FIFA WM 2022 Jude Bellingham - Der junge Mann, der alles kann
Jude Bellingham ist erst 19 und trotzdem schon der herausragende Spieler in Englands Nationalmannschaft. Mitspieler sagen, er habe keine Schwächen. Er gibt das Lob lieber weiter.
Wer einen Eindruck von Jude Bellinghams Klasse bekommen will, muss sich nicht nochmal das ganze Achtelfinale gegen Senegal anschauen, es reichen auch acht Sekunden.
In diesen acht Sekunden erkannte Bellingham, dass Pathé Ciss unweit des englischen Strafraums einen hohen Ball nicht vernünftig kontrollieren konnte, er setzte ihn deshalb unter Druck, nahm Ciss den Ball mit dem Kopf ab, dribbelte los, ließ einen Gegenspieler mit einer Finte stehen, zog zwei weitere auf sich und spielte kurz hinter der Mittellinie im richtigen Moment einen Pass auf Phil Foden, der dadurch nur noch einen Gegenspieler vor sich hatte.
Foden legte zu Harry Kane, der traf zum 2:0 (45.+3). Ciss, der eigentlich den Auftrag hatte, Bellingham zu bewachen, wurde in der Halbzeit ausgewechselt.
Bellingham ist der jüngste Torvorbereiter in einem WM-K.o.-Spiel
Acht Sekunden, in denen Bellingham einen Auszug seines Könnens lieferte: Situationen einschätzen, Zweikämpfe gewinnen, dribbeln, Räume sehen, Chancen durch entscheidende Pässe kreieren. Das einzige, was diese Szene nicht zeigte: Er kann auch Tore machen. Wer für diese Qualität noch einen Beleg braucht, kann sich das 1:0 beim 6:2 gegen den Iran ansehen, das Bellingham mit dem Kopf erzielte.
Auch wenn es nicht so aussieht: Jordan Henderson und Jude Bellingham feiern den Führungstreffer gegen Senegal.
Beim 3:0 gegen den Senegal hat Bellingham nicht nur den beschriebenen zweiten Treffer eingeleitet, sondern auch den ersten von Jordan Henderson vorgelegt. Er ist der jüngste Torvorbereiter in einem WM-K.o.-Spiel seit Beginn der Datenerfassung 1966. Zudem hatte er eine Passquote von 91 Prozent, gewann in der ersten Hälfte die meisten Zweikämpfe, eroberte die meisten Bälle.
Nach dem Spiel machte er ein Selfie mit seinen Eltern und setzte sich, als das "Beduinenzelt" von Al-Khor schon leer war, in Badelatschen auf den Rasen. Er formte mit seinen Fingern ein "W" für "Win". Es sah so aus, als wolle er all das für einen kurzen Moment in Ruhe genießen. Und als müsse er durchschnaufen, bevor der Trubel über ihn hereinbricht.
Bellingham wird von allen Seiten gelobt
Seit dieser Vorstellung kann er sich dem Lob kaum entziehen. Kapitän Harry Kane sagte: "Jude ist ein fantastischer Spieler. Er macht alles so gut. Er ist sehr reif für sein Alter und hat großartige Führungsqualitäten." Flügelstürmer Foden lobte noch deutlicher: "Ich denke, er wird der beste Mittelfeldspieler der Welt. Er hat keine Schwäche in seinem Spiel." Und Trainer Gareth Southgate, der Jordan Henderson auf die Sechs und Bellingham auf die Zehn gestellt hatte, sagte: "Die Hereinnahme von Jordan Henderson hat Jude mehr Freiheiten gegeben. Die hat er außergewöhnlich gut genutzt."
Experten einig: Bellingham schon mit 19 Weltklasse
Lob von Mitspielern und dem eigenen Trainer ist nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist allerdings, wenn sich zudem alle Experten einig über die Klasse eines Spielers sind. Bei Bellingham, der auch bei Borussia Dortmund herausragt, ist das so.
Der "Star of the Show"
Roy Keane beispielsweise sagte: "Ich habe seit Jahren keinen jungen Mittelfeldspieler so spielen sehen. Normalerweise sieht man das bei einem Weltklassespieler, der 26, 27 Jahre alt ist." Bellingham werde der nächste Superstar. United-Legende Gary Neville äußerte sich ähnlich: "Es ist sehr selten, dass man einen Mittelfeldspieler sieht, der sich in seiner eigenen Hälfte so wohl fühlt wie in der offensiven. Es sieht so gut aus, als ob er absolut alles machen kann. Ist er ein Abwehrspieler, ein Angriffsspieler? Er ist alles in einem." Die britische Boulevardzeitung "The Sun" bezeichnete ihn als "Star of the Show".
Bellingham trifft im Viertelfinale auf Frankreich mit Superstar Mbappé
Es ist nicht das erste Mal, dass sich bei einer Weltmeisterschaft ein junger Spieler auf außerordentliche Art und Weise in den Vordergrund spielt: Pélé 1958, Lionel Messi 2006, Kylian Mbappé 2018 - um nur einige zu nennen.
Was Bellingham von ihnen unterscheidet: Er glänzt nicht nur durch das Schöne, das Elegante, das offensichtlich Außergewöhnliche. Der 1,86 Meter große Mittelfeldspieler überzeugt auch durch Robustheit, Aggressivität, er ist sich für nichts zu schade. Seine Präsenz ist für einen 19-Jährigen bemerkenswert. "Er ist der Leader in diesem Team. Seine Eltern müssen so stolz sein", schrieb Garry Lineker auf Twitter.
Im WM-Viertelfinale am Samstag (10.12.2022, 20.00 Uhr) muss Bellingham beweisen, dass er es auch mit einer Mannschaft wie Frankreich aufnehmen kann. "Das ist der größte Test, der uns erwarten kann. Sie sind Weltmeister, sie haben Tiefe, sie haben Talent, sie haben herausragende Spieler. Es ist eine fantastische Herausforderung", sagte Trainer Southgate.
Bellinghams Zukunft - wohl nicht in Dortmund
Anstatt sich zu den Lobeshymnen zu äußern, sprach Bellingham übrigens lieber über seinen Mitspieler Jordan Henderson, der in der Heimat oft kritisiert wird. Auf Twitter schrieb Bellingham: "Gebt diesem Mann Respekt." Und in einem TV-Interview sagte er: "Ich habe ziemlichen Müll gelesen, der über ihn erzählt wurde. Ernsthaft, es ist lächerlich. Er wird technisch derart unterschätzt." Es sei Zeit, dass er Respekt bekomme.
Auch auf Vereinsebene könnten die beiden bald zusammenspielen. Der FC Liverpool, für den Henderson aufläuft, soll großes Interesse an Bellingham haben. Sein Vertrag bei Borussia Dortmund läuft bis Sommer 2025. Jeder weitere Auftritt in seiner aktuellen Form macht es unwahrscheinlicher, dass er solange bleibt.