Einheitliche Trainingsphilosophie Wolfs Masterplan für Deutschlands Fußballtrainer
DFB-Direktor Hannes Wolf will, dass Fußballtrainer von der G- bis zur A-Jugend, von der Kreisklasse bis zum Leistungszentrum, ähnlich trainieren. Ein Interview über den ambitionierten Plan.
Sportschau: Herr Wolf, Sie haben die "Trainingsphilosophie Deutschland" ausgerufen. Können Sie kurz zusammenfassen, was es damit auf sich hat?
Hannes Wolf: Wir wollen das Training für alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland verbessern. Dafür haben wir uns sehr tief Gedanken gemacht, sind voll eingestiegen. Es ist auch nicht nur meine Idee, vielmehr stehen ganz viele tolle Leute mit dahinter und wollen den Trainern und Trainerinnen von der G-Jugend bis zur A-Jugend konkret an die Hand geben, wie gutes Training aussieht und wie sich Kinder bestmöglich entwickeln können.
Sportschau: Wie sieht denn ein gutes Training aus?
Wolf: Wir wollen viel spielen im Training, auch mit Freiheitsgraden und viel in Gleichzahl. Wir wollen helfen, das Funino (Spielform Drei gegen Drei auf vier Minitore, Anm. d. Red.) auf Deutschlands Sportplätzen zu etablieren, weil es eine wunderbare Ergänzung zum Spielen auf größere Tore darstellt. Entscheidend ist, dass wir kleine Formate wählen. Bei den ganz Kleinen, wenn sie sechs Jahre alt sind, Zwei gegen Zwei als Basis. Wenn sie acht Jahre alt sind, dann auch Drei gegen Drei. Anschließend kommt irgendwann mit zehn das Vier gegen Vier dazu. Dabei sollte es als Basis bleiben, denn wenn in der D-Jugend schon Neun gegen Neun gespielt wird, ist das keine sinnvolle Orientierung fürs Training, weil die Kinder viel zu wenig Ballkontakte haben.
Sportschau: Sie haben auch eine so genannte "beste Trainingseinheit" entworfen, die zu etwa zwei Dritteln aus Spielformen auf Tore in kleinen Gruppen besteht. Hinzu kommen anfangs und in der Mitte zwei maximal 15 Minuten lange Blöcke mit Aufwärmen, Koordinations- und Techniktraining. Wo bleibt da noch die Zeit für das Taktiktraining?
Wolf: Diese Trainingsformen, die wir auf fussball.de veröffentlicht haben, sind hoch taktisch. Wenn wir Varianten wie Vier gegen Vier auf Linie verteidigen nehmen, hast du defensivtaktisch Schieben, Stechen, Sichern, einer muss Druck machen, die anderen müssen sichern. Offensiv beinhalten die Formen das Andribbeln, Gegner Binden, Positionen Überspielen, Doppelpassverhalten. Wenn du mit tiefen oder diagonalen Anspielern spielst, hast du Steil-Klatsch-Elemente, du hast Flanken und Flankenverteidigung. Taktik ist nicht, dass Spieler immer alles erklären können. Es geht um die Anwendbarkeit.
Sportschau: Die Hinweise, möglichst in kleinen Gruppen zu trainieren und jedem Kind einen Ball zu geben, gibt es schon seit vielen Jahren. Wieso braucht Deutschland trotzdem diese Offensive und eine neue Trainingsphilosophie?
Wolf: Dass es das schon lange gibt, ist völlig klar, und es war auch überhaupt nicht unser Ziel, alles neu zu erfinden. Wir haben in dem Prozess erstmal das festgehalten, was den deutschen Fußball immer ausgemacht hat. Deshalb waren wir auch zuerst bei Hermann Gerland und Peter Hermann. Die beiden waren 50 Jahre in der Bundesliga und unsere ersten Ansprechpartner. In den vergangenen zehn Jahren gab es Entwicklungen im Nachwuchsfußball, die uns geschadet haben: die Einführung der Videoanalyse bei Nachwuchsteams, die Überbetonung der Taktik im Nachwuchsfußball, die Rondoisierung (Ballbesitz-Übung ohne Tore, Anm. d. Red.) … Alle haben sich an den Profis orientiert, überall kannst du dir die Trainingsformen von den größten Trainern der Welt angucken. Es gab keine Differenzierung zwischen Profi- und Jugendtraining. Für uns war es ganz klar an der Zeit, die Konsequenzen daraus zu ziehen, weil wir einen großen Drop-out haben an der Basis. Viele Kinder hören auf mit Fußball, weil sie nicht mehr die Freude haben, sich vielleicht auch nicht so entwickelt haben wie gewünscht. Das Verrückte ist: Bei der Ernährung ist das, was am meisten Spaß macht, eigentlich ungesund. Beim Fußball ist es anders: Das, was am meisten bringt, wo man am meisten lernt, macht auch am meisten Spaß: Spielen auf Tore.
Sportschau: Sie sprechen mit viel Enthusiasmus über diese Themen. Ist die Trainingsphilosophie Deutschland so etwas wie das Herzstück Ihrer Arbeit beim DFB?
Wolf: Komplett. Das war auch ganz klar so definiert, weil die Gefahr ist, dass man alles nur ein bisschen macht. Deswegen würde ich aus den Bereichen Nachwuchs, Training und Entwicklung immer das Training ganz groß schreiben. Es hat das größte Potenzial und ist das einfachste Steuerungsmittel, um Spielerinnen und Spieler besser zu entwickeln.
Sportschau: Die Trainingsphilosophie soll nicht nur die Nachwuchsleistungszentren erreichen, sondern auch die kleinen Vereine an der Basis. Wie wollen Sie das schaffen?
Wolf: Deutschland ist groß und wir wollen alle Optionen nutzen. Die Technisierung ist eine riesige Chance. Wir haben zum Beispiel eine Fortbildung gemacht über die Fußballschule von Borussia Dortmund, das Leistungszentrum und den Fußballkreis Dortmund, bei der sich Trainer frei zugänglich zuschalten konnten. Das haben 300 Trainer getan. Die Aufnahme der Veranstaltung haben sich auf Youtube dazu noch 25.000 Menschen angeguckt. Unsere Videos mit Hermann Gerland, Peter Hermann, Sandro Wagner und weiteren Trainerpersönlichkeiten haben zusammen hohe sechsstellige Abrufzahlen. Aber das befreit uns nicht davon, auch direkt zu den Leuten zu gehen und Live-Fortbildungen zu machen.
Sportschau: Wird es dann künftig so sein, dass in jedem Trainerlehrgang, ob beim Kinderzertifikat oder bei der A-Lizenz, die Trainingsphilosophie Deutschland gelehrt wird?
Wolf: Ja, genau so soll das sein. Wir haben jetzt schon einen großen Zugang zu den Lizenzen. Deutschland ist aber auch im Fußball föderalistisch organisiert, wir können nicht einfach in die Landesverbände gehen und sagen: So, ihr müsst das so machen. Wir wollen überzeugen und setzen auf die jeweils handelnden Personen. Die beste Trainingseinheit, Freude, Intensität, Wiederholung, für jedes Kind und jede Position die besten Varianten, die besten Settings im Funino-Feld, auf ein Tor, auf zwei Tore ... Wenn wir jede Trainerlizenz damit starten in den ersten Stunden, dann müssen wir den Lehrplan gar nicht ändern. Es ist einfach, unser Material einzubauen und erleichtert die Arbeit der Trainerausbilder in Deutschland.
Sportschau: An der föderalen Struktur und der teils geringen Reformbereitschaft in Landes- und Kreisverbänden ist schon so mancher DFB-Direktor gescheitert oder zumindest verzweifelt. Haben Sie möglicherweise einen günstigen Zeitpunkt für Reformen erwischt, weil ohnehin viel in Bewegung ist?
Wolf: Ja klar, es geht immer um Timing. Wenn wir eine andere Situation hätten, wenn alle Vereine drei F-Jugenden und drei A-Jugenden hätten und wenn wir in der U 21 nicht deutlich weniger Spieler mit Einsatzzeiten in den Profiligen hätten als die Engländer und Franzosen, dann hätten wir kein Projekt über Training gemacht. Dann hätten wir einen Schritt zurück gemacht und gesagt: Bloß nicht stören. Aber es ist eindeutig so, dass wir das Umdenken brauchen, vor allem, wenn man das internationale Niveau sieht. Die Schritte, die wir jetzt zum Beispiel im Spielformat machen, sind die anderen Nationen schon vor Jahren gegangen.
Sportschau: Sie sprechen die neuen Spielformen an, die spätestens ab kommendem Sommer von der G- bis zur E-Jugend den klassischen Spielbetrieb ersetzen sollen. Kleinere Teams, mehrere Kleinfelder, mehr Ballaktionen für alle - die Reform scheint Hand in Hand zu gehen mit Ihrer Trainingsphilosophie.
Wolf: Ja, beides baut aufeinander auf. Wir denken gleichzeitig bereits über den aktuellen Stand hinaus. Wir sind auf einem guten Weg, aber dieser Weg ist aus unserer Sicht noch nicht zu Ende. Es gibt noch viele Aspekte im Nachwuchsbereich, über die wir gemeinsam intensiv nachdenken müssen. Zum Beispiel fänden wir im Kompetenzteam sinnvoll, dass schon in den unteren Altersklassen die Rückpassregel konsequent angewendet wird, damit ein Team nicht mehr mit einem Pass zurück den Druck auflösen kann. Außerdem darf man in der E-Jugend aktuell noch Sechs gegen Sechs plus Torhüter spielen. Wir im Expertenteam sagen: Es soll, es darf in diesem Alter nicht größer sein als Vier gegen Vier plus Torhüter. In der D-Jugend ist Neun gegen Neun zu groß. Da müssen wir aus meiner Sicht auf ein Sechs gegen Sechs plus Torwart kommen, dann auf zwei Feldern. Alles im Sinne der Kids, ihrer Entwicklung und für die Begeisterung am Fußball.
Sportschau: Vermutlich hatte DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke eine ganz andere Reform im Kopf, als er darüber geschimpft hat, dass die Tabellen und vermeintlich auch die Ergebnisse wegfallen. Soll es denn dann künftig zumindest in der D-Jugend auch im Sieben gegen Sieben mit Nebenfeldern weiterhin Tabellen geben?
Wolf: Auf jeden Fall. Ein Feld kannst du ja immer zählen, da kannst du immer eine Tabelle machen.
Sportschau: Auch für die E-Jugend wünschen sich viele noch einen klassischen Spielbetrieb. Die aktuell flexiblen DFB-Vorgaben mit der Option, in der E-Jugend noch Sieben gegen Sieben spielen zu dürfen, schien wie ein Entgegenkommen an skeptische Landesverbände.
Wolf: Flexibilität ja, aber sie muss da aufhören, wo sie nicht mehr gut für die Kinder ist. Sechs gegen Sechs plus Torwart in der E-Jugend halten wir im Kompetenzteam für nicht richtig. Die Belgier und viele andere Nationen werden sonst nach der E-Jugend immer besser sein als wir und damit einen Vorsprung haben. Wir brauchen das Vier gegen Vier plus Torwart und das wunderbare Spiel Funino stringent für die Trainingswoche und für den Spieltag. Außerdem macht es den Kindern schlicht mehr Spaß, wenn sie mehr Aktionen haben, womit sie dem Fußball an der Basis weniger oft verloren gehen.
Das Interview führte Volker Schulte.