DSV beschließt Leitantrag Schutz vor Gewalt - "Zäsur für Schwimmsport"
Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) will Verantwortung für seine eigene Geschichte übernehmen – das ist das zentrale Ergebnis der Mitgliederversammlung des Verbandes am Samstag (30.11.2024) in Kassel.
Der Schwerpunkt der Veranstaltung lag auf den Ergebnissen der unabhängigen Aufarbeitungskommission, die sich ab März 2023 mit den Fällen sexualisierter Gewalt aus der ARD-Dokumentation "Missbraucht" auseinandergesetzt hatte.
Ein Team aus vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Deutschen Sporthochschule Köln war von der damaligen Verbandsspitze aus Wolfgang Rupieper und Kai Morgenroth beauftragt worden und hatte seitdem 27 Anhörungen mit Betroffenen und Zeitzeugen geführt. Die wichtigste Erkenntnis lag darin, dass der DSV in der Vergangenheit strukturelle Mängel beim Umgang mit sexualisierter Gewalt aufwies. Besonders der Fall des ehemaligen Wasserspringers Jan Hempel, der jahrelang von seinem Trainer missbraucht worden war, wurde in dem Bericht umfangreich thematisiert.
Die unabhängige Aufarbeitungskommission hatte ihren Abschlussbericht vor einem Monat dem Verband übergeben. Die Mitglieder beschlossen in Kassel einstimmig einen Leitantrag mit dem Titel "Recht auf sicheren Schwimmsport", der sich auf Empfehlungen aus dem Bericht beruft. Der Leitantrag sieht Maßnahmen vor, um diese konkret und langfristig umzusetzen.
DSV mit personeller Neuaufstellung
David Profit, seit April neuer Präsident des DSV, bezeichnete den Bericht als "Zäsur für den deutschen Schwimmsport". Nun müssten "weitreichende Entscheidungen" getroffen werden, um Vorfälle interpersonaler oder sexualisierter Gewalt zu verhindern. Profit hatte während der Mitgliederversammlung, die im Vergleich zu vorherigen Veranstaltungen mit drei Stunden Dauer schnell vonstatten ging, daher für den Leitantrag geworben. "Es darf keine Kartelle des Schweigens geben, nicht um den Willen des Erfolgs", betonte der 48-Jährige.
Der DSV hatte sich nach einer Satzungsreform in diesem Jahr neu aufgestellt, neben einem Präsidium um Profit übernahm ein hauptamtlicher Vorstand Anfang November die operativen Geschäfte auf. Zu einer der wesentlichen Aufgaben wird nun weiterhin das Thema interpersonale Gewalt gehören – mit Fokus auf Prävention, Intervention und Aufarbeitung.
Die Anwesenden hatten den Betroffenen Respekt und Anerkennung für ihre Äußerungen und Offenheit gezeugt, bevor in der knapp einstündigen Debatte um den Leitantrag deutlich wurde: Insbesondere die Landesverbände als Vertreter der ca. 2.500 Schwimmvereine in Deutschland garantierten zwar ihre Unterstützung, wiesen aber auf Probleme in der Umsetzung der Maßnahmen hin.
Wolfgang Hein rief als Präsident des Landesschwimmverbandes Niedersachsen in Erinnerung, dass die Maßnahmen "für die Vereine umsetzbar" sein müssten, weil sich mit dem komplexen Thema Ehrenamtliche auseinandersetzen würden, die nicht zwingend die nötige Expertise hätten.
"Top-Down-Vorschläge nicht hilfreich"
Claudia Heckmann, Präsidentin des mitgliederstarken Verbands aus Nordrhein-Westfalen, erinnerte daran, dass es in ihrem Bundesland schon viele Maßnahmen und Schutzkonzepte gebe. Dennoch: "Wir werden nicht alles leisten und verhindern können. Es ist dringend notwendig, die Vereinsvorstände mitzunehmen."
Frank Rabe, Geschäftsführer des Schwimmverbandes NRW, pflichtete bei und mahnte an, dass "Top-Down-Vorschläge nicht hilfreich" seien. Vielmehr brauche es, so wurde es auch durch andere Wortbeiträge erkennbar, eine "Übersetzung" der geforderten Maßnahmen in konkrete Handlungen auf Vereinsebene.
"Safe Sport Code" soll nächste Woche beschlossen werden
Die Mitgliederversammlung des DSV war auch deshalb wegweisend, weil der gesamte deutsche Sport durch den Dachverband Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) am kommenden Samstag (7. Dezember 2024) in Saarbrücken den Beschluss des "Safe Sport Codes" plant, der Ende Oktober vorgestellt wurde. DSV-Präsident Profit kündigte an, auf Grundlage der Erfahrungswerte des Schwimmsports in Saarbrücken Änderungsanträge einzubringen.
Auf Ebene des DSV soll es zudem eine Arbeitsgruppe geben, die sich aus mehreren Mitgliedern der Landesverbände zusammensetzt und aus mehreren Perspektiven beleuchtet, wie sich die geplanten Maßnahmen realistisch umsetzen lassen. Mit dem Bericht der Aufarbeitungskommission des DSV und der geplanten Verabschiedung des "Safe Sport Codes" begibt sich der gesamte organisierte Sport nun auf den Weg, interpersonale Gewalt effizienter zu bekämpfen.
Das Präsidium des DSV hatte nach dem beschlossenen Leitantrag verkündet: "Das darf keine Sonntagsrede sein, sondern muss ab Montag bearbeitet werden." Nicht nur der Spitzenverband des deutschen Schwimmsports wird sich daran messen lassen müssen, sondern womöglich bald auf Grundlage des "Safe Sport Codes" auch der gesamte Sport.