FIFA WM 2022 Norwegens Verbandspräsidentin fordert genaue Zahl der Toten
Es war ein großer Streitpunkt um die WM in Katar: Wie viele Arbeiter sind bei der Turniervorbereitung gestorben? Lise Klaveness, Präsidentin des norwegischen Fußballverbands, fordert eine unabhängige Aufklärung.
"Wir können nicht damit leben, dass die Diskussion von Tausenden toten Arbeitsmigranten auf drei Tote führt", sagte sie im norwegischen Sender TV2. Es müsse eine möglichst unabhängige Untersuchung geben. Es sei "unsere Verantwortung im Fußball", eine solche Untersuchung durchzuführen, sagte Klaveness.
"Es ist wichtig, dass wir nach der WM ein großes Engagement haben, um das jetzt nicht einfach hinter uns zu lassen", sagte Klaveness. "Wir brauchen eine richtige Einschätzung dessen, was ich 'den Elefanten im Raum' nenne: die wirkliche Zahl der Toten und die Zahl der Verletzten, vor allem aus den ersten Jahren nach der Vergabe", sagte Klaveness.
Drei Tote oder 15.000? Was die berichteten Zahl bedeuten
Zu den Zahlen von gestorbenen Menschen im Zusammenhang mit der WM kursieren unterschiedliche Zahlen mit unterschiedlicher Bedeutung.
- 15.021: Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International belegen Statistiken der katarischen Behörden, dass zwischen 2010 und 2019 insgesamt 15.021 Personen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit gestorben sind. "Wie viele davon Arbeitsmigrant*innen waren, die aufgrund der Arbeitsbedingungen starben, lässt sich aus diesen Daten nicht schließen", teilt Amnesty mit. Der Vorwurf: Die Todesursachen seien sehr oft nicht richtig untersucht worden. Die Zahl bezieht sich nicht alleine auf WM-Baustellen.
- 6.500: Diese Zahl nannte die britische Zeitung "Guardian". Die Recherche bezog sich dabei auf die Gesamtanzahl der verstorbenen Gastarbeiter seit WM-Vergabe nach Katar aus fünf Ländern (Indien, Nepal, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka). Auch diese Zahl bezog sich nie alleine auf WM-Baustellen.
- 414: Der Generalsekretär des Organisationskomitees, Hassan al-Thawadi, wurde im britischen Fernsehsender "Talk TV" nach einer realistischen Zahl von Gastarbeitern gefragt, die durch ihre Arbeit für die Fußball-Weltmeisterschaft insgesamt ums Leben gekommen sind: "Die Schätzung ist bei 400, zwischen 400 und 500. Ich habe die exakte Zahl nicht", antwortete er. Das Organisationskomitee der WM wies anschließend darauf hin, dass sich die Aussage auf alle arbeitsbedingten Todesfälle landesweit in Katar, für alle Branchen und Nationalitäten im Zeitraum von 2014 bis 2020 beziehe. Diese Zahl liege bei 414.
- 3: Die FIFA und Katar bezeichnen die hohen Zahlen als falsch und/oder irreführend. Das Organisationskomitee der WM bezieht sich bei seiner Zählung konkret nur auf den Bau der WM-Stadien. Dabei unterscheidet das Komitee den Tod von Menschen in "während der Arbeit" und "nicht während der Arbeit". Nach dieser Zählung sollen insgesamt 40 WM-Arbeiter beim Stadionbau in den vergangenen Jahren gestorben sein, davon 37 "nicht während der Arbeit".
Klaveness räumte ein, dass eine solche Untersuchung keine leichte Übung sein wird. Aber es sei notwendig, davon seien auch auch die Verbände aus England, Deutschland und mehrerer anderer europäischer Länder überzeugt.
DFB: "Klaveness hat sich nicht mit dem DFB abgestimmt"
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) antwortete am Samstag auf eine Anfrage der Sportschau, ob der DFB eine solche Untersuchung befürworte.
"Lise Klaveness hat sich vor ihrem Interview mit TV2 nicht mit dem DFB abgestimmt", teilte der DFB mit. "Unabhängig davon bleibt der DFB bei seinem Standpunkt, dass die FIFA Wiedergutmachung für die an WM-Baustellen verletzten Bauarbeiter zahlen muss. Ebenso müssen Hinterbliebene von ums Leben gekommenen Arbeitern entschädigt werden."
Keine Fortschritte bei Entschädigungsfonds
Mehrere Menschenrechtsorganisationen fordern einen Entschädigungsfonds für ausgebeutete Arbeiter, der ihrer Ansicht nach mit 440 Millionen US-Dollar ausgestattet werden soll. Das entspricht dem ausgezahlten Preisgeld für die Verbände bei der WM, der Turniersieger erhält 42 Millionen US-Dollar. WM-Gastgeber Katar erteilte einem Entschädigungsfonds eine Absage. Der katarische Arbeitsminister Ali bin Samich Al Marri nannte die Forderung der Menschenrechtsorganisationen nach einem Entschädigungsfonds gegenüber der Nachrichtenagentur AFP einen "Werbe-Gag".
Der stellvertretende FIFA-Generalsekretär Alasdair Bell hatte im Oktober im Europarat in Straßburg von einem "Interesse" der FIFA an der Gründung eines solchen Fonds gesprochen: "Es ist definitiv etwas, das wir vorantreiben wollen", sagte Bell, schränkte aber ein: "Es ist nicht die einfachste Sache, es umzusetzen." Eine Arbeitsgruppe der UEFA, in der Deutschland wie Norwegen Mitglied ist, hatte ohne konkrete Summen von der FIFA einen Entschädigungsmechanismus gefordert. Weitere Angaben der FIFA zu einem solchen Fonds gab es nicht.
Vor der Eröffnung sagte Infantino, dass längst Mechanismen zur Entschädigung vorhanden seien. Viele Gastarbeiter oder deren Angehörige berichten allerdings weiter, dass solche Zahlungen nicht geleistet worden seien. 350 Millionen US-Dollar seien so bislang von Katar ausgezahlt worden. Menschenrechtsorganisationen kritisierten das als "irreführend".