Reform des Kinderfußballs Helmut Schulte über Funiño - "Das war irre!"
Schon vor 20 Jahren warb Helmut Schulte intensiv für die Ideen, auf denen die aktuelle Reform des Kinderfußballs basiert. Der Ex-Bundesligatrainer erzählt von einer "Offenbarung".
Helmut Schulte ist im Jahr 2004 schon weit herumgekommen im Profifußball, war Bundesligatrainer bei St. Pauli, Dresden und Schalke, Manager in Lübeck. Mittlerweile leitet er die Nachwuchsabteilung des FC Schalke, hinterfragt Dinge, auch die überdimensionierten Mannschaftsgrößen bei kleineren Kindern. Deshalb lässt er mitunter 4 gegen 4 spielen.
Und dann lernte er einen Mann namens Horst Wein und dessen Funiño kennen, das damals noch Minifußball hieß: ein 3 gegen 3 auf vier Minitore. "Das war für mich eine Offenbarung damals. Ganz einfach, ganz simpel, aber eine maximale Verbesserung der Lernsituation, was Spielintelligenz lernen betrifft - das war irre", erzählt Schulte im Sport-inside-Interview.
Horst Wein - in Deutschland lange unbeachtet
Horst Wein ist zu diesem Zeitpunkt im deutsche Fußball noch unbeachtet. Manche kennen ihn noch aus dem Hockey, mit nur 25 Jahren war er 1966 Bundestrainer geworden - bis heute war kein anderer Team-Bundestrainer jünger. Doch seit seinem Wechsel nach Spanien 1973 bekam kaum jemand mit, wie er in den 80ern über den FC Barcelona im Fußball einstieg und neue, bahnbrechende Methoden für ein kindgerechtes Training entwickelte.
Wein flog als Experte für Kindertraining um die ganze Welt, referierte leidenschaftlich bei Verbänden und Spitzenklubs. Aber erst 2004 begann er, in Deutschland zu arbeiten. Der Jugendfußball-Experte Peter Schreiner wollte sein Konzept als DVD herausbringen. Helmut Schulte beobachtete die Dreharbeiten fasziniert - und lieferte anschließend als gut vernetzter Prominenter wichtige Anschubhilfe, auch ganz oben beim Deutschen Fußball-Bund (DFB).
Schulte überzeugt Mayer-Vorfelder
Schulte verabredete sich mit dem damaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder. "Ich habe ihm gesagt: Diese Idee, diesen Horst Wein, den brauchen wir beim DFB, den brauchen wir für die Stützpunkte, die wir damals etabliert haben, und in den Nachwuchsleistungszentren."
Mayer-Vorfelder habe positiv reagiert, erzählt Schulte, und angestoßen, dass Wein vor Nachwuchstrainern referierte. So erhielten dessen Ideen Einzug ins Training der Stützpunkte.
Der DFB-"Tanker"
Doch Weins Vision ging weiter: Funiño sollte nicht nur im Training eingesetzt werden, sondern auch Teil des Spielbetriebs am Wochenende werden, zumindest ganz zu Beginn. Schluss mit Vereinsduellen und Meisterschaften? Dafür Turniere mit Spielen auf vier Minitore? Das war für den traditionellen deutschen Fußball und seine föderalistischen Strukturen dann doch zu viel.
"Der Deutsche Fußball-Bund ist ja bekanntermaßen ein Tanker und es dauert sehr, sehr lange, um Veränderungen durchzuführen", sagt Schulte. In den Kreis- und Landesverbänden müssten viele Menschen überzeugt werden. "Wie lange das braucht, um auf der unteren Ebene anzukommen - im Grunde hat das 20 Jahre gedauert."
Neue Spielformen ab 2024/2025 verpflichtend
Nur vereinzelt haben Nachwuchsleistungszentren versucht, auch am Wochenende in kleineren Spielformen zu spielen. Erst, als der Sportwissenschaftler Matthias Lochmann von 2015 an intensiv für einen neuen Spielbetrieb warb, kam Schwung in die Sache. Über eine Graswurzelbewegung und Pilotprojekte gelang die Revolution.
Beginnend mit der anstehenden Saison 2024/2025 sind die sogenannten neuen Spielformen nun der verpflichtende Standard in der G- und F-Jugend sowie im ersten E-Jugend-Jahr. Flexible Turniere auf kleinen Feldern mit kleinen Teams und anfangs auch mit Funiño sollen mehr Ballaktionen und Erfolgserlebnisse für alle bringen.
Prominente Kritiker
Dass dabei keine Endergebnisse und Tabellen festgehalten werden, hatte noch 2023 für Diskussionen gesorgt. Unter anderem äußerten sich Bundesligatrainer Steffen Baumgart, BVB-Chef Hans-Joachim Watzke und Österreichs Nationaltrainer Ralf Rangnick kritisch.
"Da reden dann Leute über Jugendfußball, die ihr letztes Jugend-Fußballspiel gesehen haben, als sie selber noch Jugendfußball gespielt haben", sagt Schulte dazu. "Das muss beendet werden." Erwachsenenfußball sei etwas völlig anderes, betont er. "Da geht es nur ums Gewinnen für den Trainer. Und im Kinder- und Jugendfußball? Da geht es um Ausbildung. Da wollen und müssen Kinder und Jugendliche etwas lernen."
Watzke sorgt für Irritation
Besonders die Äußerungen von Watzke, als stimmberechtigtes DFB-Präsidiumsmitglied selbst beteiligt an den Reformbeschlüssen, sorgte für Irritationen. "Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, was es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen", sagte Watzke auf der Bühne des DUP-Unternehmertags - und wurde sarkastisch. "Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft."
Markus Hirte war als Leiter der Talentförderung im DFB maßgeblich beteiligt an der Reform. Gut acht Jahre lang leistete er mühevolle Überzeugungsarbeit in den Verbänden und an der Basis und versuchte, Vorurteilen mit Argumenten zu begegnen.
Hirte: "Dann kommt halt so ein Bullshit dabei heraus"
Angesprochen auf die Kritik von Watzke und Co. sagte er nun Sport inside, er sei sehr überrascht gewesen. "Es war, glaube ich, eine Diskussion um Leistung insgesamt, um die Leistungsgesellschaft. Da ist ein Riesenmissverständnis zu denken: Leistung gleich Tabellenstand."
In den neuen Spielformen stecke auch ohne Tabellen noch mehr Leistung, von jedem Spieler und mit deutlich mehr Ergebnissen als bisher. "Wenn man sich aber nicht wirklich mit der Thematik beschäftigt hat und dann in Interviews überfahren wird, dann kommt halt so ein Bullshit dabei heraus", sagte Hirte.
Schulte: "Wird dem Fußball guttun"
Der DFB erhofft sich durch die Reform, dass die Kinder länger als bisher dem Vereinsfußball treu bleiben und dass dem Leistungssport mehr spielintelligente und technisch starke Jugendliche zur Verfügung stehen als bisher.
Ob und wie die Reform des Spielbetriebs greift, wird man erst in einigen Jahren sehen. Aber Helmut Schulte spricht von einem nächsten großen Schritt, der dem Fußball auf jeden Fall guttun werde. "Davon bin ich voll überzeugt."