Bundesliga-Topspiel Bayer gegen Bayern "Mia san mia" auf der Leverkusener Bank
Drei Spiele, drei Siege - Bayern München und Bayer Leverkusen treffen sich mit jeweils makelloser Bilanz zum Liga-Gipfel am Freitag (15.09.2023, Audiostream und Live-Ticker bei sportschau.de). Dass Bayern diesmal gar nicht mal so favorisiert ist, liegt sehr stark am Bayer-Coach.
Es ist natürlich nicht ganz neu, dass ein Trainer von Bayer Leverkusen eine Mia-san-mia-Vergangenheit hat. Jupp Heynckes beispielsweise saß von 2009 bis 2011 auf der Bayer-Bank, vor ihm auch für ein Jahr der ehemalige Bayern-Stürmer Bruno Labbadia und zwischen 2003 und 2005 Klaus Augenthaler.
Es gab noch mehr Versuche, dieses irgendwo zwischen gesundem Selbstbewusstsein und unangenehm wirkender Selbstherrlichkeit anzusiedelnde Erfolgsdenken der Münchner in der Chemiemetropole am Rhein einzupflanzen. Dettmar Cramer, Erich Ribbeck, Peter Hermann, alle haben bei beiden Vereinen gearbeitet. Aber nur in einem Verein gab es Meistertitel. Das könnte sich in dieser Saison ändern.
Bayer-Coach Alonso - Taktikfuchs ohne Showeffekte
Es ist noch sehr früh in der Saison, aber die nach verpassten Titeln als "Vizekusen" verunglimpften Leverkusener sind anscheinend auf dem Weg, das Vize endlich ablegen zu können. Es stimmt ganz viel in dieser Mannschaft, angefangen auf der Trainerbank. Xabi Alonso hat noch nicht lange auf allerhöchstem Niveau gearbeitet, und doch sehen ihn schon viele in Spanien als künftigen Coach von Real Madrid.
Der langjährige Weltklasse-Stratege im zentral-defensiven Mittelfeld von Real und Bayern hat als Trainer eine herausragende Mischung aus taktischem Geschick und souveränem, glaubwürdigem Auftreten ohne jeden Anflug von Showgehabe.
Er strahlt Disziplin und Hingabe für seinen Beruf aus, er verzichtet auf Effekte und durchschaubare Psychospielchen, um den Gegner zu beeindrucken. Xabi Alonso ist der Gegenentwurf zu Uli Hoeneß und Christoph Daum, er gibt vor dem Duell mit seinem Ex-Klub ganz offen zu, dass das für ihn eine "große Herausforderung" ist. Und er sagt sofort anschließend: "Ich habe ein gutes Gefühl. Wir haben sehr viel Selbstvertrauen. Solche großen Spiele sind die besten. Das wird ein schönes Spiel in einem schönen Stadion gegen eine top, top Mannschaft. Aber wenn wir unser bestes Niveau erreichen, haben wir eine gute Chance."
Leverkusen: Xhaka und Boniface die optimalen Verstärkungen
Bayer-Boss Fernando Carro sieht Xabi Alonso als Zugpferd für die enormen Verstärkungen vor dieser Saison, vor allem Angreifer Victor Boniface, Dirigent Granit Xhaka und Jonas Hofmann.
Dank dieses Trios fällt kaum auf, dass mit Patrik Schick ein Stürmer europäischer Güteklasse schon bald ein Dreivierteljahr ausfällt oder ein Klassemann wie Moussa Diaby den Verein im Sommer verlassen hat. "Der Trainer spielt bei der Entscheidung eines Spielers für einen Verein immer eine wichtige Rolle", hat Carro der "Sportbild" gesagt. "Er weiß, was eine Kabine braucht, er hat alles gewonnen, die Spieler hören auf ihn."
Spektakel unter Bosz und Schmidt
Was den Bayern im Gegensatz zu all den Vorjahren auch Sorgen bereiten sollte, ist die Balance zwischen Offensive und Defensive, die Xabi Alonso hinbekommen hat. Unter Peter Bosz zwischen 2018 und 2021 hat es vielleicht sogar noch mehr Spaß gemacht, Spiele von Bayer Leverkusen anzusehen, aber das lag auch am Spektakelfaktor, der viel zu viele Gegentore einschloss. Ähnlich war es zwischen 2014 und 2017 unter Roger Schmidt, immer nur Pressing, Pressing und Pressing ohne Ruhephasen. Das konnte die Mannschaft in den entscheidenden Phasen dann einfach nicht mehr leisten.
Jetzt ist es für Xabi Alonso völlig okay, wenn Hofmann Situationen auch mal nach hinten auflöst, statt den Fehlpass oder das Dribbling gegen zwei, drei Gegenspieler zu riskieren. Oder wenn Xhaka das Tempo auch mal rausnimmt, um das Nachrücken zu organisieren, um es dann mit seiner Passschärfe und seinen Chips hinter die gegnerische Abwehr wieder zu beschleunigen.
Große Herausforderungen für Thomas Tuchel
Gerardo Seoane war in Leverkusen der direkte Vorgänger von Xabi Alonso, er hatte am zweiten Spieltag mit Mönchengladbach genau gewusst, was auf seine Mannschaft zukommen würde. Aber der Schweizer konnte es nicht verhindern, all seine Pläne gegen die Xhaka-Chips, die Abschlüsse von Boniface und das freigeistige Verhalten von Florian Wirtz und Jonas Hofmann gingen beim noch schmeichelhaften 0:3 schief. Das mag auch an Seoanes Personal gelegen haben, das natürlich nicht mit Bayern vergleichbar ist.
Aber es wird interessant zu beobachten sein, wie Thomas Tuchel all diesen Herausforderungen begegnen will, dem Doppeln und Hinterlaufen von Hofmann und Jeremie Frimpong über rechts, den Flankenläufen von Alex Grimaldo über links, der Power von Xhaka und Exequiel Palacios im Zentrum und den Anspielen auf Boniface.
Kimmich auf der Kippe
Bei den Bayern ist auch die Frage, wie sie die vor allem psychisch durchaus stressige Länderspielpause bewältigen. Joshua Kimmich ist angeschlagen, fehlte nach dem Japan-Desaster bei der Wiedergutmachung gegen Frankreich.
Leon Goretzka wurde irgendwie gar nicht mehr gebraucht, für Leroy Sané, Serge Gnabry und vor allem Thomas Müller war es binnen vier Tagen ein Wechselbad zwischen Absturz und Wiedergeburt.
Wessen Frust oder auch wessen Schwung Tuchel nun in seinen Plan gegen Leverkusen einbindet, wird spannend. Was er zum Beispiel mit Müller vorhat, ist auch noch nicht so ganz ersichtlich. Tuchel hat vorne Harry Kane, aber sein Luxusproblem auf den Außen und der Zehn mit Gnabry, Sané, Müller, Kingsley Coman und Jamal Musiala sowie dahinter auch noch Mathys Tel und Eric Maxim Choupo Moting wirkt luxuriös, birgt aber auch immer Stress.
Die ganzen nervigen Fragen nach denen, die dann nicht spielen, muss Tuchels Kollege Xabi Alonso selten oder gar nicht beantworten. Er kann dann irgendwann Adam Hlozek bringen oder im Mittelfeld Robert Andrich - und niemand unterstellt ihm unterschwellig Ahnungslosigkeit, dass die nicht in der Startelf standen.
Stressfrei auf Fußball konzentrieren
Es ist einfach stressfreier, in Leverkusen zu arbeiten als in München. Xabi Alonso kann sich komplett auf den Fußball konzentrieren, und das Mia-san-mia-Gen verkörpert er trotzdem glaubhaft. Das könnte die Mischung sein, die in dieser Saison endlich mal wieder einen neuen deutschen Meister hervorbringt. Einen Vorgeschmack könnte schon der Freitag bringen.