Projekt "Safe Harbour" Europaweiter Vorstoß gegen Gewalt im Sport
Immer neue Fälle physischer und psychischer Gewalt haben das Problem im Bewusstsein des deutschen Sports verankert. Nun gibt es einen ersten ernsthaften Versuch, sich europaweit zu koordinieren.
Bei Cristina Almeida herrscht im Konferenzraum eines Hotels am Flughafen Brüssel so etwas wie Aufbruchstimmung. In ihrer Heimat Portugal, sagt sie, bewege man sich beim Thema Gewalt im Sport auf "Ground Zero Level". Doch nun sei "das Problem auf europäischer Ebene angekommen, in Kooperation mit vielen, auf einer soliden Basis".
Almeida ist im Nationalen Olympischen Komitee Portugals für das weite Feld von interpersonaler Gewalt im Sport verantwortlich. In Brüssel traf sie in dieser Woche mehr als zwei Dutzend Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet aus ganz Europa. Die Gruppe unternimmt nun den ersten ernsthaften Versuch, das Problem auf kontinentaler Ebene koordiniert anzugehen.
Thema "mit Leben füllen"
An dem Ziel, einen europaweiten Einheitsrahmen gegen Gewalt im Sport zu schaffen, arbeiten ab sofort neben dem Europäischen Olympischen Komitee (EOC), das das Projekt leitet, auch 20 Nationale Olympischen Komitees, darunter der Deutsche Olympische Sportbund, und die Weltverbände aus dem Biathlon (IBU) und Eishockey (IIHF). Das von der Europäischen Union mit 400.000 Euro geförderte Projekt ist zunächst bis 2027 angelegt. Titel: "Safe Harbour", sicherer Hafen.
Das schwierige Thema soll "mit Leben gefüllt werden", sagt Lucie Rothauer, Präventionsmanagerin in der unabhängigen Integritätsabteilung der Internationalen Biathlon-Union. Es gehe um Akzeptanz und Sensibilisierung, um eine Veränderung des Klimas im internationalen Sport. "Vor allem junge Athletinnen und Athleten schauen heute genau hin und sehen, was man nicht darf. Leider trauen sie sich oft nicht, die Probleme anzusprechen", sagt Rothauer. Ihre portugiesische Kollegin Almeida berichtete in Brüssel über eine Studie, die belegt, dass etwa acht von zehn portugiesischen Sportlern mindestens einmal von Gewalt betroffen gewesen sind.
Verstehen, dass sich "Zeiten ändern"
In Deutschland haben in den vergangenen Jahren erschütternde Fälle im Schwimmsport, im Tennis oder zuletzt erneut im Turnen den Handlungsdruck enorm gesteigert. Ergebnis ist der "Safe Sport Code", ein Regelwerk gegen interpersonale Gewalt im deutschen Sport, ratifiziert im vergangenen Dezember auf der Mitgliederversammlung des DOSB. Ein unabhängiges "Zentrum für Safe Sport" ist in Planung.
Einige europäische Nationen, das wurde auch bei der Auftaktveranstaltung von "Safe Harbour" in Brüssel deutlich, stehen erst am Beginn einer Sensibilisierungsphase. Man müsse zunächst verstehen, dass "sich die Zeiten ändern und dass das, was einige während ihrer Karriere erlebt und mit angesehen haben, heutzutage nicht mehr als normal gelten sollte", sagt Maja Poljak. Die ehemalige Volleyballspielerin kümmert sich in Kroatiens NOK um die Thematik.
Auch Vorreiter leisten noch Grundlagenarbeit
Selbst in Norwegen, das als Vorreiter im Kampf gegen Gewalt im Sport gilt, ist die Grundlagenarbeit noch lange nicht beendet. "Vereine werden von Ehrenamtlern geführt, und natürlich kann man nicht erwarten, dass dort überall das nötige Wissen vorhanden ist. Deshalb ist ein wesentlicher Teil unserer Aufgaben, diese Informationen an die Menschen und Vereine weiterzugeben“, erklärt Julie Karima Berg, Leiterin der Abteilung "Ethik und Safe Sport" im norwegischen NOK.
Das gemeinsame Projekt soll nun dafür sorgen, dass sich in den europäischen Ländern auch durch Wissenstransfer die Strukturen an den zuständigen Stellen angleichen, bevor dann an einer europäischen Rahmenvereinbarung gearbeitet wird. Schließlich sollen passgenaue Schritte für die einzelnen Länder formuliert werden, um einem der drängendsten Probleme im Sport besser Herr zu werden. Zweieinhalb Jahre Zeit gibt sich die Gruppe für diese Etappen.
"Safe Harbour", da waren sich wohl alle Teilnehmer in Brüssel einig, war erst ein erster, kleiner Schritt. Ab wann und vor allem wie sehr die gemeinsam erarbeiteten Schutzmaßnahmen in den einzelnen Ländern effizient die Handlungsfähigkeit der Verbände erhöhen, ist offen.