Grafik Andreas Wellinger

Skispringen Andreas Wellinger - zwischen Höhenflügen und Abstürzen

Stand: 31.12.2024 11:35 Uhr

Für Andreas Wellinger lief der Auftakt bei der 73. Vierschanzentournee nicht wie erhofft, im Gegensatz zum vergangenen Jahr. Wellinger kennt sich mit Höhenflügen aus, allerdings auch mit Abstürzen.

Von Inken Pallas

Andreas Wellinger kann (fast) nichts mehr überraschen. Wenn er über seine große Leidenschaft Skispringen erzählt, leuchten seine Augen, und auch als Zuhörer bekommt man Gänsehaut. Der 29-Jährige hat schon viele Weltcup-Erfolge gefeiert, viele Medaillen bei nordischen Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen gesammelt.

Als 17-Jähriger feiert er seine Weltcup-Premiere, als 18-Jähriger den ersten Weltcup-Sieg und die erste olympische Team-Medaille. Kurz darauf folgt aber auch der erste schwere Skisprung-Unfall mit Operation, Reha und allem, was dazugehört.

Sieg in Oberstdorf gehört zu den Lieblingsmomenten

Andreas Wellinger will immer ganz oben stehen. Halbgas gibt es bei ihm nicht. Leider darf aber jeden Tag nur einer der Beste sein. "Je häufiger ich das sein darf, desto schöner ist es natürlich." Fragt man Andreas Wellinger nach seinen Top-3-Lieblingsmomenten, ist das Auftaktspringen der 72. Vierschanzentournee definitiv dabei. Am 29.12.2023 gewinnt Andreas Wellinger in Oberstdorf und wird dafür von den Zuschauern und den Teamkollegen gefeiert.

"Daheim zu gewinnen, ist etwas sehr, sehr Besonderes. Der Sieg zu Hause mit 25.000 Zuschauern, wo 95 Prozent die deutsche Hymne mitsingen, das hätte ich mir nicht erträumen können", erzählt er. Auch die Fernsehzuschauer genießen die Skisprung-Euphorie. Die Einschaltquoten sind top, es gibt viele Schlagzeilen mit einem Mann im Tournee-Mittelpunkt: Andreas Wellinger.

Wellingers Traum vom Tourneesieg 2023/2024

Auch beim Neujahrsspringen steht er auf dem Podest und die Hoffnung auf einen deutschen Tournee-Gesamt-Triumph seit 22 Jahren hält an. Auch wenn am 6.1.2024 wieder mal ein anderer ganz vorne steht: der Japaner Ryoyu Kobayshi. Die Erinnerungen an den besonderen Moment in Oberstdorf, den ganz besonderen Weltcup-Sieg, das ist in seiner "Top-3-Lieblings-Liste" ganz vorne. Ganz dicht dahinter kommen olympische Momente.

Dass er 2018 den Olympiasieg in Pyoengchang feiert, ist für alle Skisprung-Fans ein Highlight. Doch zuerst nennt Andreas Wellinger die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi. "Es ist einfach nur geil, unbeschreiblich, ich kann es noch gar nicht wirklich glauben", sagte der damals 18-jährige Wellinger. Zunächst hatte er beim Einzelspringen ein bisschen Pech und schied als 50. im ersten Durchgang aus.

Wellinger war über seine olympische Premiere völlig frustriert. Doch dann schenkte ihm Bundestrainer Werner Schuster sein Vertrauen und nominierte ihn für das Teamspringen. "Ich war als 18-Jähriger das Küken in der Runde. Dann stehst du da zu viert, ob es gut oder schlecht läuft. Das ist Teamspirit, der nochmal anders ist als bei einem Einzelwettkampf."

Nach seinen eigenen Top-Sprüngen wartet Andreas Wellinger mit den Teamkollegen Andreas Wank und Marinus Kraus auf Schlussspringer Severin Freund. Nachdem der weit gesprungen und gut gelandet ist, stehen die vier DSV-Adler Arm in Arm im Auslauf und warten auf das Ergebnis. Als Rang eins aufleuchtet und olympisches Gold sicher ist, entstehen Jubelbilder, die sich Wellinger und alle Skispring-Freaks immer noch gerne angucken.

Olympiasieg in Pyeongchang überwältigt Wellinger

Wobei die Bilder vier Jahre später bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang vielleicht noch schöner sind: In dem windigen, langen Wettbewerb auf der Normalschanze zeigt der bis dahin fünftplatzierte Andreas Wellinger im Finale einen Top-Sprung, dann beginnt die lange Wartezeit in der "Leaderbox" - nach Mitternacht ist der historische Erfolg perfekt: Andreas Wellinger ist Olympiasieger.

"Es war nicht nur die Kälte und der Wind, der meine Augen ein bisschen feucht gemacht hat, sondern es war wirklich die Überwältigung der Situation, dass ich Olympiasieger wurde", erinnert er sich an diesen besonderen Moment, der ihn damals übermannte. Bei diesen Spielen sammelt Wellinger noch mehr Medaillen: Silber von der Großschanze und Silber mit dem Team. Es sind schöne Erinnerungen. Solche hat er auch von vielen Weltmeisterschaften, bei denen er im Einzel und mit dem Team Erfolge feiert. Stundenlang kann man mit ihm über besondere Triumphe reden. Allerdings gehören zu seiner Skisprung-Geschichte auch Frustrationen, Enttäuschungen und Verletzungen dazu.

Wellinger lässt seine Leidenszeit hinter sich

Dass es zwischenzeitlich im Weltcup knapp sechs Jahre Wartezeit auf einen Weltcup-Sieg gab, dass er als Führender in der RAW-Air-Serie im Finale beim letzten Springen von der Jury im Stich gelassen und vom Winde verweht wurde, dass er bereits als 18-Jähriger einen schweren Sturz mit Schulter-Luxation, Operation und Zwangspause hatte - das alles ist für ihn nicht mehr wichtig. Er habe daraus viel gelernt, so Wellinger. Auch die schwere Knieverletzung bei einem Trainingssprung im Juni 2019 und die acht Monate Reha, das komplette Jahr ohne Skispringen sei im Nachhinein positiv genutzt worden.

Mit 29 Jahren horcht Andreas Wellinger auf seinen Körper. "Ich bin quasi schon ein alter Mann und habe immer mal wieder das ein oder andere Wehwechen", sagt er schmunzelnd und weiß dabei ganz genau, wann er vorsichtig sein muss, damit sein Rücken nicht zwickt. Seine Stärke seien Absprung und Fluggefühl, erzählt Andreas Wellinger. Wenn er beim Absprung seine Energie sauber in den Flug übersetzen könne, dann könne er da stehen, wo er am liebsten steht: auf dem Podest.

Familie für Wellinger ein enormer Rückhalt

Egal ob bei Höhenflügen oder bei Abstürzen: Der Kopf spiele immer eine extrem wichtige Rolle, so Wellinger. Da sei sein Umfeld, die Familie das Wichtigste. Genau deswegen möchte er auch seine Privatsphäre schützen. Wenn seine Freundin, so wie bei der vergangenen Tournee von Journalisten oder Fotografen verfolgt werde, findet Andreas Wellinger das "nicht okay". Ansonsten ist er ein "Mr. Charming", ein Sunnyboy, der sich für die Fans nach dem Wettbewerb viel Zeit für Autogramme, Selfies und Small-Talk nimmt.

Auch auf Facebook und Instagram lässt er alle Interessierten ein bisschen an seinem Freizeitvergnügen teilhaben: Ob jetzt gerade Fotos vom Weihnachtsbaum oder im Sommer Bilder von Wellenreit-Action – seine Rolle in der Öffentlichkeit ist ihm bewusst. Er möchte immer eine gute Show liefern. Der ehrgeizige Wellinger gibt immer alles, will neue Dinge lernen und versucht, der Beste zu sein.

Ob bei einem Wakeboard-Kurs im Sommer-Trainingslager der Skispringer, bei einem privaten Besuch der Olympischen Spiele in Paris (inklusive Basketball-Match mit Fans im deutschen Haus) oder beim Tennis-Training in Siegsdorf mit Pius Paschke – auch hier gibt Wellinger Vollgas.

Wellinger gönnt Paschke den Erfolg

Seinem 34-jährigen Teamkollegen gönnt Andreas Wellinger die Erfolge in dieser Saison aus vollem Herzen, der Skispringer-Teamspirit überhaupt funktioniere erstklassig, jeder Podestplatz werde vom ganzen Team gefeiert.

Der große Wunsch von Andreas Wellinger: dass mindestens einer der DSV-Adler bei dieser Tournee wieder ganz vorne mitmischen kann. Besonders schön wäre natürlich, wenn er selber den Fans mit weiten Sprüngen wieder Grund zum Jubeln gibt.