Streitbare Auftritte des Engländers Jude Bellingham - bis an die Schmerzgrenze provokant
Dass Jude Bellingham ein exzellenter Fußballspieler ist, daran gibt es keine Zweifel. Allerdings wirft sein Verhalten bei dieser EM 2024 Fragen auf. Auch bei Borussia Dortmund stand der 21-Jährige deshalb bereits in der Kritik.
Es ist jetzt schon ein paar Jahre her, da hallten Jude Bellingham besonders freundliche Worte hinterher. "Der Junge hat eine unglaubliche emotionale Intelligenz und Reife für sein Alter", sagte Birminghams Nachwuchskoordinator Kristjaan Speakman der BBC. Dort, bei Birmingham City, hatte das Riesentalent als 16-Jähriger seine ersten Schritte im Profifußball gemacht.
Der damalige Torhüter City-Torhüter David Stockdale befand: "Sein Geist arbeitet wie der eines 25-Jährigen." Bellingham, so hieß es, sei frei von Allüren, nehme auch Ratschläge der älteren Spieler immer gerne an.
Wer hätte solch einen Spieler nicht gerne? Jung, lernwillig, angenehm im Umgang - und ein fußballerisches Versprechen für die Zukunft. Der BVB schlug einst bei dem damals erst 17-Jährigen für 25 Millionen Euro Ablöse zu - und machte zunächst gute Erfahrungen. Aber wie passt dieser Eindruck zusammen mit dem aktuellen Bellingham bei der EM 2024?
Provokationen und One-Man-Show
Rund vier Jahre später hinterlässt der 21-Jährige den Eindruck, dass er sich im Teamsport Fußball eher als eine One-Man-Show im englischen Nationalteam sieht. Von Arroganzanfällen ist die Rede, von einem Nervfaktor, der die wenigen fußballerischen Glanzpunkte des Offensivspielers negativ überschattet.
Bellingham winkte bei den bisherigen vier englischen Partien häufig demonstrativ ab und lamentierte, wenn ein Mitspieler nicht so agierte, wie er es für richtig hielt. Er wälzte sich theatralisch am Boden, wenn er auch nur leicht gefoult wurde, um eine höhere Strafe für den Gegner zu provozieren. Wurde eine Aktion vom Schiedsrichter gegen ihn abgepfiffen, fiel er häufig auf seine Knie und tat so, als sei die größtmögliche Ungerechtigkeit über ihn hereingeprasselt.
Druck einer ganzen Nation
Als er im Achtelfinale in Gelsenkirchen gegen die Slowakei per Fallrückzieher spektakulär und in letzter Sekunde traf, rief er unmittelbar danach in die Kameras: "Who else!" (Wer sonst!).
Bellingham ist mit seinen jungen Jahren unumstritten der größte Star bei den "Three Lions". Er fühlt derzeit den ganzen Druck der englischen (Fußball-) Nation auf seinen Schultern. "Ich weiß, was ich in solchen Momenten liefern kann, unabhängig davon, was andere sagen. Ich hab es dieses Jahr schon für Madrid getan, ich hab es schon zuvor für England getan", sagte Bellingham nach seinem Treffer gegen die Slowakei. Viel mehr Selbstgewissheit geht kaum.
Dass er von der UEFA nach einer obszönen Geste, die offenbar in Richtung der slowakischen Bank gerichtet war, zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro und einem Spiel Sperre zur Bewährung verdonnert wurde, passt ins häufig eher unerfreuliche Bild bei diesem Turnier. Bellingham bestritt seine Verfehlung übrigens vehement. "Es handelte sich um einen Scherz mit Freunden auf der Tribüne", sagte er. Bellingham ist besonders wichtig für sein Team - und das kostet er über die Schmerzgrenze hinweg aus.
Das Ego ist früh angewachsen
Apropos Schmerzgrenze. Dieser näherte er sich auch alsbald zu Dortmunder Zeiten. Erst begann alles harmonisch. Bellingham überzeugte sportlich vom ersten Tag an, wirkte angenehm bescheiden. "Jude hat sich super integriert. Er strotzt vor Selbstvertrauen", sagte der damalige BVB-Lizenzspielleiter Sebastian Kehl nach den ersten Tagen Bellinghams im BVB-Trainingslager.
Fortan galt Bellingham als Musterprofi, der auf dem Platz voran ging, starke Leistungen zeigte. Er fügte sich ins Team ein, war auch außerhalb des Feldes unkompliziert.
Doch auch in Dortmund deutete der junge Engländer recht schnell egozentrische Verhaltensmuster an. Je länger Bellingham beim BVB in eine Führungsrolle hineinwuchs, umso größer schien sein Ego zu werden. Die Folge: Mal stritt er sich mit den Mitspielern, etwa mit Routinier Axel Witsel, dann beleidigte er Nico Schulz auf dem Platz, wetterte gegen Schiedsrichter Felix Zwayer oder provozierte gegnerische Fans.
Sammer mit deutlichen Worten
Sein ehemaliger BVB-Mitspieler Emre Can sagte einst in Richtung Bellingham: "Jude ist noch jung. Er muss noch viel lernen. Auf dem Platz, hier vor 70.000 oder 80.000 Zuschauern, gibt es Dinge, die darfst du einfach nicht tun. Du brauchst eine gute Körpersprache, wenn ein Teamkollege einen Fehler macht.“ Dass der Hochtalentierte diese Hinweise für sich annahm, darf allerdings mit Blick auf diese Europameisterschaft bezweifelt werden.
Matthias Sammer sendete Bellingham dann auch "schöne Grüße" nach dessen Wechsel für über 100 Millionen Euro zu Real Madrid nach. "Jude ist ein überragender Spieler, ein außergewöhnliches Talent, der aber ein bisschen die Neigung zum Extrovertierten hat. Er ist nach Spielen nicht mit der Mannschaft zusammen zu den Fans gegangen, sondern hat einen Moment gewartet, damit er die Südtribüne für sich allein hat“, sagte der BVB-Berater.
Southgate versteht Bellinghams Welt
Englands Nationalcoach Gareth Southgate ist nicht nur froh, dass er Bellingham in seinem Team hat, sondern kann auch nachvollziehen, mit welchen Herausforderungen dieser zu kämpfen hat.
"Ich verstehe seine Welt. Seine Welt ist anders, als die von fast jedem 21-Jährigen auf diesem Planeten. Er hat einen unglaublichen Einfluss auf seinen Klub und die Nationalmannschaft. Aber er ist immer noch ein junger Mann. Und er wird Dinge sagen und auf Dinge reagieren, wie es junge Menschen nun mal tun", so der englische Nationalcoach. "Er ist ein toller Junge."
Southgate setzt offenbar darauf, dass sich alles wie von selbst regeln wird, wenn Bellingham erst reifer geworden ist. Bis dahin wird sich der englische Superstar aber noch einiger Kritik ausgesetzt sehen.