Weltcup-Slalom in Levi Skifahrerin Dürr - Licht im Stangenwald
Lena Dürr galt als große Ski-Hoffnung, aber irgendwann stand sie da und wachste ihre Ski selbst. Es war ein Wendepunkt. Nun könnte Dürr die Erzählung über ihre Karriere umschreiben - wenn nur die zweiten Läufe nicht wären.
In einem Moment größter Enttäuschung ging Lena Dürr auf Distanz, zumindest sprachlich, und vielleicht auch zu sich selbst. "Man weiß halt, man kann sein Ding nicht so durchdrücken", sagte Dürr. Sie sagte man, und meinte auch sich. Es ging ihr um das Risiko und um die Abwägung, um Pisten mit und ohne Furchen, und um zweite Durchgänge, in denen die Ersten die Letzten sind. Sie sprach von einer Umkehr der Dinge.
Das war am Samstag, es war Tag eins beim Weltcup-Slalom im finnischen Levi, und Dürr war als Führende in den zweiten Lauf gestartet. Nur passierte dann etwas, das ihr zuletzt manchmal passiert ist. Was sich am Sonntag, dem zweiten Tag in Levi, wiederholen sollte.
Dürr fuhr gut, aber nicht mehr so gut wie im ersten Durchgang. Sehr gut fuhren nun andere, auch Mikaela Shiffrin, sie gewann an beiden Tagen. Dürr wurde jeweils Vierte, es war natürlich kein schlechtes Ergebnis, und doch beinahe eine Enttäuschung.
Dürr und die verflixten zweiten Durchgänge
Vielleicht hatte sie beim zweiten Lauf das Risiko gemieden, womöglich hatte sie als letzte und vorletzte Fahrerin auch mit den Tücken einer zerfurchten Piste zu kämpfen. So eine Abfahrt ist eine komplizierte Angelegenheit, manchmal wirkt ein Kurs wie ein sehr dunkler Stangenwald. Für Dürr jedenfalls waren es wieder einmal verflixte zweite Durchgänge.
Am Ende des zweiten Tages sollte Dürr ihren Weltcup-Auftakt beurteilen. Sie fand ihn "nicht gut und nicht schlecht", und sie sagte: "Das Ende muss noch anders geschrieben werden."
Kunstschnee, Tränen, Ski-Wachs
Es ist ihr schon in der vergangenen Saison manchmal so ergangen, als sie bei drei Rennen nach Durchgang eins Erste gewesen war, aber nie gewann. Als man sie schon für eine Olympiasiegerin hielt, aber Dürr, 31, am Ende doch im Kunstschnee von Peking saß und weinte. Als die Medaille am Hals silbern glitzerte und nicht golden.
Die Geschichte der Skifahrerin Lena Dürr ist eine, die von Talent erzählt und vom Auf und Ab einer Athletin, die vor gut einem Jahrzehnt als deutsche Ski-Hoffnung galt, als sie WM-Bronze mit der Mannschaft holte. Die plötzlich haderte, zweifelte, auch mal den Ausrüster wechselte. Die Olympia in Sotchi verpasste. "Es ging jahrelang nur bergauf", sagte Dürr einmal, "jetzt auf einmal nicht mehr".
Als Dürr ihre Ski selbst wachsen musste
Über die Zeit, die dann kam, hat die "Süddeutsche Zeitung" einmal geschrieben, Dürr wirke "wie eine Pilotin, die ein Flugzeug mit jedem Manöver in noch größere Turbulenzen steuerte". Und Dürr manövrierte fleißig, mal in diese Richtung, dann in die entgegengesetzte. Irgendwann reichte es den Verantwortlichen um den damaligen Cheftrainer Jürgen Graller, sie entzogen Dürr für ein halbes Jahr den Kaderstatus.
Dürr hatte nun kein Kadertraining mehr und niemanden, der die Organisation ihres Sportlerdaseins übernahm. Also stand sie manchmal selbst da und wachste ihre Ski, sie suchte sich eine Trainingsgruppe und dachte um. Sie habe die Maßnahme zunächst nicht so recht verstanden, hat Dürr einmal erzählt. Heute sagt sie: "Das hat mich positiv geprägt."
Dürr sagt heute: "Ein Weltcup-Sieg ist das große Ziel"
Und tatsächlich ist die Skifahrerin Dürr wahrscheinlich nie besser gefahren als in diesem Jahr. Zuletzt hat sie manchmal davon erzählt, was die vergangene Saison mit ihr gemacht habe. Es war die Saison, in der Dürr oft nach einem ersten Durchgang führte, aber nie gewann. Sie habe nun ein "anderes Gefühl", sie zweifle auch nicht mehr, sagt Dürr. "Ein Weltcup-Sieg ist das große Ziel." Es wäre eine Premiere in ihrer Karriere.
Überhaupt ist das nun eine Phase, in der die Skifahrerin Lena Dürr die Möglichkeit hat, die Erzählung über ihre Karriere um einige Kapitel zu erweitern. Man hätte das vor einigen Jahren kaum für möglich gehalten.
Sie könnten vom späten Erfolg einer immer schon talentierten Athletin handeln, von einer, die lange als Ski-Hoffnung galt und doch tief gefallen ist. Dürr könnte sich damit einen Wunsch erfüllen, sie würde das Ende umschreiben. Es wäre schon auch eine Umkehr der Dinge.