Dr. Felix Brych prüft Videobeweis

Test des Video Supports DFB-Schiri-Chef Kircher für VAR-Alternative

Stand: 18.10.2024 16:46 Uhr

Italien testet den Video Support, bekannt aus NBA und NFL. Auch DFB-Schiri-Chef Kircher ist für das Modell offen, genauso wie Fanvertreter.

Von Andreas Artz

Bundestrainer Julian Nagelsmann war nach dem 1:0-Sieg in der Nations League gegen die Niederlande eigentlich rundum glücklich, wenn da nicht diese eine Szene in der zweiten Minute gewesen wäre. Schuss Jamie Leweling, Tor für Deutschland, doch der Videoassistent entschied auf Abseits – zum Ärger von Nagelsmann: "Der holländische Spieler macht seelenruhig den Kontakt, wollte sich noch eine Bratwurst holen, verliert den Ball und dann zählt das Tor nicht. Das verstehe ich nicht", sagte er süffisant über die Entscheidung, die im aktuellen Regelwerk dann korrekt beurteilt wurde, in der jetzigen Form aber kaum ein Fan nachvollziehen kann.

Dr. Felix Brych prüft Videobeweis

Felix Brych revidierte nach Prüfung eine Fehlentscheidung und nahm einen Strafstoß für Nürnberg zurück.

Die Szene reiht sich ein in die vielen VAR-Aufreger, die es in dieser noch jungen Saison schon gegeben hat. Umso interessanter ist der Weg, den der italienische Fußballverband nun geht. Er will in der dritten Liga den "Video Support" testen. Das Prinzip ist bereits aus Sportarten wie Tennis, Basketball oder American Football bekannt: Trainer können eine "Challenge" ziehen, wenn eine Schiedsrichter-Entscheidung überprüft werden soll.

Kostengünstiger als VAR

Anders als beim VAR gibt es keinen zusätzlichen Video-Assistenten, sondern der Schiedsrichter sieht sich die Szene am Spielfeldrand selbst an. Damit gilt das System auch als kostengünstige VAR-Alternative. Zuletzt testete die FIFA den Video Support unter anderem bei der U20-WM der Frauen im September. Der italienische Fußballverband ist nun die erste große europäische Nation, die das System anwenden will

Die VAR-Aufreger der vergangenen Monate

Sportschau, 18.10.2024 16:17 Uhr

Ein Vorbild auch für den deutschen Fußball? Durchaus, meint DFB-Schiedsrichter-Chef und Ex-Bundesliga-Referee Knut Kircher: "Wir als Schiedsrichter sind allem gegenüber aufgeschlossen, was dem Fußball guttut. Und ich könnte mir vorstellen, dass der Video Support dem Fußball guttut. Wir sind für das Thema offen", sagt er im Gespräch mit der Sportschau. 

Das System verlagere etwa die Verantwortung auf die Trainer. Sie müssten entscheiden, ob sie eine Challenge ziehen. Jeder Trainer hat nämlich nur eine begrenzte Anzahl an Eingriffen zur Verfügung. Entsprechend behutsam müsse man damit umgehen, meint Kircher: "Gerade gegen Ende eines Spiels sind Schiedsrichter-Entscheidungen ja noch wichtiger für den Ausgang eines Spiels. Dann muss ich in der Rolle des Challengers auch taktieren."

Fans: Video Support bringt klare Struktur

Auch Jost Peter, Vorsitzender der Fan-Interessensvertretung Unsere Kurve hält den Video Support für einen "guten Ansatz, an dem man sich orientieren sollte" und erklärt: "Dieses Modell bringt den Vorteil, dass klar strukturiert ist, wann der Videobeweis zum Einsatz kommt, nämlich nur auf Aufforderung. Das macht es für die Fans im Stadion klar und nachvollziehbar. Und der Schiedsrichter wird wieder zur entscheidenden Figur auf dem Platz, denn es gibt keinen Neben-Schiedsrichter mehr", sagt Peter, dessen Gruppierung über 350.000 aktive Fans von der ersten bis zur vierten Liga vertritt. 

Jost Peter - "Der Schiedsrichter bleibt die entscheidene Figur"

Sportschau, 18.10.2024 15:29 Uhr

Das Fanprojekt von Borussia Mönchengladbach hatte in einer Petition zuletzt gar die komplette Abschaffung des Videoassistenten gefordert – unterschrieben von über 10.000 Fans. Peter betont zwar, dass dies nicht die Haltung aller Fans widerspiegele und viele den VAR - in einer überarbeiteten Form - erhalten wollen.

Scharfe Fan-Kritik am VAR - Kircher räumt Fehler ein

Doch für den Zustand des Videobeweises findet auch er klare Worte: "Der ist grottenschlecht", schimpft Peter und stellt fest: "Schiedsrichter werden entmündigt, auch wenn es faktisch nicht so sein soll. Entscheidungen werden verzögert und es wird gewartet bis der VAR eingreift. Und die Stimmung im Stadion leidet extrem."

DFB-Schiedsrichter-Chef Kircher räumt ein, dass der VAR zuletzt teilweise "zu kleinteilig, zu detektivisch" gewesen sei und zu oft in Entscheidungen im “Graubereich” eingegriffen habe. Er mahnt, sich wieder auf die ursprüngliche Idee des VARs zurückzubesinnen: klare Fehlentscheidungen zu korrigieren. Seine Definition davon? "Wenn ich als Zuschauer mit Ruhepuls vor dem Fernseher sitze und sage: ‘Das war jetzt falsch.’ Dann ist es klar."

DFB beobachtet Testphase in Italien

Ob der Video-Support die passende Weiterentwicklung des VAR ist, müssen letztendlich DFL (für 1. und 2. Liga) und DFB (3. Liga und Frauen-Bundesliga) entscheiden. Die DFL teilt auf Sportschau-Anfrage mit, dass sie zurzeit nicht über den Video-Support diskutiere.

Anders der DFB: Dessen Geschäftsführer Manuel Hartmann sagt mit Blick auf den Testlauf in Italien: "Wir verfolgen es mit hohem Interesse, wenn eine 3. Liga einer anderen großen europäischen Fußballnation ein solches Modell testet. Wir sind auf die Erfahrungen gespannt und werden uns über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten." Voraussetzung ist allerdings auch, dass sich eine Mehrheit der betroffenen Klubs den Video Support wünscht. Bis dahin werden die Diskussionen über den VAR erstmal weitergehen.