Trainer von Samsunspor Thomas reis

Ex-Bundesliga-Coach bei Samsunspor Thomas Reis' Fußballwunder am Schwarzen Meer

Stand: 19.03.2025 10:11 Uhr

Seit Juli 2024 trainiert der Ex-Bundesligatrainer Thomas Reis den türkischen Erstligaklub Samsunspor am Schwarzen Meer. Mit seiner Balance aus Freiheit und Disziplin hat er aus einem Abstiegskandidaten einen Europapokal-Anwärter geformt. Momentan liegt die Mannschaft auf dem dritten Tabellenplatz. Sechs Punkte vor dem Istanbuler Großklub Besiktas.

Direkt an der Uferpromenade der idyllischen Schwarzmeerstadt Samsun liegt das Trainingsgelände des Erstligaklubs Samsunspor. Am Eingang ein fast furchteinflößendes Banner: "The Kingdom of the North", das Königreich des Nordens ist zu lesen. Game of Thrones lässt grüßen.

Daneben das Vereinswappen: ein Pferd im Sprung, auf dem der türkische Gründungsvater Kemal Atatürk sitzt. Eingerahmt in den Vereinsfarben rot-weiß und schwarz. Wir sind auf dem geräumigen Vereinsgelände des Samsunspor Kulübü, gegründet im Jahr 1965. 

Bild vom Samsunspor Wappen

Der Eingang zum Trainingsgelände - angelehnt an die erfolgreiche HBO-Serie "Game of Thrones"

Herausforderung für Thomas Reis

Der Trainer ist ein Bekannter aus der Bundesliga. Thomas Reis, 51 Jahre alt, empfängt gut gelaunt in der Klub-Lounge mit Blick auf den vereinseigenen See und das Meer. Reis hat lange selbst als Profi gespielt, dann seinen Herzensverein Bochum trainiert. Im Herbst 2022 wechselte er zu Schalke 04, dem Revier-Rivalen von Bochum und direkten Konkurrenten im Abstiegskampf. Es sollte seine bislang letzte Trainerstation in Deutschland sein. Schalke stieg im Mai 2023 aus der Bundesliga ab, nach einem verkorksten Start in die anschließende Zweitliga-Saison wurde Reis freigestellt.

Seit Ende Juni 2024 ist er Cheftrainer von Samsunspor. Ein Abenteuer, wie er sagt. Den Job übernahm er von Markus Gisdol, ebenfalls ein deutscher Ex-Bundesligatrainer, der aus privaten Gründen den Verein verließ. Und die Startbedingungen für Reis waren nicht optimal. Der Klub hatte gerade so die Klasse gehalten, es wurde ihm aber vom türkischen Fußballverband wegen Finanzproblemen untersagt, neue Spieler zu verpflichten. Der Trainerposten in türkischen Klubs gilt als Schleudersitz.

Doch Reis sagt, das alles habe ihn wenig interessiert. Er sei offen an die Sache herangegangen, habe sich auf die Herausforderung eingelassen. Mit seinem Trainerstab habe er den Verein umgekrempelt und versucht, seine eigene Philosophie zu verwirklichen, sagt er.

Integrationsfigur Trainer

Thomas Reis nimmt sich vor dem Training viel Zeit für das ARD-Team. Es wirkt, als freue er sich über den deutschen Besuch. Es ist Ramadan, zwei Drittel der Spieler fasten, das Training muss dosiert werden. "Es ist natürlich eine große Umstellung. Ich bin in einem fremden Land. Ich wurde hier sehr herzlich aufgenommen. Aber das hier ist doch eine komplett andere Kultur", sagt Reis. Doch er hat schnell gelernt, die Trainingspläne und die Trainingsdosierung angepasst. Und offenbar die richtigen Worte gefunden.

Was auffällt: Bei den Spielern und bei den vielen Mitarbeitern wird der deutsche Trainer sehr geschätzt. Er werde niemals laut, rede mit jedem, habe immer ein offenes Ohr , sagt uns ein Vereinsangestellter. Es sei eine große Kunst, Spieler aus zehn Nationen zu führen. Disziplin sei ihm wichtig, "ohne alles gleich verdeutschen zu wollen", sagt Thomas Reis. Das werde hier akzeptiert und "bisher läuft das nicht so schlecht".

Bisher eine Traumsaison

Es läuft bei Samsunspor. Der Verein galt als klassische Fahrstuhlmannschaft. Nach der Gründung sehr erfolgreich, dann nach einem tragischen Verkehrsunfall 1989, bei dem mehrere Spieler umkamen, Rekord-Auf- und Absteiger in der türkischen Süper Lig. Im Sommer 2023 stieg der Klub wieder auf, konnte dann in der vergangenen Saison gerade noch die Klasse halten.

Und dann kam Reis. Eine Erfolgsstory begann. 15 Siege in 26 Spielen. Platz drei in der Liga. Eine Platzierung noch vor Besiktas, einem der mächtigen Istanbuler Klubs. Und der jetzige dritte Platz könnte sogar die Eintrittskarte für einen der europäischen Wettbewerbe sein. 

Die Balance zwischen Freiheit und Disziplin

Unter hochsommerlichen Temperaturen beginnt gegen vier Uhr das Abschlusstraining. "Vor vier Wochen hat es hier noch geschneit", sagt Reis und lacht. Heute sind alle Spieler voll bei der Sache. Denn am Wochenende steht ein wichtiges Spiel an. Auswärts beim Tabellenzweiten Fenerbahçe Istanbul. Eine fast unlösbare Aufgabe. Immer wieder werden Abläufe, Taktiken und Pressing geübt.

Mittendrin: Kingsley Schindler. Schindler hat lange Bundesliga gespielt, für den 1. FC Köln. Seit Sommer 2023 ist er in Samsun. Der 31-jährige gebürtige Hamburger ist Stammspieler, kickt auf der rechten Außenbahn. Er ist voll des Lobes über seinen Trainer und sagt: "Er hat uns viele Freiheiten gegeben auf dem Platz. Wir können viel selber entscheiden. Aber er gibt auch klare Anweisungen, wer wo wie zu stehen hat. Was uns sehr geholfen hat." 

Thomas Reis beim Mannscahftstraining

Reis achtet akribisch auf Fehler im Stellungsspiel - mit Ball lässt er seinen Offensivspielern aber auch mal lange Leine

Eine verschworene Gemeinschaft

Das bestätigt auch Zeki Yavru, der türkische Kapitän des Teams. Zwischen zwei Trainingseinheiten spricht er mit uns über den neuen Team-Spirit. Wie Schindler betont auch er er, dass dieses Team eine verschworene Gemeinschaft sei - angeleitet vom Trainer. "Thomas ist ein Tüftler", sagt der Kapitän.

Vom ersten Tag an hätte er gezeigt, dass er eine Spielidee hat. Thomas Reis bereitet sich gelassen auf das Top-Spiel Zweiter gegen Dritten vor. Er freue sich auf den Hexenkessel und auch darauf, José Mourinho, die Trainerlegende beim Gegner wiederzusehen, sagt er. "Für das lebt man als Fußballer. Und ich hoffe, dass meine Jungs genauso viel Bock auf das Spiel haben wie ich."

Auswärtsspiel in Istanbul

Am Sonntag ist es dann soweit. Samsunspor spielt gegen Fenerbahçe. Das Spiel ist natürlich ausverkauft. Schon Stunden vorher sammeln sich Tausende Fenerbahçe-Fans in den Parks rund um das Stadion. Es wird gefeiert und der Lokalrivale, der hier verhasste Tabellenführer Galatasaray, geschmäht. Hier rechnen alle mit einem deutlichen Sieg gegen den Außenseiter von der Schwarzmeerküste.

Auch einige Fans aus Samsun sind mitgekommen, glauben fest an eine Sensation. An einem der hinteren Tore sorgt die Polizei für ein strikte Trennung von den gegnerischen Fans. Einer sagt uns, dass er in diesem Jahr fest mit dem Abstieg gerechnet habe. Jetzt aber sei man auf Europapokal-Kurs. "Das verdanken wir der Disziplin und der Struktur von Thomas Reis. Wir lieben ihn." Dann sieht er den Samsunspor-Bus zum Ülker-Stadion fahren und läuft weg. 

Fans von Fenerbahce Istanbul vor dem Spiel gegen Samsunspor

Tausende Fenerbahce-Fans erwarten die Ankunft der Team-Busse

Unentschieden wie einen Sieg gefeiert

Es wird eine Abwehrschlacht - aber eine erfolgreiche. Nach einer ereignislosen ersten Halbzeit schießt Fenerbahçe in der zweiten Halbzeit 25-mal auf Samsuns Tor. Ohne Erfolg. Trotz einer Roten Karte erbeutet Samsun einen Punkt beim 0:0 am 28. Spieltag der Süperlig. Und das auswärts beim großen Favoriten, der dabei wohl alle Titel-Chancen einbüßt. Die Samsunspor-Fans feiern ausgelassen im Stadion. Thomas Reis kann zufrieden sein.

Neun Spiele sind es noch bis Saisonende. Der Vorsprung auf den vierten Tabellenplatz und die anderen Verfolger ist komfortabel.

Konzentration auf den Endspurt

Die Türkei ist für Thomas Reis Herausforderung und Abenteuer zugleich. "Ich habe viel gelernt. Bin offener geworden. Habe bisher viel mitgenommen", sagt er im ARD-Interview. Doch die Bundesliga, vor allem seinen Herzensklub Bochum, hat er noch immer im Blick. Nach dem Spiel gegen Fenerbahçe genehmigt er sich einen kurzen Heimaturlaub, den ersten seit Weihnachten. Es geht natürlich nach Bochum.

Danach will er die Vorbereitung auf die letzten Spiele starten. "Die Rahmenbedingungen in Samsun sind toll", sagt er.  Und diese Wahnsinnssaison werde er, sein Team und seine Spieler in vollen Zügen genießen. Vielleicht wird an der Schwarzmeer-Küste im "Kingdom of the North" ja Fußball-Geschichte geschrieben.