"Bruderduell" gegen Kroatien EM-Außenseiter Albanien und die Kraft der Fans
Albanien ist eine der EM-Überraschungen - vor allem wegen des riesigen Fan-Supports. Auch im allerersten "Bruderduell" gegen Kroatien in Hamburg wollen die Albaner den Ton angeben.
Als der DJ die Balkan-Musik laut dreht, hält es viele Gäste nicht mehr auf ihren Plätzen. Auf der Tanzfläche sind sie in ihrem Element: einige Männer und Frauen mit tradtioneller albanischer Kleidung und Kopfbedeckung, alle mit in die Höhe gereckten Armen und Hüftschwung im Takt der Musik. "Wir feiern unseren Sieg gegen Kroatien morgen", sagt Kole Gjoka und zeigt ein ansteckendes Lachen.
Die albanische Community in Hamburg und Schleswig-Holstein hat am Abend vor dem EM-Vorrundenspiel der Gruppe B gegen den "großen Bruder" Kroatien im Volksparkstadion (19.06.2024, Radioreportage und Ticker) in ein Hamburger Restaurant geladen. Auf den Tischen stehen kleine Fähnchen - von Albanien, Deutschland, Hamburg, der EU und auch Kroatien.
"Man kann sagen, dass Kroatien und Albanien wie Brüder sind. Und wenn nur die Kroaten bei der EM dabei wären, würden sicher die meisten von uns Kroatien anfeuern", erklärt Hava Bekteshi. Tun sie aber nicht - jedenfalls solange Albanien noch im Wettbewerb ist. Bekteshi singt normalerweise im "Chor zur Welt" der Elbphilharmonie. Im Volksparkstadion wird die Musikerin am Mittwoch ihr Heimatland nach vorne singen.
Trainer Sylvinho staunt über Unterstützung von den Rängen
Albanien ist - trotz der Auftaktniederlage gegen Italien (1:2) - eine der Überraschungen des bisherigen Turniers. Einerseits hat Nedim Bajrami mit seinem 1:0 nach 23 Sekunden gegen die Italiener EM-Geschichte geschrieben - nie war der Ball früher im Tor. Noch viel mehr Eindruck haben allerdings die Fans im Dortmunder Stadion hinterlassen.
"Unglaublich, das ist unser zwölfter Spieler", geriet Mittelfeldspieler Taulant Seferi ins Schwärmen. Und auch Nationaltrainer Sylvinho war hin und weg: "Es war großartig. Wir konnten nicht erwarten, dass das ganze Stadion rot sein wird."
Von bis zu 50.000 albanischen Fans ist die Rede, die mit großem Stolz den schwarzen zweiköpfigen Adler auf rotem Grund trugen. Stimmungsmäßig steckten sie die Italiener auf jeden Fall in die Tasche. Und die Albanerinnen und Albaner wollen nun auch dem historischen Spiel gegen ihr Nachbarland, gegen das sie noch nie ein Pflichtspiel bestritten haben, ihren Stempel aufdrücken.
Fußball ist für albanische Fans "unser Ein und Alles"
"Die albanische Gemeinde im Norden ist groß. Aber es sind auch viele Menschen zur EM aus Albanien angereist. Sie wohnen bei Verwandten und Freunden. Ich glaube, dass es in Hamburg ähnlich wie in Dortmund sein wird", kündigt Gjoka an. Der 54-Jährige ist Albaniens Honorarkonsul für Norddeutschland - und als CDU-Politiker im Kreis Pinneberg bestens vernetzt.
Kole Gjoka, Albaniens Honorarkonsul für Hamburg und Schleswig-Holstein, kam 1996 nach Deutschland.
In Albanien leben keine drei Millionen Menschen. Doch die Zahl täuscht, denn viele Albaner leben auch in den zahlreichen Nachbarländern auf dem Balkan - oder in Deutschland: "Nimmt man die Gastarbeiter, die kommen und gehen, und die Kosovo-Albaner mit dazu, kommen wir auf 400.000", rechnet Gjoka vor.
Dass die große Zahl albanischer Fans im Dortmunder Stadion und zusätzlich in den Fanzonen der Stadt nicht zuletzt beim Brasilianer auf der Trainerbank für Überraschung gesorgt hat, lässt den Honorarkonsul und Unternehmer zufrieden lächeln: "Ich war nicht überrascht: Fußball ist unser Ein und Alles."
Hilft die EM beim Imagewandel des kleinen Landes?
Mimoza Morina, die in traditioneller Kleidung ins Hamburger Restaurant gekommen und eine der ersten auf der Tanzfläche ist, konnte ihr Glück kaum fassen, als sie vor zehn Tagen noch vier Karten für das Spiel bekommen hat. "Dass Albanien wieder bei der EM dabei ist, in Hamburg und auch noch gegen Kroatien spielt und wir dafür Karten haben, ist ein wahr gewordener Traum", sagt die gebürtige Kielerin, die mit zwei Nichten und ihrem Sohn ins Volksparkstadion gehen wird.
Sie sieht allein schon durch die EM-Teilnahme Albaniens die große Chance, ihr Land bekannter zu machen und für einen Image-Wandel zu sorgen. "Viele Menschen in Deutschland denken negativ über Albanien. Dabei hat das Land sehr viel zu bieten."
Die gebürtige Kielerin Mimoza Morina hat albanische Wurzeln.
Gjoka hatte nach eigener Aussage sehr zu kämpfen, als er 1996 nach Deutschland gekommen ist. "Das schlechte Image Albaniens hängt den Menschen hier in den Köpfen", betont der Schleswig-Holsteiner. Auch heute noch würden die Albanerinnen und Albaner erst mal skeptisch beäugt.
Dass es andersrum ganz anders ist, merkten immer mehr Deutsche, die in den vergangenen Jahren den kleinen Balkanstaat als Urlaubsziel entdeckt haben. "Albanien ist ein tolles Land mit tollen Menschen und tollem Essen. Und es gibt eine reiche Kultur", unterstreicht Gjoka. Alle Bekannte und Freunde, die das erste Mal in seinem Heimatland gewesen sind, würden zudem von der großen Gastfreundschaft schwärmen. Der Politiker hofft, dass Albanien zusammen mit anderen Ländern des Westbalkans schon bald EU-Mitglied werden kann.
Albanien erst zum zweiten Mal bei EM dabei
Die EM bietet Anlass, sich näherzukommen. Albaniens Staatspräsident Bajram Begaj ist zusammen mit dem Innenminister nach Deutschland gekommen. Zunächst sind sie nach Berlin gereist, aber beim Spiel gegen Kroatien sollen sie live dabei sein. Es ist überhaupt erst das zweite Mal nach 2016, dass Albanien bei einer Europameisterschaft dabei ist: Damals war nach zwei Niederlagen gegen Gastgeber Frankreich sowie die Schweiz und einem Sieg gegen Rumänien nach der Vorrunde Schluss.
Auf der guten Leistung gegen Italien soll nun aufgebaut werden. "Das Spiel in Dortmund zu erleben, war für alle etwas Besonderes - auch für die Spieler", ist sich der Hamburger Restaurant-Betreiber Albert Bisaku sicher: "Vor 50.000 albanischen Fans haben sie noch nie gespielt. So groß sind die Stadien in Albanien auch gar nicht."
UEFA leitet Ermittlungsverfahren wegen Fanfehlverhaltens ein
Womöglich auch im Überschwang der Gefühle sind einige albanische Fans in Dortmund übers Ziel hinausgeschossen. Die UEFA teilte hinterher mit, es seien mehrere Disziplinar-Verfahren eingeleitet worden: wegen des Werfens von Gegenständen, des Abbrennens von Pyrotechnik, des unerlaubten Betretens des Innenraumes und des Zeigens "provokativer Botschaften", die nach den Regeln der UEFA nichts im Stadion zu suchen haben. Das Strafmaß folgt.
Spiel gegen Italien hat Lust auf mehr gemacht
Doch die albanische Partylaune wird das kaum trüben können. "Wir sind ein sehr friedliches Volk und das war ein friedliches Spiel gegen Italien", bilanziert Musikerin Bekteshi. Nur das Ergebnis stimmte am Ende eben nicht. Das soll gegen Kroatien anders sein. "Es ist der Wahnsinn, dass ich im Stadion sein werde", fügt sie hinzu.
Und der Glaube an die Überraschung ist da. "Viele Albaner freuen sich einfach, dass wir dabei sind. Sie wissen das zu schätzen", sagt Gjoka: "Aber das Spiel gegen Italien hat auch Lust auf mehr gemacht."
Nach dem Spiel gegen Kroatien geht es für die angereisten Fans - viele davon haben eine 26-stündige Tour mit dem Auto auf sich genommen - wieder nach Hause. Und wenn Albanien - und sei es als Gruppendritter - doch die Vorrunde überstehen sollte? "Dann sind zum Achtelfinale alle wieder da", ist sich der Honorarkonsul sicher. Und so feiert die albanische Community am Abend vor dem Spiel gegen Kroatien ihre eigene EM-Party - und auch sich selbst.