EM-Finale gegen Spanien Kobbie Mainoo - Teenie-Boss verändert Englands Spiel
England schleppte sich durchs EM-Turnier. Dann kam Kobbie Mainoo, gab sich mit seinen 19 Jahren gänzlich unbeeindruckt und dem Spiel seines Teams System. Im Finale wird es nun auf ihn ankommen - auch weil er weiß, wie man Rodri ärgert.
Englands Fans waren uneins mit der UEFA. Der europäische Fußballverband hatte nach dem Einzug ins Endspiel gegen die Niederlande Ollie Watkins als "Player of the Match" ausgezeichnet. Na klar, das lag auf der Hand nach seinem späten Siegtor als Joker. Doch das Ergebnis des Votings der englischen Anhänger, tags darauf veröffentlicht auf den sozialen Kanälen des Nationalteams, fiel anders aus. Es gewann Kobbie Mainoo.
Mainoo, der Mittelfeldspieler von Manchester United. Er ist gewissermaßen die englische Antwort auf Spaniens jugendliche Genies. Ganz so jung wie der seit Samstag 17-jährige Lamine Yamal ist er zwar nicht, aber als Mainoo mit 19 Jahren und 82 Tagen gegen die Niederlande auflief, bedeutete das immerhin nationalen Rekord. Nie war ein Spieler jünger, der im Halbfinale eines großen Turniers für England auf dem Platz stand.
"King Kobbie" oder "Magic Mainoo"?
Grund für seine Wahl war das aber kaum. Mainoo wird nicht für den Superlativ geliebt, für das Spektakel sorgen andere. Er beeindruckt vielmehr mit großer Ruhe. Mit genau der gab er England in den K.o.-Spielen das, was zu Turnierbeginn so unübersehbar fehlte: einen klaren Plan im Spiel nach vorne. "Es scheint, als würde ihn überhaupt nichts aus der Fassung bringen", schrieb Rio Ferdinand in seiner Kolumne für "BBC Sport".
Es staunte längst nicht nur die Legende. Die alliterationsbewussten Anhänger waren in den Kommentarspalten kreativ, rühmten ihn als "King Kobbie" oder "Magic Mainoo". Er versöhnte sie mit ihrem Team. Und selbst die lange mit den allerbesten Argumenten (ver-)zweifelnden Kritiker ließ er auf dem Weg ins Finale gegen Spanien immer optimistischer werden.
Zunächst nur Southgates dritte Wahl
Warum nicht gleich so? Die kurze Antwort lautet: wegen Gareth Southgate. Der Trainer der Engländer hatte Zeit gebraucht, um auf Mainoo zu kommen. Der Prozess schleppte sich über die gesamte Vorrunde, er lief so zäh wie in dieser Phase alles bei den Engländern. Der 19-Jährige war nur dritte Wahl. Zuvor durften sich Trent Alexander-Arnold und Conor Gallagher als offensiver Teil der Doppelsechs neben Declan Rice versuchen. Mit ihnen blieb sie allerdings eine der problematischsten der zahlreichen Problemzonen.
Mainoo war derweil in den ersten beiden EM-Spielen nur Kurzzeit-Arbeiter für vier Minuten. Als dann Gallaghers Startelf-Einsatz zum Vorrunden-Abschluss - hinten zweikampfschwach und nach vorne impulslos - zur Pause desillusioniert endete, eröffnete das die erste richtige Chance für die dritte Wahl. Seitdem spielt Mainoo und England mit ihm anders, zumindest peu à peu. Anders, das heißt in dem Fall besser. Auch Southgate schwärmte nach dem Final-Einzug: "Ich denke, alle seine Leistungen waren außergewöhnlich, vor allem wenn man sein Alter bedenkt. Einen Spieler wie ihn hatten wir noch nicht wirklich."
Mainoo lässt schwere Dinge einfach aussehen
Einen Spieler also, der auf dieser Position alles vereint. Der präsent, ja fast überall ist. Der kontrolliert. Der die Mehrzahl seiner direkten Duelle gewinnt. Der das Spiel antreibt, sobald er den Ball hat. Der den einfachen Pass nach hinten scheut, nicht den anspruchsvollen nach vorne. Und der diese - teils risikoreichen - Zuspiele auch noch mit hoher Zuverlässigkeit an den Mitspieler bringt. Eine Passquote von mehr als 90 Prozent spricht für sich.
"Es macht einen großen Unterschied, wenn deine Mittelfeldspieler den Ball so leicht und bequem annehmen und sich mit ihm drehen können. Es sieht einfach aus, wenn er es tut, aber es ist nicht einfach", sagte Southgate. Hatte England in den ersten Spielen so viel Last gespürt, half Mainoo dem Team mit der Unbeschwertheit eines 19-Jährigen, der in einem Tempo aufgestiegen ist, das selbst im so schnelllebigen Fußball staunen lässt.
Im Finale des FA-Cups Spaniens Mittelfeld-Leader besiegt
Denn nur acht Monate lagen zwischen dem EM-Auftakt und seinem Startelf-Debüt in der Premier League. Im November war das, Mainoos sportlich schlingernder Schon-Immer-Klub Manchester United spielte beim FC Everton. Der damals noch 18-Jährige zeigte direkt, dass er mehr als nur ein Versprechen für die Zukunft ist. Er war kein Mitläufer, sondern bewies: Er funktioniert sogar, wenn um ihn herum gerade nicht viel zusammenläuft.
Es folgte ein rasanter Aufstieg mit 34 weiteren Pflichtspielen für Manchester United und einer unerwarteten Krönung Ende Mai. Vor 85.000 Zuschauern im Wembley-Stadion ging es um den FA-Cup. Es war Mainoos erstes großes Finale bei den Profis. Im Zentrum kreuzten sich - so wie auch am Sonntagabend sein wird - seine Wege mit denen des spanischen Mittelfeld-Stars Rodri. Was dann passierte, dient so manchem englischen Fan als Mutmacher für das EM-Endspiel, denn es ist die Blaupause für die perfekte Underdog-Story.
Zweikampf zwischen Kobbie Mainoo (Manchester United) und Rodri (Manchester City)
Der Liga-Achte besiegte nämlich den Meister - oder anders formuliert: Manchester United mit Mainoo gewann gegen Manchester City mit Rodri. Während Mainoo erst ein Tor schoss und sich später die Auszeichnung als "Man of the Match" abholte, riss für Rodri eine Rekordserie: Wenn er spielte, hatte City 74 (!) Spiele in Folge nicht verloren, Niederlagen nach Elfmeterschießen ausgeklammert, so wie es die Statistiker üblicherweise tun.
Seedorf, Pirlo oder doch Rodri?
Da dauerte es nicht lange, bis die (über-)großen Vergleiche folgten. Eine Auswahl? Clarence Seedorf, Andrea Pirlo, Toni Kroos, und genau: natürlich der frisch besiegte Rodri. Der Leader im besten Team dieser EM, der - wenn es ihn überhaupt noch gebraucht hat - in diesen Tagen den erneuten Beweis liefert, wieso er für viele als der beste Sechser der Welt gilt. Bei den Spaniern hatte er die meisten Ballaktionen, gewann die meisten Zweikämpfe und brachte 95 Prozent seiner Pässe zum Mitspieler. Es ist das schöne Spiel in Perfektion.
Aus der Fassung wird Mainoo jedoch auch das nicht bringen. Er wird sein Spiel spielen, so wie er es in den vergangenen acht Monaten getan hat, seit es nach Everton und dann nur bergauf ging. Im Wissen, dass er die Erfahrung und die Konstanz eines Rodri nicht haben kann, sehr wohl aber die Qualität, ihn in einem Duell zu schlagen. Die Blaupause hat der 25. Mai im Wembley-Stadion geliefert. Gelingt Mainoo nun der zweite Coup als Underdog gegen Rodri, dürften sich danach auch Englands Fans und die UEFA einig sein.