Bundestrainer unter Druck Hansi Flick - das Ende im Blick
Hansi Flick hat viele Aufgaben angenommen, sie aber selten zu Ende gebracht. Als Bundestrainer liegt es nun kaum in seiner Hand. Der Kredit, den ihm eine außergewöhnliche Saison bescherte, ist aufgebraucht.
"Unser Weg" heißt das sportliche Leitbild des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), das immer noch gültig ist, zumindest ist es auf der Homepage des Verbandes noch abzurufen. Entwickelt und vorgestellt wurde es nach der Weltmeisterschaft 2014. Die Botschaft war, auch und gerade nach dem in Brasilien gewonnen Titel dafür zu sorgen, dauerhaft in der Weltspitze zu bleiben.
Mitentwickelt wurde das Leitbild von Hansi Flick, der als Assistent von Bundestrainer Joachim Löw Weltmeister geworden war und dann auf den Posten des Sportdirektors beim DFB wechselte. Ein einheitlicher Spielansatz in allen Mannschaften, von der Eliteauswahl bis zur U15, ist unter anderem in dem Leitbild vorgesehen.
Immer wieder vorzeitige Aufgabe
Jener Hansi Flick ist aktuell Bundestrainer, und er wechselt bisweilen während des Spiels von Dreier- auf Viererkette, mal setzt er auf einen Mittelstürmer klassischer Prägung, und wenn der dann ausfällt wie jetzt Niclas Füllkrug, nominiert er Thomas Müller.
Das Konzept "Unser Weg" ist längst vergessen, genau wie der Sportdirektor Hansi Flick, der es nur gut zwei Jahre in dieser Rolle aushielt. Nach der Vertragsauflösung und einer kurzen Pause heuerte Flick als Sportchef bei der TSG Hoffenheim an. Sein Vertrag war fünf Jahre gültig, aber nach knapp sieben Monaten war Schluss.
Sechs Wochen dauerte sein Intermezzo als sportlicher Koordinator bei RB Salzburg, und auch die Zeit als Cheftrainer beim FC Bayern, die im November 2019 begann, ist weit davon entfernt, als Ära bezeichnet werden zu können. Nach ständigen Reibereien mit dem damaligen Sportvorstand Hasan Salihamidzic kündigte Flick im Frühjahr 2021 an, den Vertrag im Sommer auflösen zu wollen, der im April 2020 unterschrieben und bis 2023 gültig war.
Flicks überragende Saison mit dem FC Bayern
Flick brachte in verantwortlicher Position kaum etwas zu Ende, aber alle Zweifel an ihm, die hätten aufkommen können, wurden weggewischt wegen dieser einen Saison. Flick gewann sechs Titel mit dem FC Bayern, darunter die Champions League nach einem 8:2 im Halbfinale gegen den FC Barcelona. Auch wenn die Umstände wegen der Pandemie besonders waren, stand Hansi Flick, der zuvor lediglich bei der FC Victoria in seinem Wohnort Bammental und in dem 15 Kilometer entfernten Hoffenheim Cheftrainer gewesen war, plötzlich auf einer Stufe mit Pep Guardiola.
Mit Flick, das war klar, würde die deutsche Nationalmannschaft wieder in die Weltspitze kommen. Das war Konsens in der öffentlichen Meinung, zumal der neue Bundestrainer einen Startrekord aufstellte, bei dem niemand danach fragte, dass Liechtenstein und Armenien die bezwungenen Gegner waren.
Immer wird alles besser
Irgendwann aber hießen die Gegner England und Italien. Die Siegquote nahm ab, in der Nations League wurde im September sogar ein Heimspiel gegen Ungarn verloren. Bei der WM in Katar werde trotzdem alles besser, versicherte Flick, und er hatte genügend Kredit, um ihm das abzunehmen. Deutschland schied jedoch nach der Vorrunde aus.
Mund abputzen, bei der EM in Deutschland 2024 wird alles besser, hieß es. Aber die als Stimmungsaufheller gedachten Partien gegen die Ukraine (3:3), in Polen (0:1) und gegen Kolumbien (0:2) verdunkelten weiter. Wird alles besser im September, war Testphase, die sei nun abgeschlossen.
Nun ist September, und vor den Länderspielen der deutschen Nationalmannschaft am Samstag (09.09.2023, ab 20.45 Uhr live in der Radio-Reportage bei der Sportschau) gegen Japan und drei Tage später gegen Frankreich (live im Ersten und im Stream bei sportschau.de) ist der Kredit aufgebraucht. Das ist Konsens in der öffentlichen Meinung.
Die sportliche Situation ist äußerst prekär. Hans-Joachim Watzke, derzeit mächtigster Mann im deutschen Fußball, mied ein bedingungsloses Bekenntnis zu Flick.
"Man sollte sich im Vorfeld nicht mit Niederlagen beschäftigen, sondern man sollte darauf hoffen, dass man die Spiele gewinnt. Sollten die beide schiefgehen, dann sollten sie noch mal fragen, idealerweise aber Bernd Neuendorf als Präsidenten, denn er hat die Hauptverantwortung und wenn es sich nicht vermeiden lässt, dürfen Sie mich auch noch mal fragen", sagte der Multifunktionär, der als Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball Liga (DFL) automatisch 1. Vizepräsident des DFB ist.
"Dramatisch überfordert"
Als bräuchte es noch ein paar Scheinwerfer mehr, die auf Flick strahlen, ist ab Freitag beim Streamingdienst "Amazon Prime Video" auch noch eine vierteilige Dokumentation abzurufen, die intime Einblicke in die Nationalmannschaft während der WM gewährt. Auffällig bei der Voransicht, die auch der Sportschau ermöglicht worden war, ist die üble Laune des Bundestrainers während der Zeit in Katar, seine verzweifelten Versuche, Begeisterung bei den Spielern zu wecken.
"Was man ahnen konnte, ist nun hinreichend dokumentiert: Hansi Flick fehlt auch im internen Auftritt jedes Charisma", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in einer Rezension, "es drängt sich der Eindruck auf, dass hier jemand dramatisch überfordert ist."
Trotzig, bockig, aber auch "Mann des Ausgleichs"
Schon als Sportdirektor habe Flick häufiger bockig gewirkt, als Trotzkopf, der seine Arbeit nicht genug wertgeschätzt weiß, sagte ein ehemaliger Funktionär des DFB zur Sportschau.
Das, so Sportjournalist Günter Klein, habe schon den Fußballprofi Hansi Flick ausgezeichnet. Der viermalige Meister mit dem FC Bayern sei öfter mal zu einem Reporter seines Vertrauens gegangen, um über die angeblich ungerechte Behandlung zu klagen. Klein, der eine nicht von Flick autorisierte Biografie über den heutigen Bundestrainer schrieb, sagt: "Hansi Flick wird in seiner Heimat auch als 'Bruddler' bezeichnet, also als Miesepeter. Aber er kommt mir aktuell in der Öffentlichkeit zu schlecht weg. Flick ist einer, der für Ausgleich sorgt im Zwischenmenschlichen. Das hat er während seiner vielen erfolgreichen Jahre als Assistent von Löw bewiesen."
Vertrag bis nach der EM gültig
Seit zwei Jahren nun ist Flick der Chef. Der Vertrag ist bis nach der Europameisterschaft 2024 gültig. Er will es dieses Mal zu Ende bringen.