Weltcupfinale in Sigulda Grotheer und Hermann im siebten Skeleton-Himmel
Für den einen ist es eine Premiere, für die andere das Ende einer langen Durststrecke. Die deutschen Skeletonis Christopher Grotheer und Tina Hermann haben sich in einem packenden Saisonfinale die Krone im Gesamtweltcup aufgesetzt.
Erschöpft, aber glücklich reckte Christopher Grotheer den Daumen in die Luft. "Da ist das Ding! Schöne Grüße nach Hause", freute sich der frischgebackene Skeleton-Gesamtweltcupsieger. Mehr als 70 Punkte betrug sein Polster vor dem Saisonfinale im lettischen Sigulda auf seinen ärgsten Konkurrenten Matt Weston. Es war auch der Brite, der am Ende des Tages (wieder einmal) ganz oben auf dem Podest stand. Grotheer wurde Dritter, doch von Enttäuschung keine Spur. Den erstmaligen Triumph im Gesamtweltcup konnte ihm keiner mehr nehmen.
Grotheer holt das letzte Puzzleteil
Mit dem Gewinn der Kristallkugel hat Grotheer nicht nur eine 23 Jahre andauernde Durststrecke für die deutschen Skeleton-Männer seit Andy Böhmes Sieg 1999/2000 beendet, sondern auch eine weitere Lücke in seiner ohnehin schon beeindruckenden Karriere geschlossen. 2020 und 2021 wurde er in Altenberg Weltmeister. 2022 gewann er in Peking olympisches Gold. Nun hat er auch bewiesen, dass er über mehrere Monate hinweg der konstanteste Fahrer sein kann. Dass das "richtig, richtig gut" ist, betonte auch Grotheer nach dem Rennen. "Ich habe jetzt alles gewonnen in dem Sport, alles was ich mir jemals erträumt habe. Das war dieses Jahr wirklich mein ganz großes Ziel."
Dabei musste der Pilot aus Oberhof in den vergangenen Wochen noch einmal zittern. Weston präsentierte sich vor dem Saisonfinale in Sigulda in bestechender Form, hatte vier der jüngsten fünf Weltcups gewonnen und auch bei der WM triumphiert. In St. Moritz war Grotheer nach einem völlig verkorksten ersten Lauf am Ende nur auf einem enttäuschenden neunten Rang gelandet. Der Ärger war groß: "Ich bin amtierender Weltmeister und Olympiasieger und gurke hier wie ein übelster Amateur runter-"
Konstanz der Schlüssel zum Erfolg
Drei Wochen später ist der WM-Frust endgültig vergessen. Mit Platz drei in Sigulda rettete Grotheer seinen knappen Vorsprung ins Ziel. "Das macht mich sehr stolz", erklärte der 30-jährige Thüringer, der in sechs von acht Weltcup-Rennen in dieser Saison auf dem Podest stand. Genau diese Konstanz war auch der Schlüssel zum Erfolg. Zwar holte Weston deutlich mehr Siege, allerdings kostete ein 18. Platz in Park City im Dezember den Briten wertvolle Punkte im Kampf um die Kristallkugel mit Grotheer.
Für Bundestrainer Christian Baude war der Erfolg seines Schützlings nur eine Frage der Zeit. "Wir haben uns das nach dieser WM alle gewünscht, er hat jetzt etwas Historisches geschafft. Seine mentale Stärke macht ihn in den vergangenen Jahre aus. Er glaubt an sich, und er ist ein sehr kompletter Fahrer."
Hermann nach fünf Jahren wieder an der Spitze
Diese mentale Stärke bewies auch Tina Hermann, die nur wenige Stunden nach Grotheers Triumph nachlegte und sich zum zweiten Mal den Gesamtweltcup sicherte. Ähnlich wie bei Grotheer war die WM mit einem für ihre Verhältnisse enttäuschenden fünften Platz zu Ende gegangen. Auch sie musste vor dem Finale in Sigulda noch einmal zittern, da ihre ärgste Konkurrentin Kimberley Bos bis auf 27 Zähler in der Gesamtwertung herangerückt war.
Tina Hermann konnte in Lettland feiern.
Mit 118 km/h ins Glück
Doch von Nervosität keine Spur. Hermann fuhr im ersten Lauf Bestzeit und zeigte auch im Anschluss einmal mehr, warum sie seit Jahren zu den stärksten Pilotinnen gehört. Am Start hinkte sie in beiden Durchgängen zwar deutlich hinterher, doch im Eiskanal spielte sie ihre Stärken aus: Die entscheidenden Kurven fuhr sie mit Abstand am besten, nahm so Tempo auf und steuerte ihren insgesamt 17. Weltcupsieg im einem Wimpernschlagfinale gegen die Britin Laura Deas nach Hause. Beeindruckend war vor allem ihre Geschwindigkeit. Mit 118,5 km/h raste sie im ersten Lauf hinunter. Auch im zweiten Durchgang reihte sie sich bei einer Spitzengeschwindigkeit von 115,5 km/h ganz vorne ein.
Hermann trotzt Sorgen nach der WM
Der Sieg im Gesamtweltcup ist bereits ihr zweiter großer Triumph in diesem Jahr. Im Januar hatte sie in Altenberg zum ersten Mal EM-Gold gewonnen, nachdem es zwei Jahre zuvor in Winterberg "nur" zu Silber gereicht hatte. Der Erfolg zum Ende der Saison in der Gesamtwertung war aber alles andere als selbstverständlich. Denn die Enttäuschung bei der WM hatte ihre Spuren hinterlassen. "Ich war nach der WM ganz schön durch und habe mich schwergetan, wieder reinzukommen", sagte Hermann nach dem Rennen. "Es ist jetzt nochmal perfekt gelaufen. Ich danke dem ganzen Team, es war echt eine gute Saison."
Im kommenden Winter wird sie nun wieder die Gejagte sein, nachdem sie fünf Jahre lang selbst diese Rolle innehatte. Bis dahin will Hermann die Akkus aufladen und den Kopf frei bekommen, also "all das genießen, was ich sonst im Winter nicht machen kann". Mit der Kristallkugel im Gepäck dürfte ihr das nicht allzu schwerfallen.