Überraschender Sieg gegen Österreich Türkei feiert Teamgeist - auch Arda Güler ackert
Österreichs Team galt vielen nach der Vorrunde als beste fußballerische Einheit dieser EM. Vincenzo Montella sah das auch so. Nun hat der Trainer mit der Türkei den Favoriten besiegt, weil er mit einer eigenen Einheit konterte.
Es dauerte nicht lange, bis es um Arda Güler ging. Um genau zu sein, fiel der Name des "türkischen Messi(as)" schon bei der zweiten Frage auf der Pressekonferenz nach dem Viertelfinaleinzug am Dienstag (02.07.2024) gegen Österreich. So weit, so üblich. Auch Trainer Vincenzo Montella kennt das nicht anders. Doch seine Antwort war es, die aufhorchen ließ.
Er huldigte zunächst der "fantastischen Leistung" seines von den Fans so vergötterten 19-Jährigen. Aber Montella sagte eben noch mehr: "Arda musste eine etwas andere Rolle ausfüllen. Er ist mehr gelaufen, als ich das je in seiner Karriere gesehen habe. Er hat für die Mannschaft gearbeitet - und er hat ihr auch physisch geholfen."
Montella: "Habe das Herz der Türken gesehen"
Güler kann sich in seiner Karriere bislang nicht über zu wenig Lob beklagen. Applaus als ackernder "Rasenfresser" hat der schmächtige Offensivmann aber eher selten bekommen. An diesem Abend im Leipziger Stadion war es sinnbildlich. "Ich bin sehr stolz auf den Teamgeist, den wir gezeigt haben", sagte Montella. Seine Mannschaft habe System, Spielplan und Taktik gehabt, na klar. "Aber vor allem ich habe das Herz der Türken gesehen und das freut mich."
Dabei sprach vor der Partie nicht viel für sie. "Österreich ist ein komplettes Team. Als Einheit sind sie vielleicht die beste Mannschaft", hatte Montella selbst gesagt und eine heftige 1:6-Testspielpleite gegen das ÖFB-Team im März ihr Übriges getan. Nun aber stellte die Türkei Österreich eine eigene Einheit entgegen. Zwar nicht so spielerisch beschlagen und taktisch ausgetüftelt. Aber eben bereit, gemeinsam leidenschaftlich zu verteidigen.
Demiral brilliert und irritiert
Merih Demiral personifizierte diese türkische Willensleistung. Der 26-Jährige glänzte in seinem Hauptjob. Der Innenverteidiger gewann 74 Prozent seiner Zweikämpfe, 92 Prozent seiner Pässe kamen an. Es wäre für sich betrachtet schon ein starker Arbeitsnachweis gewesen. Doch Demiral erzielte auch gleich beide Treffer seines Teams.
Das Schema? Ähnlich. Ecke Güler, Schuss Demiral. Ecke Güler, Kopfball Demiral. Beim ersten Treffer nach nur 57 Sekunden half ein wenig Glück, als der Ball zwischen mehreren Österreichern wild durch den Fünfer flipperte - in der zweiten Hälfte dann österreichischer Tiefschlaf, als gleich beide Innenverteidiger verweigerten, überhaupt zum Kopfball hochzusteigen.
Hätte Demiral, offiziell zum "Player of the Match" ausgezeichnet, nicht nach dem zweiten Tor den Wolfsgruß gezeigt - das Symbol der türkischen rechtsextremen Organisation "Graue Wölfe" - es wäre wohl noch mehr über diese Leistung gesprochen worden.
Österreich hadert mit vergebenen Chancen
Bedröppelte Österreicher im Leipziger Regen haderten am Ende. Und das zu Recht. Zwanzig Torschüsse standen in der Statistik. Es gab Phasen des Spiels, in denen schien es, als würden die türkischen Fans - und nur sie - das ÖFB-Team mit dem Gegenwind ihrer gellenden Pfiffe vom Strafraum fernhalten. "Die einzigen Vorwürfe sind, dass wir zu wenig aus den Torchancen gemacht und bei den Eckbällen nicht gut verteidigt haben", sagte Rangnick.
Gänzlich widersprechen konnte ihm da niemand. Spätestens in der Nachspielzeit, als der türkische Keeper Mert Günok vielen starken Paraden eine sensationelle folgen ließ und einen Kopfball von Christoph Baumgartner spektakulär klärte. Und doch war diese Analyse zu einfach. Denn irgendwie ruckelte es immer ein wenig bei Österreich.
Presste die Mannschaft im klassischen Rangnick-Stil hoch, drohten schnelle Türken bei Ballverlusten zu entwischen - und manchmal taten sie es auch. Später dann im zugegeben schwierigen Belagerungszustand nach der Pause fehlte der spielerischen Einheit Österreich gegen die kämpferische Einheit Türkei zu oft die Präzision. Rangnick blieb deshalb nur zu sagen: "Es ist eine große Enttäuschung und Leere da. Ich kann es im Moment noch so gar nicht richtig glauben, dass wir morgen wieder nach Hause fahren."
Türkei auf den Spuren von 2008
Für die Türkei geht es hingegen weiter. Im Viertelfinale warten am Samstag (06.07.2024) in Berlin die Niederlande. Es ist das erste Mal seit 2008, dass die Mannschaft bei einer EM so weit gekommen ist. Das junge Team (Durchschnittsalter der Startelf: 25,7 Jahre) eifert seinen Idolen nach. "Als Kind haben wir uns immer die Höhepunkte der EM 2008 angesehen, das war eine unglaubliche Leistung - und ich hoffe, dass wir sie wiederholen können", hatte Güler schon im Vorfeld des Turniers im Sportschau-Interview gesagt.
Die Qualitäten des Abends in Leipzig werden sie dabei zwingend weiter brauchen. "Jeder hat etwas extra gegeben. Es gibt Spiele wie dieses, die kann man nur gewinnen, wenn die Mannschaft wirklich eine Seele hat", sagte Montella. So wie seine. Wenn Arda Güler ackert.