FIFA WM 2022 Vom Reformer zum Verwalter - Die Ära Oliver Bierhoff
Die Ära des Funktionärs Oliver Bierhoff beim Deutschen Fußball-Bund ist nach 18 Jahren zu Ende. Der EM-Held von 1996 hat sich fraglos große Verdienste um den DFB und insbesondere das Nationalteam erworben. Am Ende verlor der 54-Jährige jedoch das Gespür für die Basis.
Ein Kämpfer war Oliver Bierhoff schon immer. Als Spieler, der nicht mit dem größten Talent gesegnet war, musste er mehrere Umwege gehen, bevor er in Italien bei Ascoli Calcio den Durchbruch schaffte und später Deutschland mit dem Golden Goal 1996 zum EM-Sieg schoss - übrigens als Einwechselspieler. Als der gebürtige Karlsruher 2004 dann beim DFB die Funtionärslaufbahn einschlug, musste er wieder kämpfen. Gegen verkrustete Strukturen und Widerstände.
Es verwunderte also nicht, dass sich Bierhoff nun auch kämpferisch zeigte, als "Die Mannschaft", wie er das Nationalteam einst getauft hatte, in Katar die dritte sportliche Bankrott-Erklärung in Folge bei einem großen Turnier abgegeben hatte. "Ich bin seit 18 Jahren da. Vielleicht schaut man sich die gesamte Bilanz sachlich an. Da habe ich ein gutes Gefühl für mich", erklärte der Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie, so sein offizieller Titel beim DFB seit 2022, unmittelbar nach dem Vorrunden-Aus bei der Wüsten-WM.
Öffentlicher Druck auf Bierhoff war zu groß
Bierhoff schien bereit zu sein, weiterzukämpfen. So klang es jedenfalls aus seinem Munde. Dass er wenige Tage später seinen Vertrag auflöste, mag auf den ersten Blick wie ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns aussehen. Wie eine Aufgabe des Kämpfers. Vermutlich aber wurde dem 54-Jährigen von der DFB-Spitze keine andere Wahl gelassen, als sein Amt abzugeben.
Der einstige Reformer und Visionär war in der Öffentlichkeit zu einer Art "Blitzableiter" für die enttäuschenden Nationalmannschafts-Auftritte geworden, wie der "Spiegel" treffend schrieb.
Bierhoff und Klinsmann drehen DFB auf links
Als Bierhoff 2004 beim DFB als Teammanager der Nationalmannschaft begann, stand es noch schlechter um das Aushängeschild des deutschen Fußballs als nun. Viel schlechter. Es mangelte dem Team anders als jetzt an Qualität und Talent. Gemeinsam mit Jürgen Klinsmann drehte Bierhoff den DFB auf links. "Es ist mein Wunsch, ganz engen Kontakt zu den Spielern zu haben. Gerade zu den jungen Spielern, weil wir ja alle von einem Umbruch sprechen", sagte er.
Die neue Generation um Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger und Co. bekam neuen Input. Es wurden unter anderem amerikanische Fitnesstrainer engagiert und Buddha-Statuen im DFB-Quartier aufgestellt. Michael Ballack, seinerzeit Kapitän der Nationalelf, beklagte sich über die "Bierhoffisierung" der Auswahlmanschaft. Die aufstrebenden Youngster aber gewöhnten sich schnell an die von Bierhoff geschaffene Wohlfühloase.
WM-Sieg 2014 auch ein Verdienst von Bierhoff
Überraschend schnell stellte sich der sportliche Erfolg ein. Die Heim-WM 2006, das legendäre "Sommermärchen", war die Geburtsstunde einer Mannschaft, die sich kontinuierlich weiterentwickelte, durch modernen Offensiv-Fußball begeisterte und 2014 bei der Weltmeisterschaft in Brasilien den Titel holte. Das Team war eine verschworene Einheit. Oft wurde vom "Geist von Campo Bahia" als eines der Erfolgsgeheimnisse gesprochen.
Verantwortlich für das Manschaftsquartier an der Atlantikküste zeichnete übrigens Bierhoff. Er hatte es gegen große Widerstände im Verband durchgedrückt.
Zu langes Festhalten an Bundestrainer Löw
"Die Mannschaft", so der Marketing-Slogan von Bierhoff, war auf dem Gipfel ihrer Popularität. Eine Million Menschen empfingen die Rio-Helden auf der Fanmeile in Berlin. "Man hat vom ersten Moment an gemerkt: 'Die Jungs, die wollen das'. Sie haben es super gemacht", sagte Bierhoff. "Super" lief anschließend jedoch immer weniger.
Bei der EM 2016 scheiterte die DFB-Auswahl im Semifinale. Die WM zwei Jahre darauf wurde dann sogar zum Fiasko: Aus nach der Gruppenphase. Bierhoff hielt denoch an Bundestrainer Joachim Löw fest, der seinen Zauber längst verloren hatte. Diese Entscheidung wurde beim Verband vielleicht auch deshalb nicht tiefer hinterfragt, weil Grabenkämpfe den DFB lähmten.
Fans verlieren Interesse an Nationalmannschaft
Bierhoff trieb zwar weiter den Bau der DFB-Akademie voran und stellte damit wichtige Weichen für die Zukunft. Die Baustelle Nationalmannschaft bekam er aber nicht mehr in den Griff. Die Auftritte sowie die Außendarstellung des Teams waren zu oft zu schlecht. Das Interesse an dem einstigen Premium-Produkt "Die Mannschaft" ließ nach.
Das Achtelfinal-Aus bei der EM 2021 war, um es mit den Worten des früheren Teamchefs Rudi Völler zu sagen, noch einmal ein "tieferer Tiefpunkt vom Tiefpunkt". Und was machte Bierhoff? Er handelte längst nur noch vorhersehbar. Für den zurückgetretenen Löw engagierte er dessen früheren Co-Trainer Hansi Flick als neuen Bundestrainer. Der hatte zwar mit dem FC Bayern München so ziemlich jeden Titel gewonnen, der im Weltfußball vergeben wird, war aber dennoch nicht die kreative Lösung, die es nach Jahren des sportlichen Niedergangs vielleicht bedurft hätte.
Bierhoff fehlte der Blick für die Basis
Katar hätte der Wendepunkt für das Nationalteam werden können. Flick stand die vielleicht talentierteste deutsche Mannschaft seit dem WM-Titel 2014 zur Verfügung. Anders aber als den Rio-Helden mangelte es den flickschen Fußballern an Biss und Charisma. Das Vorrunden-Aus war absolut vermeidbar, interessierte gefühlt in Fußball-Deutschland aber ohnehin kaum jemanden.
Ein Umstand, den auch Bierhoff mitzuverantworten hat. Denn dem 54-Jährigen ist im Laufe seiner Amtszeit das Gespür verloren gegangen, wie in Kneipen, Büros und Amateurkabinen über Fußball gesprochen wird. Neben dem richtigen Instinkt fehlte ihm am Ende vor allem jedoch auch: sportlicher Erfolg.
Neue Impulse dringend vonnöten
Bierhoffs Ablösung beim DFB war überfällig. In 18 Monaten beginnt die Heim-EM und mit ihr die Hoffnung auf ein Sommermärchen-Revival. Sein Nachfolger muss die DFB-Wohlfühl-Oase entrümpeln und alles auf links drehen. Genauso, wie es Bierhoff vor 18 Jahren gemacht hat...