FIFA WM 2022 Die WM und ihre Elfmeterschießen - kann man diesen Druck üben?
Spaniens Nationaltrainer Luis Enrique stürzte bei dieser WM über ein Elfmeter-Debakel. Obwohl seine Spieler diese Drucksituation trainieren sollten. Aber geht das überhaupt? Die Zahlen sprechen dagegen, ein Allheilmittel gibt es nicht.
Dass am Ende die Null stand, hatte etwas Historisches. 0:3 hatte Spanien im Elfmeterschießen gegen den afrikanischen Außenseiter Marokko verloren, so schlecht war in der Geschichte von Fußball-Weltmeisterschaften bisher nur eine andere Mannschaft: Die Schweiz erlebte 2006 ihren Sommer-Alptraum gegen die Ukraine, Marco Streller, Tranquillo Barnetta und Ricardo Cabanas verschossen, die Partie damals in Köln endete ebenfalls 0:3.
Offenbar keine 1.000 Elfmeter geübt
Jetzt versagten Pablo Sarabia, Carlos Soler und Sergio Busquets im Duell mit Marokkos Bono die Nerven, und für Luis Enrique hatte das seine Vorgeschichte in den Vereinen dieser Spieler. Sie alle sollten "1.000 Elfmeter üben", hatte der Ex-Nationaltrainer den Profis für die Zeit bei ihren Klubs als Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben und man kann bilanzieren: Hausaufgaben offenbar vergessen - und bei der Prüfung durchgefallen.
Bei dieser WM ist das Scheitern vom Punkt allerdings alles andere als ein Einzelfall. 32 Elfmeter gab es bislang, und erstaunliche 19 davon wurden verschossen. Verwandelt wurden also nur knapp 41 Prozent, normalerweise liegt die Quote bei rund 76 Prozent. Bei den Spaniern war der Druck des Ausscheidens natürlich extrem gewesen, aber zuvor gehörten in Katar auch schon Lionel Messi und Robert Lewandowski zu den Fehlschützen. Ganz bitter auch, wie kläglich sich Japan im Elfmeterschießen anstellte: Drei von vier Schüssen - oder eher "Rückgaben" - verfehlten im Achtelfinale gegen Kroatien das Ziel oder landeten beim Helden des Abends, Torhüter Dominik Livakovic.
Regel wird immer wieder erklärt
Dabei wäre es nach den neuen Regeln eigentlich wahrscheinlicher gewesen, dass die Erfolgsquote steigt. Denn Elfmeter, bei denen sich die Torhüter noch vor der Ausführung des Schusses von ihrer Linie wegbewegen, werden nach VAR-Überprüfung wiederholt. Das erklären die Schiedsrichter den Schlussleuten tatsächlich auch nach wie vor vor jedem Elfmeterschießen oder einzelnem Strafstoß im Spiel. Sportschau-Experte Lutz Wagner gibt zu: "Das hat sich wirklich abgenutzt."
In den vier hochinteressanten Viertelfinalspielen, die am Freitag (09.12.2022) und Samstag (jeweils 16 und 20 Uhr, u.a. im Live-Ticker bei sportschau.de) in Katar ausgetragen werden, ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch wieder mehrfach die Ausführung erklärt werden muss.
Van Gaal sieht einen "Vorteil", Deutschland ist Vorbild
Die Niederlande beispielsweise planen sogar schon mit einem Elfmeterschießen gegen Argentinien, zumindest kann man die Worte von Louis van Gaal so interpretieren. Der will ein Déjá-vu von 2014 vermeiden, als die Niederländer vom Punkt gegen Argentinien scheiterten. Der Bondscoach: "Man kann den Druck nicht simulieren. Aber wir können uns einen kleinen Vorteil verschaffen, in dem wir Elfmeter trainieren."
In diesem Fall sollte van Gaal einen Blick nach Deutschland richten. Die DFB-Teams sind nämlich nach wie vor die Könige des Elfmeterschießens. Viermal ging es bisher ins Shootout nach 120 Minuten, viermal ging es für Deutschland in die nächste Runde. Von 18 Elfmetern gingen dabei 17 ins Tor - eine unglaubliche Quote. Lediglich Uli Stielike scheiterte 1982 gegen Frankreich.
Baggio hatte den richtigen Plan
Die ganz großen Dramen blieben aus deutscher Sicht also aus. Das legendärste Elfmeterschießen gab es wohl zwischen Italien und Brasilien im Finale der WM 1994. Roberto Baggio, der damalige Superstar der "Squadra Azzurra", scheiterte als letzter Schütze, zielte deutlich zu hoch.
Dabei hat Baggio etwas gemacht, was sonst besonders erfolgsversprechend ist. In Elfmeterschießen gehen 74 Prozent der Versuche in eine Ecke rein, wer in die Mitte zielt, ist zu 57 Prozent der Sieger im Duell zwischen Schütze und Torwart. Und wer wie Baggio versuchte, in eine Ecke und hoch zu schießen, war noch erfolgreicher - nur zielte er eben zu hoch. Die englische BBC kam bei ihrer Analyse aller Elfmeterschießen vor der WM in Katar zu diesem Ergebnissen.
Bestenfalls einen Stürmer starten lassen
Demnach wird die Trefferwahrscheinlichkeit auch niedriger, je näher es der Entscheidung entgegengeht. Wer als erster Spieler zum Elfmeter antritt, versenkt den Ball in 75 Prozent der Fälle im Tor, Nummer zwei und drei schaffen es zu 73 Prozent, der vierte zu 64 und der fünfte zu 65 Prozent. Eine Erklärung dafür ist auch, dass viele Teams ihre besten Schützen mittlerweile starten lassen.
Das sind übrigens meistens Stürmer. Laut BBC sind das nicht nur während des Spiels die Profis, die für die Tore zuständig sind, sondern auch im Elfmeterschießen. Angreifer treffen in dieser Ausnahmesituation zu 75 Prozent und nutzen ihre Erfahrung vor dem Tor. Bei Mittelfeldspielern sind es 69 Prozent, bei Verteidigern sogar nur 67 Prozent.
Wechsel für das Elfmeterschießen bringen rein gar nichts
Die Statistiker haben übrigens auch mit einer gewagten Maßnahme mancher Trainer gebrochen. In der zweiten Halbzeit einer Verlängerung ins Spiel gebrachte Profis sind nur zu 63 Prozent erfolgreich, wechselt der Trainer sie in den letzten zehn Minuten ein, klappt es immerhin noch zu 67 Prozent, bei Wechseln in den letzten fünf Minuten, wird die Maßnahme nur zu 50 Prozent von Erfolg gekrönt.
Auch die jüngsten Beispiele unterstützen das. Marokko gewann zwar gegen Spanien, hatte mit Badri Banoun aber auch einen Fehlschützen - er wurde in der 120. Minute eingewechselt. Noch schlimmer erging es den Engländern bei der EM im vergangenen Jahr. Vor dem Elfmeterschießen brachte Gareth Southgate ebenfalls in der Schlussminute Jadon Sancho und Marcus Rashford, schickte sie beide an den Punkt und beide scheiterten. Aber England und Elfmeterschießen ist ja ohnehin so eine Sache.