Box-WM Fury gegen Usyk Das Ende der Posterboys
In Riad in Saudi-Arabien wird am Samstag (18.05.2024) erstmals seit 25 Jahren ein unumstrittener Weltmeister im Schwergewicht gekürt. Der Kampf zwischen Tyson Fury und Oleksandr Usyk ist auch ein Symbol für das Ende einer Ära im Schwergewichts-Boxen. Die Dominanz von Physis und Athletik allein ist vorerst gebrochen.
Es wirkte manchmal, als hätte Dolph Lundgren die Benchmark gesetzt. Austrainiert bis in die letzte Körper-Faser stieg der Schauspieler als sowjetischer Über-Boxer Ivan Drago in den Ring. Ein surreal wirkender Hüne, furchterregend groß und breit – stilisiert zur erbarmungslosen Kampfmaschine. So, wie ein Gegner von Silvester Stallone im Film "Rocky 4" nun mal aussehen musste.
Als der Film 1985 erschien, gab es auch in der realen Welt Boxer, die physisch in vorher nicht gekannte Sphären vorgestoßen waren. Doch die Ära des "größer, schwerer, athletischer" im Schwergewicht sollte erst noch kommen. So als hätte Dolph Lundgren eine ganze Sportart mit auf einen mehr als drei Jahrzehnte langen Weg genommen. Am Ende dieses Wegs halten Tyson Fury und Aleksandr Usyk ein Stoppschild in die Luft.
Der größte Kampf seit 25 Jahren
Wenn die beiden am Samstag in Riad in Saudi-Arabien gegeneinander antreten, ist es das Duell der aktuell erfolgreichsten Schwergewichte der Welt. Es wird um alle vier großen WM-Gürtel gehen (Usyk hält die der Verbände WBA, IBF und WBO – Fury WBC). Das gab es in der Geschichte des Boxens noch nie.
Der bislang letzte, der alle relevanten Gürtel im Schwergewicht hielt, war Lennox Lewis nach seinem Sieg gegen Evander Holyfield 1999. Doch damals gab es nur drei bedeutende Weltverbände. Es ist also ein historisches Ereignis. Zugespitzt könnte man aber auch sagen: Es ist das Duell eines Ex-Drogensüchtigen gegen einen kauzigen, fürs aktuelle Schwergewicht zu klein geratenen Kosaken.
WBC-Weltmeister Tyson Fury
Tyson Fury und Oleksandr Usyk könnten unterschiedlicher kaum sein. Der Engländer Fury entstammt der "Irish Traveler"-Community, einer Minderheit, die ohne festen Wohnsitz von Ort zu Ort reist und oft Diskriminierung und Ausgrenzung erfährt. Ein Leben am Rande der Gesellschaft, mit dem Tyson Fury immer wieder kokettiert. Das Rüpel-Image als Marketing-Masche.
Das Gegenteil dazu ist Oleksandr Usyk. Er ist Akademiker, Trash-Talk ist ihm fremd. Usyk wuchs auf der Krim auf, 2014 musste er seine Heimat verlassen, weil Wladimir Putin die Halbinsel annektierte. Als Russland 2022 die Ukraine überfiel, verließ er den Boxring und ging an die Front. Doch Politiker wie Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko überredeten ihn zur Rückkehr in den Sport – auch um der Welt die Geschichte seines geschundenen Heimatlandes zu erzählen. Er ist ein Nationalheld.
Der ukrainische Ausnahmeboxer Oleksandr Usyk
Boxerische Klasse auf beiden Seiten
Aber es gibt auch eine wichtige Gemeinsamkeit der Kontrahenten: Das Boxen liegt beiden mit all seinen Facetten im Blut. In Tyson Furys Biografie ("Ich hinter der Maske") beschreibt der Brite eindrucksvoll, welche Bedeutung der Sport für ihn auf seinem Lebensweg hatte. In der "Irish Traveller"-Community ist Boxen Tradition und wurde ihm buchstäblich in die Wiege gelegt. Seinen Vornamen verdankt er der Schwergewichtslegende Mike Tyson.
Oleksandr Usyks Weg in den Ring wurde von weniger Pathos begleitet. Er begann mit dem Boxen auch, um für seine Familie auf der Krim etwas dazuzuverdienen. Doch auch er fand im Boxen früh sportliche Erfüllung. Als Amateur hat er verschiedenen Statistikportalen zufolge rund 350 Kämpfe bestritten und nur 15 verloren. Auch Usyk ist Boxer durch und durch.
Tyson Fury (l.) und Oleksandr Usyk bei der ersten Pressekonferenz.
Es ist also auch ein bisschen so, als holte sich der Facettenreichtum seinen Sport zurück. Furys und Usyks direkte Vorgänger als Schwergewichts-Gürtelträger, Deontay Wilder und Anthony Joshua, hatten beide spät mit dem Boxen begonnen – erst als sich deutlich zeigte, dass es in anderen Sportarten nicht für eine Karriere reichen wird. Und beide fanden vor allem aufgrund beeindruckender Physis den Weg in die Weltspitze: größer, schwerer, athletischer. Schon die Klitschkos hatten zuvor neue Maßstäbe auf dieser Ebene gesetzt.
Fitness dennoch ein Faktor
Natürlich wird die körperliche Verfassung auch im wichtigsten Kampf des bisherigen 21. Jahrhunderts eine immense Rolle spielen. Die alte Box-Regel "Kondition schlägt Technik" gilt auch in Riad. Dazu kommt der deutliche Größen- und Gewichtsvorteil von Tyson Fury, der eine wichtige Rolle spielen könnte und ihn bei den Buchmachern zum Favoriten macht. Doch die technischen Fähigkeiten und die Ring-Intelligenz beider Boxer machen das Gefecht trotzdem zu einem kaum vorhersehbaren Event.
Für den besten deutschen Schwergewichts-Boxer, Agit Kabyel, ist Fury nur leichter Favorit. "Ich denke, dass Fury nach Punkten gewinnen wird", sagte er im Sportschau-Interview. "Aber der Kampf ist wirklich sehr, sehr eng." Kabayel wird im Vorprogramm des Showdowns selbst den bedeutendsten Kampf seines Lebens bestreiten – gewinnt er, darf er um den WM-Titel des großen Verbands WBC kämpfen.
Kein Champ fürs Mode-Magazin
Doch egal ob Fury oder Usyk als Sieger aus dem Spektakel hervorgehen wird - ein "Posterboy" wird der neue unumstrittene Weltmeister nicht sein. Tyson Furys psychische Probleme, seine Kokain- und Alkohol-Sucht brachten ihn einst an den Rand der Lebensgefahr. Zwischenzeitlich wog er nach eigenen Angaben rund 180 Kilo. Die Nachwirkungen dieser Zeit sind ihm deutlich anzusehen. Oleksandr Usyks regelmäßige Auftritte in traditioneller ukrainischer Kleidung sind ein patriotisches Zeichen in seine kriegsgeplagte Heimat. Für Nicht-Ukrainer wirken sie allerdings höchst sonderbar.
Trotzdem sind beide Kämpfer am richtigen Ort, wenn am Samstag der unumstritten beste Schwergewichts-Boxer der Welt gesucht wird. Und sollte Usyk Fury entgegen der meisten Expertenmeinungen besiegen, wäre er zusätzlich der erste unumstrittene Champ aus dem ehemaligen Ostblock. Am Ende des Weges stünde dann noch ein weiterer bedeutender Unterschied zur Kunstfigur Ivan Drago (Dolph Lundgren) im Rocky-Film.