Deutsche "Doppelsechs" bei EM 2024 Kroos und Andrich - ein passendes Übergangspaar
Die "Doppelsechs" mit Toni Kroos und Robert Andrich ist keine Lösung mit Perspektive, scheint aber für die EM 2024 genau die richtige zu sein. Die Schweiz dürfte ein guter Stabilitätstest vor der K.o.-Phase werden.
Seit Ende März sind sie ein Paar. Sie sind nicht unzertrennlich, verbringen aber seitdem schon die meiste Zeit ihres Fußballerlebens gemeinsam auf dem Platz. Toni Kroos und Robert Andrich sind die erste Wahl von Bundestrainer Julian Nagelsmann als "Doppelsechs", also im zentralen, defensiven Mittelfeld des 4-2-3-1-Systems.
Andrich ist aus seinem Verein eine andere Grundformation und auch einen anderen Partner gewöhnt. Trainer Xabi Alonso setzte auf dem Weg zu deutscher Meisterschaft, Gewinn des DFB-Pokals und Einzug ins Finale der Europa League meistens auf ein 3-4-2-1.
In der Hinrunde setzte er Andrich häufiger auf die Bank. In der Rückrunde stellte er ihn regelmäßig an die Seite von Granit Xhaka. Am Sonntag wird er seinem Vereinspartner gegenüberstehen, denn Deutschland trifft in seinem letzten Gruppenspiel bei der EM 2024 auf die Schweiz.
Eher wenige Änderungen in Startelf zu erwarten
Der Sieger gewinnt die Gruppe A, der deutschen Mannschaft würde dazu auch ein Unentschieden reichen. Egal, wie das Spiel ausgeht, ist für beide Mannschaften ein Achtelfinale gegen Spanien ausgeschlossen.
Daher wird spekuliert, ob Nagelsmann einigen Spielern eine Pause gönnt, vor allem jenen, die schon eine Gelbe Karte erhielten und daher bei der nächsten für das erste K.o.-Spiel gesperrt wären. Erst nach einem möglichen Viertelfinale werden die Gelben Karten gestrichen.
Mit den Innenverteidigern Antonio Rüdiger und Jonathan Tah sowie dem linken Außenverteidiger Maximilian Mittelstädt sind drei Spieler aus der Viererkette vorbelastet, hinzu kommt Andrich.
Belastbare Aussagen, ob der Bundestrainer Änderungen vornehmen oder zum dritten Mal dieselbe Startelf aufbieten wird, gab es zwei Tage vor dem Spiel noch nicht.
Wegen der Behauptung nach dem 2:0-Sieg gegen Ungarn, unbedingt Gruppenerster werden zu wollen, wird davon ausgegangen, dass es - wenn überhaupt - nur wenige Änderungen geben wird.
Kroos und Andrich sorgen für Ordnung
Gut möglich also, dass Kroos und Andrich zum sechsten Mal zusammen in der Nationalmannschaft auflaufen werden. Ihr Debüt gaben sie beim 2:0-Sieg in Frankreich, der den Stimmungswandel rund um die Eliteauswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) einläutete. Er ist eng mit dem Namen Toni Kroos verknüpft, denn das Spiel in Lyon war das erste nach dessen Comeback.
Von den fünf anschließenden Partien wurden vier gewonnen, Kroos (der beim 0:0 gegen die Ukraine wegen des Endspiels in der Champions League mit Real Madrid fehlte) und Andrich waren wie in Frankreich jeweils Teil der Startelf.
"Toni ist ja auch unter dem Gesichtspunkt gekommen, alles ein bisschen zu ordnen", sagte Andrich in der Vorbereitung über seinen Partner. Er wiederum hat die Aufgabe, die Ordnung zu halten, sowohl wenn der Gegner den Ball hat, als auch, wenn er ihn gewinnt und die Chance auf einen Konter wittert.
Die mangelnde Absicherung gegen schnelle Angriffe mit zu wenigen Spielern hinter dem Ball oder schlechter Staffelung, das waren große Probleme der deutschen Mannschaft in den vergangenen Jahren, mitverantwortlich für das schwache Abschneiden bei Turnieren.
Viele Kombinationen unter Löw und Flick
Die ehemaligen Bundestrainer Joachim Löw und Hansi Flick versuchten viele Kombinationen auf der "Doppelsechs", involviert vor allem die Spieler Joshua Kimmich, İlkay Gündoğan, Leon Goretzka und Kroos. Es passte nie richtig zusammen, auch wenn nie Zweifel an der individuellen Klasse der Spieler bestanden.
Eine Lösung mit Zukunft ist das Duo Kroos/Andrich auch nicht, denn der Star von Real Madrid wird nach der EM seine Karriere beenden.
Kaum Gefahr durch gegnerische Mittelfeldspieler
Für das Turnier scheint jedoch eine stimmige Lösung gefunden zu sein. Das zeigen auch die Daten, die der Dienstleister Sportec Solutions für die Sportschau zusammengetragen hat:
- So ließ die Auswahl des DFB bei dieser EM in den beiden Partien nur sieben Torschüsse durch Mittelfeldspieler zu. Von allen Mannschaften, die bereits zwei Spiele absolviert haben (Stand: vor der Partie Slowakei - Ukraine), war dieser Wert nur bei Spanien geringfügig geringer (6).
- Die Absicherung bei Ballverlusten in der gegnerischen Hälfte passt, in den 180 Minuten gegen Schottland und Ungarn ließ Deutschland nur einen Torschuss nach Kontern zu.
Desaster bei WM 2018
Die WM 2018 wurde auch deshalb zum Desaster mit dem Ausscheiden in der Gruppenphase, weil die gegnerischen Mittelfeldspieler viel zu häufig und mehrmals aus guten Positionen zum Abschluss kamen: 15-mal. Zwei Tore kassierte Deutschland in den Partien gegen Mexiko (0:1), Schweden (2:1) und Südkorea (0:2) nach Kontern, neunmal schossen die Gegner nach Kontern aufs Tor von Manuel Neuer, wie die Tabelle zeigt.
Turnier | Tore MF | TS MF | Kontertore | TS | |
---|---|---|---|---|---|
WM 2018 | 1 | 15 | 2 | 9 | |
EM 2021 | 1 | 6 | 1 | 2 | |
WM 2022 | 2 | 7 | 1 | 2 | |
EM 2024 | 0 | 7 | 0 | 1 |
Erklärung: Die Zahlen beziehen sich auf Tore und Torschüsse des Gegners
MF = Mittelfeld
TS = Torschuss
Defensive zuerst, Zentrum dicht
Einen "Sechser" wie Andrich, der sich vor allem auf die Defensive konzentriert und die Gegner möglichst schon vor der Ballannahme aggressiv stört, hatte die deutsche Mannschaft schon länger nicht mehr. Da auch Kroos das Spiel in der Regel von weit hinten aufbaut und sich manchmal zwischen die Innenverteidiger fallen lässt, ist eine zahlenmäßig gut aufgestellte Restverteidigung die Regel.
Zumindest das Zentrum ist gut gegen Konter gesichert. Auf den Flügeln sieht es ein bisschen anders aus, denn die deutschen Außenverteidiger nutzen häufig den Raum, der entsteht, weil es die vier offensiven Spieler in die Mitte zieht.
Schweiz mit Xhaka als guter Gradmesser
Die Schweiz dürfte vor den Spielen in der K.o.-Runde ein guter Gradmesser sein, wie es um die Balance und Stabilität der deutschen Mannschaft bestellt ist, zumal mit Xhaka auf der anderen Seite. Andrichs Vereinskollege spielte gerade in der ersten Partie gegen Ungarn präzise und scharfe Pässe aus dem Mittelfeld heraus in die Spitze.