FIFA WM 2022 Trotz Tor-Flaute - Griezmann ist Frankreichs Schlüsselspieler
Antoine Griezmann ist dank neuer Rolle eine der größten Überraschungen dieser WM und absoluter Schlüsselspieler bei Frankreich. Seine bemerkenswerte Wandlung begann mit einem flapsigen Spruch.
Es ist mittlerweile mehr als ein Jahr her, dass Antoine Griezmann ein Tor für die französische Nationalelf erzielt hat. Beim 8:0-Erfolg in der WM-Qualifikation gegen Kasachstan traf er zum zwischenzeitlichen 7:0, das war am 13. November 2021.
Seitdem stand der 31-Jährige zwar in 14 weiteren Länderspielen auf dem Platz, ein Treffer gelang ihm jedoch nicht mehr. Dass seine Tor-Flaute auch bei der WM in Katar anhält, passt ins Bild. Denn: Griezmann, bei der EM 2016 noch Torschützenkönig, ist kein Stürmer mehr.
Deschamps mit neuem Job für Griezmann
Da Frankreichs Trainer Didier Deschamps in der vorderen Reihe mit Kylian Mbappé, Olivier Giroud und Ousmane Dembéle mehr als genug Qualität hat, zog er Griezmann beim Turnier in Katar eine Position nach hinten. Bei Ballbesitz ist Griezmann im 4-2-3-1-System zwar immer noch eine Art Zehner, gegen den Ball agiert er jedoch als zentraler Mittelfeldabräumer in einem 4-3-3. Nach vorne ist der 31-Jährige mit vielen Freiheiten ausgestattet, in der Defensivarbeit muss er aber liefern. Beide Aufgaben erledigt Griezmann mit Bravour. Das Beste aus zwei Welten.
Griezmann überragt gegen England
Wie wichtig der Profi von Atletico Madrid in dieser neuen Rolle für die "Equipe Tricolore" ist, verdeutlichte nicht zuletzt die Viertelfinal-Partie gegen England (2:1). Griezmann, der im gesamten Turnier die meisten aller Chancen kreiert hat (17) und in dieser Kategorie sogar Lionel Messi aussticht (16), glänzte über die gesamten 90 Minuten als Taktgeber und bereitete zudem die beiden Tore von Aurélien Tchouaméni und Giroud direkt vor.
"Seine Rolle hat sich etwas geändert, aber er hat immer noch die gleichen Qualitäten", schwärmte Innenverteidiger Raphael Varane. "Er kann das Tempo des Spiels bestimmen. Er kann es schnell machen oder beruhigen." In Abwesenheit der Verletzten Paul Pogba und N’Golo Kanté ist Griezmann zum Chef im Maschinenraum aufgestiegen. Er verschärft das Tempo, wenn er Lücken sieht. Sobald es zu eng wird oder das Team eine Verschnaufpause braucht, sorgt er für Ruhe. Kurzum: Das französische Spiel dreht sich fast komplett um Griezmann.
Griezmann kann plötzlich auch Defensive
Neu im Repertoire, und das ist die erstaunlichste Entwicklung, hat Griezmann inzwischen aber auch das Spiel gegen den Ball. Gegen England führte er genauso viele Defensiv-Zweikämpfe wie Linksverteidiger Theo Hernández, Rechtsverteidiger Jules Koundé, Innenverteidiger Dayot Upamecano und Sechser Adrien Rabiot. Griezmann hatte zudem die zweitmeisten Pressing-Aktionen aller Spieler und war nicht selten auch am eigenen Strafraum zu finden.
Schon gegen Dänemark, als er die meisten Zweikämpfe gewann und die meisten Bälle eroberte, sowie gegen Polen, als er die meisten Kilometer lief, hatte Griezmann sich komplett in den Dienst der Mannschaft gestellt und in für ihn ungewohnten Disziplinen geglänzt.
Das Wichtigste dabei: Griezmanns Arbeitseifer führt dazu, dass die hochveranlagte Offensive Kräfte sparen kann. Griezmann ackert, Mbappé, Giroud und Dembélé zaubern. "Er hat die Fähigkeit, zu verteidigen und die anderen spielen zu lassen", fasste Varane zusammen. "Er hat sich zum Schlüsselspieler entwickelt. Er kämpft für das Team", ergänzte Koundé.
Es begann mit einem Spruch von Deschamps
Griezmann, der keines der vergangenen 72 Länderspiele verpasste und damit wohl einen Rekord für die Ewigkeit aufstellte, hat eine erstaunliche Wandlung hinter sich. Dass es so weit kommen konnte, hätte er wohl selbst nicht gedacht.
Bereits im Oktober 2019, so die Legende, die gerade oft erzählt wird, soll Trainer Didier Deschamps nach einem tristen 1:0-Sieg gegen Island seinem Schützling beim Abendessen zu verstehen gegeben haben, dass dieser eigentlich auf der falschen Position spiele. "Weißt du, dass du ein sehr guter defensiver Mittelfeldspieler wärst?", rief Deschamps damals durch den Raum und erntete dafür viel Gelächter. Griezmann selbst soll nur müde gelächelt haben.
Jetzt wartet Marokko
Drei Jahre später ist Deschamps' Spruch zur Realität geworden, das Lachen ist vor allem den Gegnern vergangen. Griezmann ist vor dem Halbfinale am Mittwoch (14.12.2022, 20 Uhr) gegen Marokko in der Form seines Lebens. Selbst seine Tor-Flaute stört ihn nicht. "Darum mache ich mir keinen Kopf", betonte der frühere Stürmer. "Die Mannschaft braucht mich im Herzen des Spiels."