Umgang mit rechtsextremen Hooligans Polizei bringt Alemannia Aachen in Erklärungsnot
Alemannia Aachen gerät wegen fehlender Distanz zu rechtsextremen Hooligans immer mehr unter Druck. Der Drittligist muss eine Stellungnahme zur Berichterstattung der Sportschau löschen - auf Druck der Aachener Polizei. Die Vereinsführung gesteht nun erstmals eigene Fehler ein.
Es herrscht große Unruhe im Umfeld von Alemannia Aachen. Nach der Berichterstattung der Sportschau und des WDR-Magazins Sport inside über den zweifelhaften Umgang der Vereinsführung mit rechtsextremen Anhängern im Fanblock, zu denen die Spitze des Klubs ein offenkundig enges Verhältnis pflegt, gerät die Alemannia immer stärker in Erklärungsnot.
Polizei kassiert Stellungnahme der Alemannia ein
Der Verein reagierte am Montagabend (26.08.2024) - vier Tage nach der Veröffentlichung des Sport-inside-Videos und einen Tag nach der Austrahlung einer kürzeren Fassung in der Sportschau am Sonntag - zunächst mit einem Statement auf der Homepage des Klubs, überschrieben mit den Worten: "Alemannia Aachen distanziert sich vom Sportschau-Beitrag". Darin behauptet der Verein, der WDR habe in seiner Berichterstattung "wider besseren Wissens" die Lagebeurteilung der Polizei Aachen zum Thema aus dem Februar 2024 nicht berücksichtigt.
Am Donnerstag war diese Stellungnahme auf der Homepage der Alemannia auf einmal nicht mehr abrufbar. Der Grund: Das Polizeipräsidium Aachen hatte den Verein aufgefordert, alle polizeilichen Inhalte im Rahmen der Stellungnahme aus dem Netz zu nehmen, wie die Polizei der Sportschau und Sport inside bestätigte.
Statement der Polizei "in falschen Zusammenhang gebracht"
In der nun vom Netz genommenen Erklärung hatte der Verein mitgeteilt: "Wer den Film gesehen hat und diese sehr klaren Informationen der Aachener Polizei daneben stellt, weiß, dass der Fernsehbericht nicht die tatsächliche Situation rund um den Tivoli beschreibt."
Hier ist die Polizei Aachen völlig anderer Ansicht – und hat deshalb nun darauf bestanden, nicht erneut vom Verein vor den Karren gespannt zu werden. "In der aktuellen Stellungnahme der Alemannia auf deren Website werden Auszüge aus dem polizeilichen Statement vom 28.02.2024 erneut in einen falschen Zusammenhang gebracht", schreibt die Polizei auf Anfrage.
Die Alemannia ist offenbar schon seit Monaten mit der Lagebeurteilung der Polizei vom 28. Februar, die dem WDR seit Wochen bekannt war, unseriös umgegangen. Das begann nach Ansicht der Polizei bereits beim ersten Verwerten der Aussagen aus dem Präsidium. Schon damals musste der Klub – unbemerkt von der Öffentlichkeit – die erste Fassung seiner Mitteilung korrigieren.
"Mehrere Personen, die der rechtsextremen Szene angehören"
Die Stellungnahme sei "redaktionell aufgearbeitet, teilweise verkürzt dargestellt und damit aus dem Kontext der eigentlichen Anfrage gezogen" worden, schreibt die Polizei nun auf Nachfrage der Sportschau. Man sei von der Alemannia explizit nach "rechtsextremen Strukturen" innerhalb der Fanszene gefragt worden. "Eine Nutzung des Statements in einem anderen Zusammenhang hatte die Polizei Aachen nicht vorgesehen."
Der Verein schreibt dazu: "Die Änderungswünsche der Polizei hat Alemannia Aachen zur Kenntnis genommen und in einer Neufassung der Meldung auch unmittelbar umgesetzt. Eine kritische Rückmeldung zur aktualisierten Fassung gab es nicht."
Die Polizei hatte in ihrem Statement im Februar tatsächlich bestätigt, dass es keine rechtsextremistischen Strukturen bei Alemannia Aachen gibt. Einzelpersonen mit Verbindungen in die rechtesextreme Szene aber sehr wohl, wie sie auf Anfrage noch einmal bestätigt: "Der Polizei Aachen sind mehrere Personen in der Fanszene von Alemannia Aachen bekannt, die der rechten Szene angehören."
In den Beiträgen der Sportschau und von Sport inside wurde die große Nähe der Vereinsführung von Alemannia Aachen zu diesen Einzelpersonen, wie etwa dem Anführer der Hooligangruppe "Boxstaffel 520", Kevin P., dargestellt. "Es ist nicht die Aufgabe der Polizei Aachen zu bewerten, mit wem die Verantwortlichen der Alemannia Kontakte pflegen", schreibt die Aachener Polizei auf eine entsprechende Frage der Sportschau.
Zur Boxstaffel 520 selbst teilt die Polizei mit, dass zwar "zur überwiegenden Mehrheit der Mitglieder" keine polizeilichen Erkenntnisse "zur politischen Gesinnung" vorlägen, aber: "Bei den polizeilich bekannten Personen sind unterschiedliche Phänomenbereiche politischer Gesinnung festzustellen. Von deutschnational bis türkischnational." Und, allgemein: "Die Polizei hält gewalttätige Gruppierungen, zum Beispiel Hooligans, für gefährlich, da durch Rekrutierung Fans in eine Szene gezogen werden, in der Gewalt als positiv wahrgenommen und propagiert wird."
Klubführung räumt erstmals Fehler ein
Am Donnerstagnachmittag traten Alemannias Geschäftsführer Sascha Eller und Aufsichtsratschef Marcel Moberz dann die Flucht nach vorne an. Jegliche Form von Extremismus habe bei der Alemannia und am Tivoli keinen Platz, erklärten die beiden in einem auf dem YouTube-Kanal des Vereins verbreiteten Video.
Erstmals räumt die Vereinsführung darin eigene Fehler ein im Umgang mit rechtsextremen Anhängern im Umfeld des Klubs. "Wir haben Nähe zugelassen zu Menschen, die aus diesem Spektrum kommen, die früher in dieser Richtung unterwegs waren, sich jetzt vielleicht immer noch nicht klar abgrenzen – und dadurch hat sich so eine Bubble gebildet, in die wir reingezogen wurden“, sagte Eller.
"Die Nerven liegen blank"
Das Führungsduo sah sich offenbar zu einer solchen Stellungnahme genötigt, weil der Druck nicht nur seitens der Polizei in den vergangenen Tagen immer größer geworden war. Ein Mitglied aus dem Führungszirkel des Vereins, das nicht namentlich genannt werden möchte, erzählt, in der Geschäftsstelle lägen "die Nerven blank". Mittlerweile müsse man sich auch gegenüber Sponsoren und vielen Mitgliedern aus dem Breitensportbereich des Vereins rechtfertigen - was kaum noch gelänge.
Die Verantwortlichen hatten zunächst versucht, die Berichterstattung als falsch darzustellen. So gerierte sich der Aufsichtsratsvorsitzende Moberz noch am Montag in einem privaten Facebook-Post als Opfer, weil man ihn angeblich als rechtsextrem dargestellt habe. Seine persönliche politische Haltung war aber weder von der Sportschau noch von Sport inside thematisiert worden, lediglich seine Kontakte zu Kevin P., dem Anführer der "Boxstaffel 520".
In dem Facebook-Post bot Moberz an, "mein Amt sofort niederzulegen". Der Aufschrei an der Fan-Basis, wo der Aufsichtsratschef große Sympathien genießt, war groß. Doch nach Informationen der Sportschau soll es bereits erste Stimmen in den Klubgremien geben, die einen solchen Rücktritt für hilfreich halten bei der Bewältigung der aktuellen Krise.
Umgang mit der Boxstaffel 520 ein Problem
Denn der Umgang insbesondere mit der Boxstaffel 520 ist zunehmend zum Problem für den Klub geworden. Deren Anführer Kevin P. sitzt derzeit in Untersuchungshaft wegen des Verdachts auf versuchten Totschlag. Sein Anwalt erklärte in der vergangenen Woche gegenüber dem WDR, dass sein Mandant sich derzeit nicht äußern wolle und verwies auf die Unschuldsvermutung.
Die Boxstaffel 520 sammelt derweil Spenden für die Anwaltskosten und fordert in der Fankurve auf Transparenten Ps. Freilassung. "Alemannia Aachen duldet weder den Verkauf noch das Tragen von Shirts oder Banner mit dem Text 'Free Chemo'. Dazu befindet sich Alemannia Aachen aktuell auch im Austausch mit dem Fanbeirat, in dem die Fanszene inklusive der Ultras organisiert sind", schreibt der Klub dazu auf Anfrage.
Auch der Kapitän der Profi-Mannschaft, Mika Hanraths, war dem Spendenaufruf gefolgt und spendete 20 Euro. Das bestätigten Eller und Moberz in dem YouTube-Video. Man solle Hanraths dafür aber keine Vorwürfe machen. "Das ist unsere Schuld. Wir haben die Nähe zugelassen", sagte Moberz. "Der Junge hat sich nichts Böses dabei gedacht."
Verbotenes Tattoo - Alemannia prüft jetzt rechtliche Schritte
Auch zu einer weiteren Person mit offensichtich rechstextremer Gesinnung im Umfeld des Klubs musste die Alemannia nun Stellung beziehen. Jens B. war im Vip-Raum des Tivoli fotografiert worden, wie er offen sein Tattoo mit SS-Totenkopf und Inschrift der in Deutschland verbotenen rechtsradikalen Organisation "Blood and Honour" zeigte.
Ein Stadionverbot erhielt B. bisher nicht. Ein weiteres Foto vom Auswärtsspiel der Alemannia am ersten Drittliga-Spieltag in Essen zeigte ihn nun im Fanblock mit freiem Oberkörper - diese Tätowierung abgeklebt. "Von der angesprochenen Tätowierung hat Alemannia Aachen erst über Ihre Presseanfrage erfahren und prüft rechtliche Maßnahmen", teilt der Verein nun der Sportschau mit.
Ansonsten habe man zuletzt durchaus Stadionverbote ausgesprochen: "Alemannia Aachen hat in der jüngeren Vergangenheit nachweislich gegenüber zwei Stadionbesuchern wegen mutmaßlich rechtsradikaler Handlungen Hausverbote und Stadionverbote verhängt."
Die Klubführung in Aachen will nun offenbar eine Kehrtwende hinlegen. Auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit: Demnächst werden sich Vertreter des Vereins und der Polizei zusammensetzen, um sich miteinander auszutauschen. Die Polizei formuliert es so: "Offenbar müssen Rahmenbedingungen der professionellen Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Pressestellen künftig konkretisiert werden." Das allerdings dürfte erstmal noch das kleinste Problem der Alemannia-Verantwortlichen sein.