Tschechien unter Druck Jarolim - "Für uns startet die EM jetzt erst"
Tschechiens denkbar knappe Niederlage zum EM-Auftakt gegen Portugal hat geteiltes Echo hervorgerufen. Klar ist, dass sich die Tschechen in Hamburg gegen Georgien (Samstag, 15.00 Uhr, Audiostream und Live-Ticker auf sportschau.de) steigern müssen. Die TV-Experten Thomas Hitzlsperger und David Jarolim sind optimistisch.
Ihren freien Tag zwischen den Spielterminen nutzten die Tschechen für einen Ausflug in die Hamburger Innenstadt. Verbandspräsident Petr Fousek führte eine Delegation an, die im Rathaus empfangen wurde.
Nach der bitteren 1:2-Auftaktniederlage gegen Portugal galt es, die Köpfe freizubekommen, bevor im Volksparkstadion das zweite Gruppenspiel ansteht. "Wir müssen den Kopf hochnehmen", sagte Trainer Ivan Hasek.
1:2 gegen Portugal - beachtlich oder enttäuschend?
Wie die Position der Tschechen in ihrer Gruppe ist? Dazu gibt es ganz unterschiedliche Blickwinkel. "Die Mannschaft war nah dran, einen Punkt gegen eine Top-Mannschaft zu holen. Das sollte ihnen Auftrieb geben", sagt Sportschau-Experte Thomas Hitzlsperger, der bei der Partie gegen Portugal Co-Kommentator im Ersten war.
Sein Pendant beim tschechischen Fernsehen, Ex-Profi David Jarolim, geht im Sportschau-Interview mit seinen Landsleuten deutlich härter ins Gericht: "Dass wir durch die beiden späten Tore das Spiel verloren haben, war natürlich schade. Aber wenn man das ganze Spiel sieht, hat Portugal verdient gewonnen. Ich war von unserem Auftritt enttäuscht. Wir haben ängstlich gespielt, hatten einfach zu viel Respekt."
David Jarolim ist bei der EM tschechischer TV-Experte - und hat mittlerweile als Trainer die UEFA-Pro-Lizenz gemacht.
Die 1:0-Führung von Lukas Provod sei aus dem oft beschriebenen Nichts gefallen. Ansonsten habe in der Offensive nicht viel geklappt. Doch auch der 45-Jährige blickt den weiteren Spielen optimistisch entgegen. Denn: "Wir können viel mehr als wir gezeigt haben."
Jarolim hat als Profi 318-Bundesliga-Einsätze für den HSV und Nürnberg verbucht, dazu 29 Länderspiele. Aktuell wartet er als Trainer auf Angebote, könnte sich auch einen Job in der Bundesliga gut vorstellen. Bis April 2022 hat er den tschechischen Zweitligisten Usti nad Ladem trainiert.
Sehr viele Tschechen spielen in der heimischen Liga
Was beim Blick auf die EM-Kader auffällt: Nach England, Italien, Deutschland und Spanien hat Tschechien mit 15 die meisten Spieler aus der heimischen Liga im eigenen Aufgebot. Allein neun stehen bei Slavia Prag unter Vertrag. Die großen Stars vergangener Jahre - damals Tomas Rosicky, Pavel Nedved oder Jan Koller - sucht man vergeblich.
Die tschechische Liga ist im internationalen Vergleich gut. Es lässt sich trotzdem nicht leugnen, dass der ein oder andere Spieler in einer Top-5-Liga der Mannschaft helfen würde.
Kapitän Tomas Soucek ist Mittelfeldmotor des Teams, gehört bei West Ham in der Premier League zu den Stammspielern. Das gilt auch für seinen Klubkollegen, Rechtsverteidiger Vladimir Coufal. Dahinter wird es bei den erfolgreichen Legionären schon eng: Die fünf Bundesliga-Spieler haben - bei Patrik Schick auch verletzungsbedingt - in dieser Saison keine ganz große Rolle gespielt.
"Es ist nicht mehr wie zu meiner aktiven Zeit, als wir viele Spieler von den Topklubs der Premier League, der Serie A oder der Bundesliga hatten", sagt Jarolim. "Aber Viktoria Pilsen ist im Viertelfinale der Conference League erst in der Verlängerung am späteren Finalisten Florenz gescheitert. Das zeigt schon die Qualität des tschechischen Fußballs."
Der Dreierblock in der Abwehr, der komplett in Tschechien spielt, habe schon gut verteidigt, betont Jarolim. "Aber offensiv kam insgesamt von allen zu wenig. Da sollten dann die Spieler, die im Ausland unter Vertrag stehen, vorangehen."
Andere Ausgangslage für Tschechien im zweiten Spiel
Mit dem zweiten Gruppenspiel soll sich für die tschechische Auswahl nun vieles ändern. Als "Nachteil den anderen Nationen gegenüber" beschreibt Hitzlsperger, dass Coach Hasek erst Anfang des Jahres zum Verband zurückgekehrt ist. Der 60-Jährige hatte somit nur fünf Spiele Zeit, sein Team kennenzulernen. Hitzlsperger sieht aber auch "die Chancen, dass die Tschechen die nächste Runde erreichen können".
Thomas Hitzelsperger ist bei der EURO 2024 Sportschau-Experte.
Jarolim setzt auf eine deutliche Steigerung gegen Georgien: "Anders als gegen Portugal sind wir der Favorit." Um dieser Rolle gerecht zu werden, brauche es aber deutlich mehr "fußballerische Elemente" - und damit auch anderes Personal. Im ersten Spiel verdiente sich nur der schnelle Provod ein Extra-Lob von beiden Experten.
Gegen Portugal haben wir ängstlich gespielt. Gegen Georgien sind wir der Favorit. Da erwarte ich ein ganz anderes Auftreten.
Schlägt gegen Georgien die Stunde der Bundesliga-Spieler?
Jetzt könnte auch die Stunde von Adam Hlozek (Leverkusen) und Vaclav Cerny (Wolfsburg) schlagen, denkt Jarolim: "Sie waren gegen Portugal gar nicht im Einsatz - aber sie haben auf jeden Fall die nötige Qualität - und die werden wir gegen deutlich defensivere Georgier brauchen."
Und so hieß es nach dem Besuch im Hamburger Rathaus, im EM-Camp vor den Toren der Hansestadt schnell wieder Spannung aufzubauen. Auch im abschließenden Vorrundenspiel gegen die Türkei (Mittwoch, 21 Uhr in Hamburg) muss Tschechien punkten, sonst ist die EM schnell vorbei. Jarolim aber ist sich sicher: "Für uns startet die EM jetzt erst."