie

Nationalcoach der Schweiz Andy Schmid - Getrieben von der eigenen Ungeduld

Stand: 16.01.2025 19:14 Uhr

Er war einer der besten Spielmacher des Welthandballs. Jetzt ist die Schweizer Legende Andy Schmid seit neun Monaten Trainer der Nation, die bei der WM am Freitagabend auf Deutschland trifft (20.30 Uhr im ZDF und in der Audio-Vollreportage auf sportschau.de). Vor dem Duell spricht Schmid erstaunlich offen über Dinge, die ihn unglücklich machen.

41 Jahre ist der 1,90-Meter-Mann inzwischen alt, aber wenn er in seinem Trainingsanzug den Raum betritt, sieht er immer noch aus wie ein Spieler. Drahtig, durchtrainiert, offenbar kein Gramm Fett zu viel. Er fühlt auch noch wie ein Spieler, das klingt aus vielen seiner Statements heraus. Und manchmal wäre er auch gern noch einer.

"Hätte gern selbst den Ball in der Hand gehabt"

Zum Beispiel am Mittwoch zwischen 18 und 19.30 Uhr, kurz bevor die Deutschen ihren WM-Auftakt gegen Polen feierten. Da gaben auch die Schweizer ihr Turnierdebüt, und das taten sie mit zwei komplett unterschiedlichen Gesichtern: überragend in der Defensive, phasenweise unterirdisch im Spiel nach vorn.

Zur Pause stand es gegen Tschechien 8:7, dieses Zwischenergebnis erreichte Deutschland schon nach 15 Minuten. Am Ende hieß es 17:17, es blieb also ein extrem torarmes Spiel. Schmid: "Klar, da gab es viele Momente, wo ich gern selbst den Ball in der Hand gehabt und Entscheidungen getroffen hätte."

Tschechien gegen Schweiz - die Zusammenfassung

Sportschau Handball-WM 2025, 15.01.2025 18:00 Uhr

Vieles geht Schmid nicht schnell genug

Vor genau zwölf Monaten hatte er den Ball noch in der Hand, spielte in seiner Heimat für den HC Kriens-Kuzern und sogar noch für die Nationalmannschaft, nach der EM in Deutschland beendete der Ausnahmekönner seine Karriere. "Dieses Gefühl fehlt mir schon noch oft, denn jetzt als Nationaltrainer geht mir vieles einfach nicht schnell genug", sagte Schmid. "Ich habe einfach diese Ungeduld in mir, die mich immer treibt und die ich auch nicht ablegen kann - und will. Die gehört einfach zu mir, ich sehe sie auch als meine Stärke."

Doch diese Ungeduld, diese fehlende Ruhe, sie wirken sich auch auf seine Lebensqualität aus. Auf die Frage, ob er mit seiner jetzigen Aufgabe wirklich glücklich sei, wird Schmid nachdenklich. "Glücklich? Also privat ist alles bestens, ich habe eine super Frau und meine Kinder sind gesund. Aber als Nationalcoach bin ich nicht komplett glücklich, das sage ich ganz ehrlich. Du hast eigentlich keine Zeit, du kannst in den wenigen Phasen mit der Mannschaft auch nur Dinge anreißen. Ich sehe mich manchmal mehr als eine Art Manager, und ich vermisse dieses Gefühl, einfach jeden Tag in der Halle zu sein."

Ist er im falschen Job? Erstaunte Gesichter im Presseraum, schließlich hat Schmid gerade erst einen Vertrag bis nach der EM 2028 unterschrieben. "Versteht mich nicht falsch, ich wollte kein Fass aufmachen, dass ich lieber Vereinstrainer sein will", schob Schmid schnell hinterher. "Es ist natürlich auch mal gut, aus diesem Hamsterrad raus zu sein. Ich will das auch nutzen, um mal über den Handball-Tellerrand hinaus zu schauen, von anderen Sportarten zu lernen - dazu war ja vorher nie Zeit."

Spiel-Macher mit dem Gefühl für Räume

Zeit, das ist ein großes Thema bei Schmid. In zwei Jahrzehnten als Profi konnte er nur selten herunterfahren, von ihm wurde sehr oft sehr viel Großes erwartet, und er hat in Zeitraffer geliefert und geliefert. 1.094 Tore in 218 Spielen für die Schweiz. 1.675 Tore in 400 Spielen für die Rhein-Neckar Löwen, für die er zwölf Jahre spielte und fünf Spielzeiten in Folge zum Spieler der Saison in der stärksten Handball-Liga der Welt gekürt wurde.

Insgesamt hat er in seiner Karriere fast 4.000 Mal getroffen, aber noch viel beeindruckender als seine Abschlüsse waren oft seine Anspiele: Er sah Lücken, wo eigentlich alles dicht war, er hatte ein unfassbares Gefühl für Räume, für einen wie Schmid ist das Wort Spiel-Macher erfunden worden. An seiner Seite reifte ein junges Talent zu einem gestandenen Nationalspieler und Weltklasse-Handballer: Juri Knorr.

Zwischen Anspruch und Möglichkeiten

Der 24-Jährige - Knorrs Einsatz scheint trotz Knieverletzung realistisch - ist nun eine von vielen Aufgaben, vor der Trainer Schmid am Freitag steht. "Manchmal fühlt man sich, wenn man gegen so gute Gegner spielt, wie früher vor einer Prüfung, in der man zehn Themen hat", sagte der 41-Jährige. "Man hat nicht genügend Zeit, um alle zehn Themen zu lernen. Dann lernt man nur sieben und hofft, die anderen drei kommen nicht dran."

Der vielleicht größte Handballer seines Landes kämpft damit, die eigenen Ansprüche seines Spieler-Daseins mit den Möglichkeiten als Nati-Trainer in Einklang zu bringen. "Wir spielen gegen eine Mannschaft, die vom Halbfinale und einer Medaille spricht. Die für mich die weltbeste Defensive hat. Davon sind wir einiges entfernt", stellt Schmid klar. "Wir haben zuletzt zweimal ordentlich auf den Sack bekommen, und da gab es Experten, die uns vorher auf Augenhöhe gesehen haben wollten. Deshalb nehmen wir diesmal gern die Außenseiterrolle."

"Langsam satt, gegen Deutschland zu spielen"

Schmid gibt offen zu: "Ich habe es auch langsam satt, so oft gegen Deutschland spielen zu müssen. Die liegen uns einfach nicht mit ihrer Defensivstärke und ihrer Körperlichkeit. Ich hätte lieber einen anderen Gegner gehabt." Der Gedanke, Deutschland ein Bein zu stellen, sei für ihn "weit weg. Ich bin okay damit, wenn wir knapp verlieren und dafür gegen Polen gewinnen und in die Hauptrunde einziehen." Hauptsache, sein erstes Turnier als Coach endet nicht in der Vorrunde - das würde einem Andy Schmid so gar nicht entsprechen.