Nachwuchsarbeit zahlt sich aus Portugal glänzt mit dem Talentschuppen Europas
Portugal zählt zu den Favoriten auf den EM-Titel, denn das Team um Altstar Cristiano Ronaldo steckt voller verheißungsvoller Talente. Die systematische Jugendarbeit zahlt sich aus.
Wenn Portugals Nationalteam am Samstag (18.00 Uhr, Live-Audio und Live-Ticker auf sportschau.de) in seinem zweiten Gruppenspiel auf die Türkei trifft, werden die Fans wieder die aktuell wohl spannendste europäische Mannschaft im Einsatz sehen. Im Team um Cristiano Ronaldo tummeln sich über ein Dutzend Spieler, die mit einem Marktwert von 40 Millionen Euro oder mehr ausgewiesen sind.
Zum Vergleich: Das deutsche Team hat deren gerade einmal fünf in seinen Reihen. Portugal hält mit diesem Vorsprung natürlich nicht die Garantie auf den Europameistertitel in den Händen - einen Hinweis auf die Ausbildungsqualität beider Länder bieten solcherlei Zahlen aber schon.
Deutschlands konstant negative Entwicklung
Diese Qualität untersucht hat im Auftrag des DFB und der DFL die Beratungsfirma International Football Concepts (IFC) um den ehemaligen Bundesligatrainer Alexander Nouri. Dessen Projektleiter Jasper Guzman sagt: "Deutschland hat im Vergleich mit anderen europäischen Nationen einen konstant negativen Trend bei der Ausbildung von Topspielern."
Sportwissenschaftler Guzman und sein Team haben die Karriereverläufe von mehr als 7.500 Spielern nach Transfererlösen, Marktwerten und Leistungsdaten im Zeitraum ab der Saison 2009/2010 bis 2021/2022 untersucht. Herausgekommen ist eine Studie, die die Ausbildungsqualität der Verbände und Vereine in den Big-5-Nationen und Portugal offenlegt und Erfolgsfaktoren im Karriereverlauf der Spieler identifiziert.
Spanien und Portugal dominieren in der Jugendarbeit
Demnach rangiert im Untersuchungszeitraum kein einziger deutscher Verein in den den Top Ten des Vereinsrankings, was die Ausbildung von Topspielern angeht. Es befinden sich aber vier spanische Klubs in diesem Bereich und mit Sporting und Benfica Lissabon auch zwei portugiesische. Der erste deutsche Verein ist der VfB Stuttgart auf Rang 17, dort schlagen Topspieler wie Serge Gnabry, Joshua Kimmich und Timo Werner zu Buche.
Dass Portugal hier eine gute Rolle spielt, ist laut Jasper Guzman "kein Zufall". "Bei Benfica Lissabon zum Beispiel ist die Nachwuchsausbildung ein wesentlicher Bestandteil der Vereinsstrategie: Man will selbst Talente ausbilden, um sie im eigenen Profikader zu integrieren oder gewinnbringend zu verkaufen."
Platz | Verein | |
---|---|---|
1. | FC Barcelona | |
2. | Real Madrid | |
3. | FC Chelsea | |
4. | Sporting Lissabon | |
5. | Paris St. Germain | |
6. | FC Valencia | |
7. | Olympique Lyon | |
8. | Manchester United | |
9. | Athletic Bilbao | |
10. | Benfica Lissabon |
*Die Rangliste entspricht der kumulierten Ausbildungsqualität im Zeitraum von 09/10 bis 21/22 gemäß der vom IFC erstellten Berechnungsmethodik im Segment der Topspieler.
Benficas jährliches Millionenplus
Marktexperten zufolge erzielt Benfica mit dieser Strategie jährlich einen Überschuss von 50-70 Millionen Euro. Das größte Plus von Benfica liegt laut Guzman im riesigen Reservoir an Talenten. "Benfica bildet nicht nur 500 eigene Akademiespieler direkt aus, sondern hat über das ganze Land hinweg Fußballschulen installiert, über die der Verein Zugriff auf rund 7.000 Talente ab dem Alter von sechs Jahren hat."
Masse ist aber in Portugals Vorzeigeklub nicht nur an der Basis das Stichwort, sondern auch im Leistungsbereich. In einer zweiten Rangliste, die allein die Ausbildung von Spielern ab 16 Jahren betrifft, liegt Benfica auf Rang eins. Neben dem Profiteam unterhält Benfica eine zweite und dritte Mannschaft, bietet den Talenten damit allein im Seniorenbereich rund 80 Kaderplätze. Das erklärte Ziel dabei: Mindestens zwei Spieler sollen Jahr für Jahr den Sprung aus dem B-Team in den Kader der 1. Mannschaft schaffen.
Je mehr Spielpraxis, desto erfolgreicher
Das gelang zuletzt immer, was sich auch im Nationalteam niederschlägt. Die beiden Youngster Antonio Silva (20, Innenverteidiger) und Joao Neves (19, defensives Mittelfeld) schafften unter Trainer Roger Schmidt im Verlauf der vergangenen Saison den Sprung ins Stammteam. Bei der aktuellen Europameisterschaft stehen sie auch schon im Kader.
Für Guzman ist das ein deutliches Zeichen auch an den deutschen Fußball: "Wir haben herausgefunden, dass sich junge Spieler am besten entwickeln, wenn sie früh regelmäßige Spielpraxis im Seniorenfußball sammeln. Für die meisten Spieler ist dabei die dritte Liga für den Einstieg ideal, weil sie physisch und mental noch nicht auf höchstem Niveau mithalten können. In Spanien und Portugal wird ihnen dafür über zweite und teilweise sogar dritte Mannschaften früh der Zwischenschritt im vertrauten Umfeld ermöglicht."
Vereinstreue wirkt sich positiv aus
Umso grotesker erscheint unter diesem Blickwinkel die Entwicklung in Deutschland: Viele Profiklubs haben gerade erst wieder ein Reserveteam in den Spielbetrieb installiert, nachdem man sich vor Jahren von diesen Teams verabschiedet hatte. Dritte Mannschaften sind in den deutschen Lizenzauflagen noch nicht einmal erlaubt.
Auf dem deutschen Markt ist es zudem nicht unüblich, dass sich junge Spieler unter dem Einfluss ihrer Spielerberater rasch neu orientieren, wenn sie in einem Verein nicht wie gewünscht zum Zuge kommen. Keine besonders zielführende Strategie, wie der IFC herausgefunden hat. "Unsere Untersuchungen haben klar ergeben: Vereinswechsel im Übergangsbereich wirken sich für einen Großteil der Spieler negativ auf ihre Karriere aus", so Guzman.
Ausblick bleibt negativ
Auch in einer Neuauflage der Studie, die der IFC kürzlich mit sieben weiteren europäischen Nationen und Daten aus der Saison 22/23 abgeschlossen hat, bleibt Deutschland laut der Marktexperten weiter deutlich im Hintertreffen. In anderen Nationen wie England, den Niederlanden oder auch Belgien habe sich die Ausbildungsqualität und der daraus folgende Spieler-Output laut IFC-Untersuchungen hingegen hervorragend entwickelt.