Frauen-Bundesliga Die letzte Bastion in Essen-Schönebeck
Die SGS Essen ist wohl bald der einzige Klub in der Frauen-Bundesliga, der ohne einen Männer-Lizenzverein im Rücken auskommt. Wie kann das funktionieren?
Einen Termin bei Florian Zeutschler zu bekommen, ist dieser Tage gar nicht so einfach. Der Geschäftsführer der SG Essen-Schönebeck hat einen dicht getakteten Tagesplan, wenn die Saison auf die Zielgerade geht. Seit vier Jahren arbeitet der frühere Serviceleiter eines Automobilherstellers hauptamtlich für den Verein, der nach dem Abstieg von Turbine Potsdam bald als letzte Bastion der Frauen-Bundesliga gilt: als letzter Klub, der "im Männerfußball keinen Namen hat" (Zeutschler). Das Gros hat nämlich längst einen starken Lizenzverein im Rücken.
Zeutschler scheut sich nicht vor dieser Herausforderung. "Wir bleiben bei unserer Haltung, dass wir den Frauenfußball ehrlich fördern. Auch wir entwickeln uns weiter - nur nicht so schnell wie die Profivereine, die über eine andere Ausstattung verfügen", sagt er im Gespräch mit der Sportschau. Der seit der Kindheit selbst in Essen-Schönebeck spielende 38-Jährige ist stolz darauf, dass die Sportgemeinschaft an der Ardelhütte in Essen allen Unkenrufen zum Trotz seit 20 Jahren erstklassig spielt. Und damit das auch in Zukunft so bleibt, wird viel getan.
Ein Fanfest beim letzten Heimspiel gegen den MSV Duisburg
Zum Derby gegen den MSV Duisburg im letzten Heimspiel am Sonntag (21.05.2023) sollen im Rahmen eines Fanfestes noch mal 3.500 Zuschauer ins Schmuckkästchen an der Hafenstraße kommen, wo sich der Zuspruch für den Frauenfußball wie an anderen Standorten erfreulich entwickelt hat. Der durch die EM in England geschürte Boom hat auch um den Nordwesten der Ruhrmetropole keinen Bogen gemacht. "Die Türen bei Unternehmen gehen schneller auf und bleiben länger auf", sagt der für die Sponsorenakquise zuständige SGS-Geschäftsführer.
Immer wieder wird in der Vereinsführung überlegt, wie die Wahrnehmung noch gesteigert werden kann. So richtet der Frauen-Bundesligist nun im Vorfeld der Weltmeisterschaft im Kleinfeldfußball bereits am 1. Juni auf dem Kennedyplatz in der Essener Innenstadt erstmals ein Turnier auf einem solchen Kleinfeld auf Kunstrasen aus: 3.000 Menschen finden Platz auf den temporären Tribünen.
Keine Furcht vor dem Durchmarsch des BVB
Eingeladen sind auch die Fußballerinnen von Borussia Dortmund. Deren sich abzeichnenden Durchmarsch will Zeutschler gar nicht als Gefahr verstehen, "ein Ballungsraum wie das Ruhrgebiet bietet genug Platz für mehr als einen Verein". Doch der Verdrängungswettbewerb in der Frauen-Bundesliga mit seinen nur ein Dutzend Plätzen wächst. Für die Traditionsmarke Turbine Potsdam als Absteiger steht als Aufsteiger bereits RB Leipzig fest. Schon bald sollen auch die Frauen unter dem Red-Bull-Dach zu den Top Drei gehören, im DFB-Pokal kam die SGS Essen beim Zweitliga-Spitzenreiter arg unter die Räder.
Kann sich der Nischenklub in diesem sich verschärfenden Wettbewerbsumfeld überhaupt halten? Heike Ullrich als Generalsekretärin des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erinnert daran, dass Essen es "mit Kreativität, guter Schwerpunktsetzung und funktionierendem Netzwerk" vormache. Der DFB hat die Professionalisierung mit verschiedenen Auflagen in der Lizenzierung gefördert, die Deutsche Fußball-Liga (DFL) schreibt neuerdings für seine 36 Männerklubs fest, dass sie den Frauenfußball fördern oder zumindest eine Kooperation unterhalten müssen. Schwarze Zahlen sind in der Frauen-Bundesliga (noch) nicht zu erwarten. Im Schnitt macht ein Klub rund 1,5 Millionen Euro Verlust.
Essens Geschäftsführer empfiehlt den Blick nach Schweden oder in die USA
An dieser Stelle hakt Zeutschler ein: "Es hilft uns nicht, wenn die Frauen-Bundesliga ein Abziehbild der Männer wird." In Schweden oder den USA würde sich ein gesunder 50:50-Mix aus Frauenvereinen und Klubs unter einem Männerdach zeigen: "Ich würde mir wünschen, dass im Zuge der Heterogenität unsere Rolle hierzulande mehr gewürdigt wird." Da geht es um gesellschaftliche, mediale und sportliche Wertschätzung.
Essen hat immerhin deutsche Nationalspielerinnen wie Lea Schüller und Linda Dallmann (beide FC Bayern), Marina Hegering und Lena Oberdorf (beide VfL Wolfsburg) oder Nicole Anyomi (Eintracht Frankfurt) hervorgebracht, verliert nun aber mit Vivien Endemann (wechselt im Sommer nach Wolfsburg) gleich das nächste Talent. Zeutschler weiß: "Wenn Bayern oder Wolfsburg Angebote machen, ist es fast unmöglich, die Spielerinnen zu halten - gerade, wenn diese die internationale Perspektive reizt. Und natürlich geht es auch ums Geld."
Trainer Markus Högner warnt, dass der Kreislauf nicht ewig funktioniert
Für die vor zwei Jahren vom SV Meppen gekommene 21-jährige Endemann fließt ein Jahr vor Vertragsablauf eine geringe Ablöse im niedrigen sechsstelligen Bereich. "Die Entwicklung, die Vivien in den vergangenen Monaten bei uns genommen hat, spricht eindeutig für unsere Arbeit und für unsere gesamte Vereinsphilosophie", erklärte SGS-Trainer Markus Högner. "Wir können uns behaupten, wenn wir schlau sind", sagt der Fußballlehrer, der seit 2010 mit einer dreijährigen Unterbrechung für einen der besten Ausbildungsbetriebe arbeitet.
Der 56-Jährige weiß auch, dass die verbesserte Infrastruktur mit einem neuen Funktionsgebäude und einem Hybridrasen wichtig waren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Gleichzeitig warnt er, dass der Kreislauf - Talente aufspüren, Talente formen, Talente verlieren - nicht ewig funktioniert: "Nur junge Spielerinnen auszubilden und sie dann abzugeben, reicht auf Dauer nicht." Auch Zeutschler würde sie gerne "vier, fünf Jahre" in Essen sehen.
Selbst der 1. FFC Frankfurt musste fusionieren
Die Zeiten, in denen der TSV Siegen, SSG 09 Bergisch Gladbach, Heike Rheine, KBC Duisburg oder SC 07 Bad Neuenahr den deutschen Frauenfußball prägten, sind lange vorbei. Selbst der Rekordmeister 1. FFC Frankfurt hätte ohne die 2020 erfolgte Fusion mit Eintracht Frankfurt dauerhaft nicht überleben können, erzählte der langjährige Macher Siegfried Dietrich bei seiner Verabschiedung.
Die stark gewachsene Ausgabenseite durch die Personalkosten weitet sich für jene Vereine zum Problem aus, die kostendeckend arbeiten wollen. Während der VfL Wolfsburg und FC Bayern, die sich im deutschen Frauenfußball seit 2013 alle Titel aufteilen, das Investment dank der Rückendeckung aus dem Konzern beziehungsweise dem Klub zuletzt mühelos noch nach oben schraubten, wird Essen laut Zeutschler bei seinem Grundsatz bleiben: "Das solide Wirtschaften ist alternativlos: Bei uns wird nur so viel ausgegeben, wie wir auch einnehmen." Dem Vernehmen nach liegt der Etat bei rund 1,5 Millionen Euro - weniger als die Hälfte vom Liga-Durchschnitt.
Das Erscheinungsbild der Frauen-Bundesligen wird sich verändern
Die früher die DFB-Direktion Frauen- und Mädchenfußball leitende Ullrich glaubt, dass sich das Teilnehmerfeld in den nächsten fünf Jahren in beiden Frauen-Bundesligen "noch mal deutlich verändern" werde. Der Verband rechnet in einem Zukunftsmodell für die Saison 2031/32 mit bestenfalls 16 (!) Lizenzvereinen, müsste dafür aber endlich die erste Liga vergrößern, will das aber frühestens nach Ablauf des nächsten TV-Vertrages mit der Saison 2027/2028 angehen. Ungewiss, ob die SGS Essen bis dahin als letzte Bastion gehalten hat. Florian Zeutschler wird die nächsten Jahre wohl noch viel mehr zu tun haben.