FIFA WM 2022 Kanadas "Oldie" Hutchinson - Auf den Spuren von Roger Milla
Atiba Hutchinson ist mit 39 Jahren und fast 10 Monaten der älteste Feldspieler und Kapitän der Weltmeisterschaft. 20 Jahre nach seinem ersten Länderspiel geht für ihn und das ganze Land ein Traum in Erfüllung - auch dank eines Tores, von dem er selbst nicht genau weiß, wie es ihm gelungen ist.
Es war das wichtigste Tor seiner Karriere - und das merkwürdigste. Ein Tor, das man erst versteht, wenn man es immer wieder anschaut. Atiba Hutchinson hat es nicht erzielt, das wäre falsch formuliert. Es ist ihm, sozusagen, einfach passiert.
Hutchinson: "Der Fußballgott war mit uns"
Man kann über die Entstehung dieses Tores viele Worte verlieren, etwa dass Hutchinson sich in eine Flanke warf, dass er den Ball wuchtig an den rechten Pfosten köpfte, dass der Ball von dort gegen das Schienbein eines Verteidigers prallte und anschließend den auf dem Boden liegenden Hutchinson irgendwo zwischen Hinterkopf, Nacken und Schulterblatt traf, dass er dadurch Drall entwickelte und aufgrund dieser Eigenrotation eine Kurve flog, die El Salvadors Keeper Kévin Carabantes erst verstanden hatte, als der Ball im Tor war. Man kann diesen Treffer aber auch wie Hutchinson zusammenfassen: "Der Fußballgott war mit uns."
Kanada erstmals seit 36 Jahren bei der WM
Hutchinsons Tor leitete den 2:0-Sieg gegen El Saldavor ein, der für Kanada einen großen Schritt in Richtung Weltmeisterschaft bedeutete. Ende März dann machten die Kanadier die Qualifikation mit einem 4:0 gegen Jamaika perfekt, als Gruppenerster vor Mexiko, den USA und Costa Rica. Zum ersten Mal seit 36 Jahren sind sie wieder bei einer WM dabei. "Kanada verdient es, die Hymne bei einer WM zu hören", sagt Hutchinson.
Niemand im Kader Kanadas hat so lange auf diese Teilnahme gewartet wie er. Als Kanada das erste und bis zu Katar auch letzte Mal bei einer WM auflief, 1986 in Mexiko, war aus dem aktuellen Kader nur er geboren. Wenn der Kapitän mit seinem Team am Mittwoch (23.11., 20 Uhr MEZ) gegen Belgien antritt, ist er 39 Jahre und 288 Tage alt - der älteste Feldspieler und Kapitän bei dieser WM, der älteste WM-Teilnehmer aus Nordamerika überhaupt und nach dem Kameruner Roger Milla (42 Jahre, WM 1994 in den USA) der älteste Feldspieler in der Geschichte der WM.
Erstes Länderspiel 2003
"Es war ein Traum, eines Tages bei der Weltmeisterschaft dabei zu sein", sagt Hutchinson. "All diese Momente, der Aufwand, den man betreibt, die harte Arbeit, die Zeit, die man auf dem Platz verbringt: Das war einfach eine großartige Reise."
Sie begann am 18. Januar 2003. Mit 19 Jahren, elf Monaten und zehn Tagen debütierte er für Kanadas Nationalmannschaft. Der größte Star im aktuellen Kader Kanadas, Alphonso Davies vom FC Bayern, war damals zwei.
Hutchinson ist der Liebling der Fans
Seither sind 97 Länderspiele dazugekommen. Hutchinson war nicht immer gesetzt, aber der 1,87 Meter große Mittelfeldspieler, der auch in der Innenverteidigung eingesetzt werden kann, hat sich mit seiner Zweikampfstärke und seiner Übersicht nach und nach in die Herzen der Fans gespielt. 2007 haben sie ihn bei einer Onlineabstimung zu ihrem Fußballer des Jahres 2006 gewählt. Die Hauptauszeichnung gewann er zum ersten Mal 2010 und von da an fünf weitere Male.
Viel erlebt, viel erreicht
Hutchinson, dessen Eltern aus Trinidad und Tobago stammen, hat in Kanada mit dem Fußballspielen begonnen. 2003 zog es ihn nach Europa, wo er in Schweden (Östers IF und Helsingborg), Dänemark (FC Kopenhagen) und den Niederlanden (PSV Eindhoven) gespielt hat. Seit 2013 ist er bei Besiktas in der Türkei unter Vertrag. Drei Mal wurde er dänischer Meister, drei mal türkischer Meister.
In der laufenden Süper-Lig-Saison hat er allerdings wegen einer Knochenprellung noch kein Spiel gemacht. Dennoch ist er mit seiner Erfahrung ein zentraler Baustein des zum Teil sehr jungen kanadischen Teams. "Er bedeutet so viel für uns", schwärmte Coach John Herdman gegenüber "The Athletic" von seinem Kapitän.
Hutchinson: "Wir haben keine Angst"
Kanada tritt in der Gruppe F gegen Belgien, Marokko und Kroatien an. Ein Weiterkommen wäre eine Sensation. Bei der ersten Teilnahme gelang den Kanadiern kein Tor und kein Punkt. "Wir glauben an uns, wir haben vor niemandem Angst. Wir fahren dahin und bringen Kanada, was den Fußball angeht, auf die Weltkarte", sagt der 39-Jährige.
Als er nach dem Sieg gegen Jamaika, der Kanadas Rückkehr auf die WM-Bühne endgültig machte, nach Hause kam, wartete seine Familie auf ihn. "Ich habe die Haustür geöffnet und gesehen, wie glücklich alle sind." Seine Kinder seien inzwischen alt genug, um zu verstehen, was das bedeutet, bei einer WM dabei zu sein, auf der größten Fußball-Bühne überhaupt. Sie werden die Spiele ihres Papas genau verfolgen. Allein dafür hat sich sein langes Warten gelohnt.