FIFA WM 2022 Deutschlands Gegner - Costa Ricaner wollen "kämpfen wie die Stiere"
Costa Rica glaubt daran, im letzten Spiel der WM-Gruppe E gegen Deutschland die große Überraschung zu schaffen. Dass die "Ticos" über sich hinauswachsen können, haben sie in der Vergangenheit bewiesen.
An Luis Fernando Suárez' Kühlschrank hängen Bastelarbeiten seines Enkels und ein Papier, das sinnbildlich ist für seine Besessenheit. Auf diesem Papier hat sich der Trainer Costa Ricas drei Namen notiert: Japan, Spanien, Deutschland, die Gegner in der WM-Gruppe E. Noch vor dem entscheidenden Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft in Katar hatte er es befestigt.
"Ich trinke viel Wasser. Daher gehe ich sehr oft zum Kühlschrank und blicke ständig darauf. Das ist wie ein Foto", sagte er. Mehrmals am Tag wollte sich Suarez, seit Juni 2021 Nationaltrainer Costa Ricas, vor Augen führen, welch großes Abenteuer auf ihn und sein Team zukommen werde, wenn die Qualifikation gelänge. Und er wollte sicherstellen, dass er den Fokus nicht verliert. "Ich sterbe, wenn ich die Qualifikation nicht schaffe", sagte er. Er hat sie geschafft, zum dritten Mal in seiner Karriere (Ecuador 2006, Honduras 2014).
Costa Ricas Trainer Luis Suárez während des WM-Spiels gegen Japan.
Costa Rica - ein fußballverrücktes Land
1:0 gewannen Suárez und die "Ticos", wie das Team genannt wird, das interkontinentale Playoff-Endspiel gegen Neuseeland um das letzte WM-Ticket. Die Costa Ricaner tanzten in den Straßen der Hauptstadt San José, sie weinten vor Freude, Staatsoberhaupt Rodrigo Chaves sagte: "Wir sind ein unglaubliches Land!" Ein Land, das bekannt ist für seine traumhaften Strände, die schier endlosen Kaffeplantagen, die vielfältige Tierwelt, die vom Rotaugenlaubfrosch bis zum Faultier reicht - und dafür, dass das Volk verrückt ist nach Fußball.
Costa Ricas Torhüter Keylor Navas will dem Land Glück und Freude bereiten
Vor dem letzten Gruppenspiel gegen Deutschland (01.12., 20 Uhr MEZ) sagte Torhüter Keylor Navas in einem Interview dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland": "Wir werden uns teuer verkaufen und wir werden wie die Stiere kämpfen, um unserem Land viel Glück und Freude zu bereiten." Diese Bessessenheit, die Trainer und Spieler in sich tragen, ist die größte Qualität der Mannschaft. Sie überdeckt aber nicht die vielen Schwächen.
Costa Rica - eine Mannschaft ohne Torjäger
Costa Rica hat in der WM-Qualifikation in 15 Spielen nur 14 Tore erzielt. Bester Torschütze mit drei Treffern war Joel Campbell, 30. Wie harmlos die Mannschaft ist, zeigte sich auch in den ersten beiden WM-Spielen gegen Spanien und Japan. Gegen die Spanier (0:7) schossen die Costa Ricaner kein einziges Mal aufs Tor, gegen Japan (1:0) erzielte Keysher Fuller den einzigen Treffer - und zwar mit dem ersten Schuss, der überhaupt aufs Tor ging. Von allen 32 WM-Teams hat Costa Rica den niedrigsten Wert, was die Expected Goals angeht, nämlich 0,05 Tore pro Spiel. Die Zahl zeigt, wie viele Tore von einer Mannschaft in einer Partie zu erwarten gewesen wären. Vereinfacht ausgedrückt hat Costa Rica also weder viele noch gute Torchancen.
Hoffnung macht der 18-jährige Jewison Bennette vom englischen Zweitligsten AFC Sunderland. Sein Vereinstrainer Tony Mowbray: "Er ist ein aufregender Spieler. Einer der Typen, die die Fans von ihren Sitzen aufspringen lassen." Allerdings ließ Suárez das Sturmjuwel gegen Japan erstmal draußen, um die Defensive zu stärken. Vermutlich wird Bennette auch gegen Deutschland nicht von Beginn an spielen.
Linksverteidiger als große Schwachstelle
Costa Rica fehlt aber nicht nur ein Torjäger, die Mannschaft hat auch in der Defensive Schwierigkeiten. Als große Schwachstelle gilt die Position des Linksverteidigers. Bryan Oviedo, 32, von Real Salt Lake City ist allein wegen seiner Erfahrung gesetzt. Umso überraschender, dass Bochums Cristian Gamboa nicht nominiert wurde.
Danny Röhl, Co-Trainer beim DFB, hat bereits angekündigt, dass die deutsche Elf "mehr Lösungen mit dem Ball" brauche, dass sie sich "viel bewegen" und bei Ballbesitz "sehr aktiv" sein müsse. Fußball nach spanischem Vorbild - gegen die quirligen und kombinationssicheren Spanier kam Costa Rica nicht hinterher.
Costa Rica und seine sechs WM-Helden
Und doch hat das Land in der Vergangenheit bewiesen, dass es übermächtig wirkende Gegner schlagen kann. 2014 setzte sich das Team in einer Gruppe mit Uruguay, Italien und England als Erster durch, kämpfte dann Griechenland nieder und schied im Viertelfinale gegen die Niederlande erst nach Elfmeterschießen aus. Es war das beste Resultat in der Geschichte der "Ticos". Die Spieler wurden in ihrem Land wie Helden gefeiert. Sechs sind noch im aktuellen Kader: Keylor Navas, Joel Campbell, Óscar Duarte, Celso Borges, Yeltsin Tejeda und Bryan Ruiz. Aber 2014 ist lange her - und die Helden sind müde.
Nur Torhüter Navas bei einem Topklub - und der spielt nicht
Ruiz beispielsweise, der 2014 gegen Italien den 1:0-Siegtreffer köpfte, spielt mit seinen 37 Jahren für LD Alajuelense in der ersten costa-ricanischen Liga, ebenso wie Mittelfeldstratege Borges, 34. Sein Nebenmann im Zentrum, Tejeda, 30, läuft für Herediano, ebenfalls in der ersten Liga Costa Ricas, auf. Navas hat bei Paris St. Germain noch kein Saisonspiel gemacht, Offensivspieler Campbell, 30, für Club León FC in der ersten mexikanischen Liga in 17 Spielen erst einmal getroffen. Innenverteidiger Duarte, 33, spielt seit diesem Sommer für Al-Wehda FC in der höchsten saudi-arabischen Liga.
Abgesehen von Tejeda haben sie alle einst in Europas Topligen gespielt und sind deshalb eine wichtige Achse. Um sie herum versucht Trainer Suarez, junge Spieler einzubauen, aber auch von ihnen spielt keiner bei einem Topklub und viele bekommen nur wenig Einsatzzeit.
Costa Rica träumt vom Weiterkommen
Paulo Wanchope, der bei der WM 2006 beim 2:4 gegen Deutschland doppelt getroffen hatte und inzwischen als Vereinstrainer arbeitet, sprach vor Katar von einer "wunderbaren Aufgabe". Gerade für die jungen Spieler werde es eine Lehrstunde und ein großes Abenteuer. Aber dass die Mannschaft die "schwierigste Gruppe dieser WM" überstünde, halte er für unrealistisch.
Costa Ricas Paulo Wanchope traf bei der WM 2006 gegen Deutschland doppelt.
Coach Suárez hingegen sagte nach dem Sieg gegen Japan, man dürfe weiterhin träumen. "Hoffentlich zeigt meine Mannschaft, wozu sie in der Lage ist." Vielleicht braucht es dann auch, wie Stürmer Fuller anmerkte, die Hilfe von ganz oben. "Wir leben noch. Wir haben vollstes Vertrauen in Gott und in uns."