Tomas Soucek verteidigt gegen Cristiano Ronaldo
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Joker erlöst Turnierfavoriten Ronaldo und Portugal - als Team und mit Moral zum Happy End

Stand: 19.06.2024 07:38 Uhr

Mitfavorit Portugal ist mit einem 2:1-Sieg gegen Tschechien in die EM gestartet. Auch wenn Cristiano Ronaldo dem Spiel nicht den Stempel aufdrücken konnte, war er ein wichtiger Faktor.

Von Sanny Stephan, Leipzig

Es brodelte in Leipzig. Und das lag nicht allein am Unwetter, das vor dem Anpfiff des EM-Gruppenspiels zwischen Portugal und Tschechien für einige Minuten in der Stadt wütete. Vielmehr sorgte Cristiano Ronaldo für ein Beben - und das bereits vor dem Spiel. Als die kickende Ikone am Dienstagabend (18.06.2024) als erster der portugiesischen Feldspieler in das Leipzig Stadium und Richtung Fankurve stürmte, flippten die Fans auf der Tribüne aus.

Ronaldo stellt nächste Bestmarke auf

Der Ausnahme-Könner und fünfmalige Weltfußballer hat trotz der "Undercover-Station" in Saudi-Arabien nichts an seiner Strahlkraft eingebüßt. An Explosivität und Torgefahr allerdings schon. Und dennoch spielte der Kapitän eine wichtige Rolle beim aufregenden 2:1-Auftaktsieg gegen Tschechien.

Portugal gegen Tschechien - die Analyse und Stimmen

Sportschau UEFA EURO 2024, 18.06.2024 23:20 Uhr

Dass Portugal in der Regenschlacht von Leipzig nach einem 0:1-Rückstand ins Spiel zurückkam, war auch ein Verdienst des frischgebackenen EM-Rekordspielers - sechs Endrunden hat vor ihm noch keiner gespielt.

Der Rekord dürfte ein schöner Nebeneffekt gewesen sein, wichtiger war dem Superstar sicher, dass er der Welt zeigen konnte, dass er mit 39 noch in Portugals Nationalmannschaft gehört. Auch wenn die Fassade so langsam bröckelt, Ronaldo ist ein wichtiger Faktor. Das war spürbar - auf und abseits des Rasens.

So lobte der "Player of the Match", Vitinha, im Moment seines großen Glücks vor allem die "alten Hasen". Es sei wunderbar, Momente wie diese mit Pepe und Cristiano zu teilen, sagte der 24-Jährige, der im Mittelfeld Dreh- und Angelpunkt war und während der Pressekonferenz nachlegte: "Ich fühle mich geehrt, mit ihnen zu spielen."

Trainer Martinez setzt auf Ronaldo und Pepe

Die Rolle der beiden Routiniers wird schon zu Turnierbeginn deutlich. Ronaldo und Pepe (mit 41 ältester Spieler der EM-Geschichte) sind die Leader. Dabei war Ronaldo das große Fragezeichen. Er spielte in dieser Saison unterm Radar, für viele saudische Petrodollars, aber abseits der europäischen Medienpräsenz bei Al-Nassr/Saudi-Arabien. Vorbei sind die Zeiten, als jeder Schritt von "CR7" durch die englische, spanische und italienische Presse ging, als er mit Manchester United, Real Madrid und Juventus Turin jubelte und weinte. Es ist in Europa ruhiger um Ronaldo geworden. Nach der verkorksten WM 2022 in Katar - Ronaldo verlor seinen Stammplatz - schien seine internationale Karriere vorüber. Zumindest sprachen viele Experten davon.

Ronaldo - der Antreiber

Es scheint, als stachele die Tormaschine genau das an. Ronaldo, der jetzt mehr als 4.000 EM-Spielminuten auf dem Konto hat, trieb seine Mannschaft im Dauerregen in Leipzig an, war eher Motivator als Motzer. Sein unbändiger Ehrgeiz zeigte sich nach dem verdienten, aber glücklichen 1:1 durch ein Eigentor des tschechischen Unglücksraben Robin Hranac. Ronaldo holte den Ball eilig aus dem Netz und sprintete Richtung Mittellinie. Als Joker Francisco Conceicao in der Nachspielzeit der umjubelte Siegtreffer glückte, freute sich Ronaldo, als hätte er gerade selbst sein 131. Länderspieltor erzielt.

Zwei Chancen, aber kein Tor

Sein unermüdlicher Auftritt zeigte, dass er sich einfügt in das Ensemble der Ausnahme-Techniker in Portugals Kader. Ronaldo glänzte phasenweise mit Spielwitz, gab fünf Schüsse ab (mehr als jeder andere), nahm sich aber auch Auszeiten und schlenderte immer mal wieder mit Begleitschutz in der tschechischen Hälfte. Zwei Topchancen hatte der Ausnahmestürmer. Einmal scheiterte er nach einem Steckpass im Eins-gegen-Eins, beim zweiten Mal mit einem Drehschuss an Torhüter Jindrich Stanek. Bei seinem Kopfball an den Pfosten, den Diogo Jota über die Linie drückte, stand er knapp im Abseits - der Treffer zählte nicht.

Bei den spielentscheidenden Szenen hatte Ronaldo seine Füße nicht im Spiel. Der Ärger darüber hielt sich in Grenzen. Er scheint seine Rolle neu zu definieren, ordnet sich ein und offenbar auch unter. Läuft nicht nur vornweg, sondern auch mal mittendrin. So kann Portugal von Ronaldos Erfahrung profitieren.

Martinez lobt Zusammenhalt

Gegen die unbequemen Tschechen bewahrte der hochüberlegene Favorit - 13:0 Ecken, 70 Prozent Spielanteile und 57 Prozent gewonnene Zweikämpfe - kühlen Kopf, und genau das imponierte Portugals spanischem Nationaltrainer. "Wir haben die Nerven behalten und sind als Team aufgetreten", lobte der 50-jährige Martinez seine Einzelkönner nach dem späten Siegtor.

Die Mischung macht es eben - nicht nur beim Kuchen. Martinez, der den zornigen Ronaldo, der bei der WM 2022 unter Ex-Trainer Fernando Santos aus der Startelf geflogen war, zurückholte, scheint ein Händchen dafür zu haben. Das entscheidende Tor war eine Co-Produktion der jungen Joker Pedro Neto (24 Jahre) und Conceicao (21). Ihnen gehört die Zukunft, in der Gegenwart spielt Ronaldo noch eine wichtige Rolle, aber nicht mehr die entscheidende.